# taz.de -- 100 Tage Ampel: Aufbruch im Krieg | |
> Die Ampel hat einige Glaubenssätze aufgegeben. Doch das zentrale Projekt | |
> soll nun noch schneller realisiert werden. | |
Bild: Scholz, Baerbock und Lindner anlässlich der russischen Aggression gegen … | |
Zu den Neuheiten im [1][Ampel-Regierungsgeschäft] gehört die offene Runde | |
vor der Kabinettssitzung am Mittwoch. Ohne Tagesordnung. Das klingt nach | |
entspanntem Plaudern. Es ist aber ein strikt geregeltes Arrangement. | |
Niemand darf sich von StaatssekretärInnen vertreten lassen. Das Ziel: | |
Störgeräusche in der ungewohnten Dreierkonstellation zu dämpfen. | |
Eine SPD-Ministerin ist davon angetan. Man räume so Konflikte im Vorfeld | |
ab. Überhaupt, so der Dreh von SPD-Seite, laufe es in der Ampel viel besser | |
als mit der Union. Keine Eifersüchteleien und Kleinkriege mehr wie bei | |
Julia Klöckner und Andreas Scheuer. Man gönne sich gegenseitig Erfolge. Das | |
ist auch von Grünen zu hören. Die offene Runde war die Idee des Kanzlers, | |
die er aus Hamburg mitbrachte. Effektivität und Planung, nett verpackt, mit | |
Scholz in der Rolle des großen Kommunikators, so das Bild. | |
Das Herzstück der Ampel soll der [2][klimaneutrale Umbau der Industrie] | |
werden, das erfordert zielstrebiges Regieren. Also – nichts dem Zufall | |
überlassen, zentral gesteuert. Das ist die Theorie. In der Praxis mit | |
Corona und Putins Krieg ist vieles anders. „Man sieht an diesen ersten 100 | |
Tagen, dass man sein Schicksal nicht selbst in der Hand hat“, sagt Sven | |
Giegold, Attac-Mitgründer und lange Europa-Abgeordneter. Jetzt ist der | |
Grüne Staatssekretär bei Wirtschaftsminister Robert Habeck. | |
Die Grünen mussten nun darüber nachdenken, ob Atomkraftwerke und Kohle | |
länger laufen sollen. Die Ampel macht im Schnellverfahren 100 Milliarden | |
Euro Schulden für Aufrüstung und fixiert das im Grundgesetz. Nichts davon | |
wäre Weihnachten vorstellbar gewesen. „Es waren die intensivsten ersten | |
hundert Tage, die ich je erlebt habe“, sagt Katja Mast, die | |
parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion. Solche Superlative | |
hört man aus allen drei Fraktionen. | |
Olaf Scholz hielt sich lange zurück. CSU-Mann Markus Söder höhnte: „Die | |
entscheidende K-Frage derzeit ist: Wo ist der Kanzler?“ Wenn der mal | |
öffentlich auftrat, redete er so leise, dass man ihn kaum verstand. Das | |
kann eine Machtdemonstration sein: der Chef, der die anderen zum Schweigen | |
bringt. Bei Scholz wirkte es eher verhuscht. Einmal musste er in einem | |
Interview klarstellen: „Ich bin jetzt der Bundeskanzler.“ | |
Scholz' Berater sehen diese zurückhaltende Performance anders. Der Kanzler | |
wisse, wie Dreierbündnisse funktionieren, und lasse auch andere glänzen. | |
Nicht als Demutsgeste, sondern als Machttechnik, um das Bündnis zu | |
stabilisieren. So ist nach 100 Tagen Scholz’ Führungsstil zu erkennen. In | |
Deutschland schraubt der Kanzler oft an Satzgebilden, die mehr verhüllen | |
als ausdrücken. Im Ausland ist das anders. [3][Bei CNN im Interview] und | |
bei der Pressekonferenz mit Putin war der Kanzler präzise, wach, | |
schlagfertig. | |
Im Normalmodus scheint er unauffällig bis zur Unsichtbarkeit, doch bei | |
Entscheidungen ist er präsent. Bei der Impfpflicht hebelte er mit einem | |
Satz den Fraktionszwang aus und setzte die Debatte damit auf ein neues | |
Gleis – auch wenn unklar ist, ob sich das nicht als Abstellgleis entpuppt. | |
Die Neuausrichtung der Außenpolitik mit Waffenlieferungen, Aufrüstung, | |
Sanktionen beschloss Scholz in kleinem Kreis in 48 Stunden. Top down. | |
Die Nachtseite des Ampel-Stils war am Donnerstag im Bundestag zu | |
besichtigen. [4][Der ukrainischen Präsident Wolodimir Selenski überbrachte | |
per Videobotschaft] bittere, emotionale Vorwürfe nach Berlin. Scholz saß | |
versteinert auf der Regierungsbank. Die Ampel-Fraktionen wollten danach | |
keine Debatte zulassen. Union und Linksfraktion empörten sich zu Recht über | |
diese wurschtige Art. Die Ampel drohe, „schon nach 100 Tagen so arrogant zu | |
sein wie andere nach 16 Jahren“, sagte Linksparteimann Jan Korte. | |
Das Auf und Ab im politischen Betrieb kennt vielleicht niemand so gut wie | |
Annalena Baerbock. Vor zehn Monaten war sie der aufstrebende Star, dann | |
nach aufgehübschtem Lebenslauf und Buch das trübe Gesicht des Scheiterns | |
des grünen Hypes. Als sie Außenministerin wurde, bespöttelten manche ihr | |
Englisch. Sie sei überschätzt. Im Sommer wirkte sie im Wahlkampf manchmal | |
fahrig. Das ist wie weggeblasen. Bei dem russischen Außenminister Lawrow | |
und vor der UN-Vollversammlung wirkte sie selbstsicher und ist nun die | |
beliebteste Ministerin in Deutschland. Das Amt macht die Frau. | |
Am Freitag skizzierte Baerbock in einer Grundsatzrede die Richtung. Man | |
brauche eine „Stärkung der europäischen Verteidigungsindustrie“ und eine | |
„glaubhafte nukleare Abschreckung der Nato“. Von nun müsse man Handel und | |
Infrastruktur mit Außen- und Sicherheitspolitik zusammen denken – das habe | |
die Energieabhängigkeit von Russland gezeigt. | |
Baerbock verkörpert auch, was diese Ampel zusammenhält. Es ist das Prinzip | |
kill your darlings. So ist die Grüne skeptisch bei der Forderung, gar kein | |
Gas, Öl und Kohle mehr aus dem Osten zu kaufen, um das Putin-Regime | |
finanziell noch mehr unter Druck zu setzen. „Wenn wir das machen, müssen | |
wir das auch durchhalten können“, sagt sie. Niemand wisse, was in einem | |
Jahr los sei. Eine globale Rezession? Eine noch größere Flüchtlingskrise? | |
Hungersnöte? Ein kollabierendes Russland? Und dann auch noch eine | |
Energiekrise in Deutschland? In diesem Nebel ist es nicht klug, zu schnell | |
zusätzliche Risiken einzugehen. | |
Viel Verantwortungsethik, wenig Gesinnungsethik. Dafür steht nun Baerbock | |
– noch eine Wendung, die vor ein paar Wochen niemand auf dem Zettel hatte. | |
Auch Habecks Staatssekretär Sven Giegold hält einen Importstopp für Energie | |
aus Russland derzeit für falsch – anders als viele seiner früheren | |
Mitstreiter aus den sozialen Bewegungen, die genau dies in einem offenen | |
Brief gefordert haben. „Ich kann diese Forderung aus der Zivilgesellschaft | |
nachvollziehen“, sagt er, „aber ich finde es richtig, ihr nicht kurzfristig | |
nachzugeben. Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Risiken wären | |
gewaltig.“ | |
Die Grünen sind für weitere Gaslieferungen aus Russland. Die SPD nickt eine | |
massive Aufrüstung ab. Die FDP macht Schulden. Kill your darlings. | |
Die Ampel läuft auch wegen der Achse Scholz-Lindner rund. Denn die alten | |
Lager – Rot-Grün und Schwarz-Gelb – gibt es eben doch noch. Beim Gros der | |
Themen, sagt eine Spitzen-Grüne, sei man der SPD näher als den Liberalen. | |
Weil drei nach dem Lehrbuch der Beziehungsdynamik „zwei gegen einen“ heißt, | |
macht Scholz, wenn es wichtig wird, mit Lindner gemeinsame Sache. | |
So wie nach dem Donnerstag, dem 24. Februar, als die russische Armee die | |
Ukraine überfiel. Scholz legte mit seinem Umfeld, darunter | |
Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt, Regierungssprecher Steffen Hebestreit | |
und Staatssekretär Jörg Kukies, den Fahrplan fest. Am Sonntag die | |
Regierungserklärung. Am Freitag kippte das Nein zum begrenzten Ausschluss | |
von Russland aus dem Swift-System und zu Waffenlieferungen an Kiew. Am | |
Samstag reifte der Plan, mit 100 Milliarden Euro die Bundeswehr zu | |
finanzieren. Eingeweiht war FDP-Minister Lindner. Um 22 Uhr 30 am | |
Samstagabend war der Plan fertig. | |
In einer Mischung aus selbst geschaffenen Zeitnot und Kalkül ließ der | |
Kanzler die eigene Fraktion und auch die grünen MinisterInnen im Unklaren, | |
was er genau vorhatte. Er setzte auf „die normative Kraft des Faktischen“, | |
so ein Scholz-Vertrauter. Der Plan ging auf. Der Protest von SPD-Linken und | |
Grünen verstummte, als klar wurde, dass damit, anders als bei einer | |
Erhöhung des Verteidigungsetats, Geld für Energiewende und soziale | |
Wohnungsbau bleiben. | |
Eine Bedrohung von außen schweißt zusammen. Interner Zoff tritt zurück, | |
wenn russische Raketen dicht an der polnischen Grenze einschlagen. Hat der | |
Krieg der Ampel vielleicht sogar geholfen? | |
Auch wenn kurzfristig klimaschädliches Gas durch zum Teil noch | |
klimaschädlichere Kohle ersetzt wird – langfristig wird der Umbau durch | |
Putins Krieg beschleunigt. In Baerbocks neuer außenpolitischer Strategie | |
gilt der Abschied von „fossilen Brennstoffen und schneller hin zu | |
erneuerbaren und effizienten Energien“ als „Investitionen in unsere | |
Sicherheit“. | |
Auch der Deal mit den Ländern um die Beschleunigung der Planungsverfahren | |
werde „jetzt einfacher“, sagt ein Scholz-Mann. „Ich denke, dass die | |
Widerstände deutlich geringer sein werden“, sagt auch Giegold. Denn in der | |
Ampel-Koalition traut sich niemand mehr, Einwände gegen die ambitionierten | |
Ausbaupläne für Wind- und Sonnenkraftwerke vorzubringen: „Erneuerbare | |
Energien sind eine Frage der nationale Sicherheit, diese Erkenntnis ist | |
inzwischen weit verbreitet“, meint Giegold. | |
Auch in der EU hat der 24. Februar viel verändert, berichtet Giegold am | |
Donnerstag nach einem Treffen der EU-Wirtschaftsminister. „Auch die | |
Osteuropäer, die bisher teilweise zögerlich waren, reden jetzt nur noch von | |
Erneuerbaren und Effizienz.“ Der Westen ist geeinigt, die Spaltung der EU | |
in West und Ost geschwunden. Die Energiewende ist auch sicherheitspolitisch | |
alternativlos. Das ist einer der vielen Effekte von Putins Krieg. | |
## Die Regierungsparteien in der Einzelkritik | |
Die SPD: Das Wahlprogramm der SPD 2021 vermittelte Klarheit. „Als die | |
Friedenspartei setzen wir auf Diplomatie und Dialog, auf zivile | |
Krisenprävention und Friedensförderung“, stand da. Man werde mit | |
entschlossenen „abrüstungspolitischen Offensiven“ eine „Welt ohne | |
Atomwaffen“ schaffen. Und zentral für die Friedenspartei SPD sei, ab jetzt | |
Rüstungsexporte wirklich restriktiv zu handhaben. Dass man keine Waffen in | |
Spannungsgebiete liefern würde, verstand sich hier von selbst. | |
Putins Krieg hat alles verändert. Nun liefert ein SPD-Kanzler | |
Panzerabwehrwaffen und Stinger-Raketen in den Krieg in der Ukraine. Statt | |
mit internationalen Abrüstungsinitiativen zu glänzen, wird der | |
Militäretat um 100 Milliarden Euro Sondervermögen aufgestockt – obwohl der | |
Wehretat sowieso in den letzten sieben Jahren von gut 30 auf 50 Milliarden | |
Euro gestiegen ist. Die SPD-Verteidigungsministerin kauft als Erstes | |
Tarnkappenjets in den USA ein – pro Stück für über 100 Million Euro. Vor | |
dem Abrüsten, falls das überhaupt wider auf die Tagesordnung kommt, wird | |
jetzt erst mal aufgerüstet. | |
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich, der wie kein Zweiter für das Bemühen um | |
zivile Konfliktverhinderung steht, bekam kürzlich in der Fraktion viel | |
Beifall. Der Krieg habe viel verändert, aber die Haltung der SPD sei noch | |
immer die gleiche, sagte er. Das klang eher nach Durchhalten und trotz | |
alledem. In der SPD zieht tatsächlich nicht mehr der von allen anerkannte | |
Abrüstungsexperte Mützenich die großen Linien. Das Sagen hat jetzt eher | |
Michael Roth, der einflussreiche Vorsitzende des Auswärtige Ausschusses, | |
der es schon seit Längerem für einen Trugschluss hält, „zu glauben, dass | |
wirtschaftliche Verflechtungen zu mehr Stabilität und Frieden führen“. | |
Und das ist, neben der Abrüstung, der zweite Teil der SPD-Programmatik, von | |
der Putins Raketen nicht viel übrig gelassen haben. Willy Brandt ließ 1970 | |
Erdgasröhren in die Sowjetunion liefern – dafür bekam die Bundesrepublik | |
Gas. Wandel durch Handel, das war die Devise. | |
Dass der Frieden sicher wird, wenn man gegenseitige wirtschaftliche | |
Verflechtungen schafft, war für viele in der SPD eine Art | |
Glaubensbekenntnis. In der SPD engagierten sich viele massiv für die | |
umstrittenen Pipeline Nord Stream 2 – und dafür, Putin gegenüber lieber | |
vorsichtig und stets auf Ausgleich bedacht aufzutreten. | |
Seit dem 24. Februar ist all das erst mal Geschichte. | |
Die Grünen: In ihrem Wahlprogramm zur Bundestagswahl hatten die Grünen eine | |
klare Position zu neuer Infrastruktur für fossiles Erdgas: „Neue | |
Hafenterminals zur Anlandung von Flüssigerdgas sollen nicht mehr genehmigt | |
werden“, war dort etwa zu lesen. | |
100 Tage nach dem Start der Ampelkoalition hat sich diese Position ins | |
Gegenteil verkehrt. Jetzt will Wirtschaftsminister und Vizekanzler Robert | |
Habeck neue Flüssiggasterminals an der deutschen Nordseeküste nicht nur | |
besonders schnell genehmigen, sondern deren Bau sogar mit staatlichem Geld | |
unterstützen. „Es geht darum, unsere Importmöglichkeiten zu erweitern“, | |
sagt Habeck zur Begründung. | |
Im Gegenzug wurde dafür zwar eine andere Forderung aus dem Wahlprogramm | |
Realität, die die Grünen selbst bisher für kaum realistisch gehalten haben | |
dürften: Die fertiggestellte, aber noch nicht genehmigte zweite | |
Ostseepipeline Nord Stream 2 wurde nach Ausbruch des Kriegs sofort | |
gestoppt. | |
Doch um zumindest mittelfristig auch auf das russische Gas verzichten zu | |
können, das bisher per Pipeline durch die Ostsee und durch die Ukraine und | |
Polen aus Russland kommt, müssen Alternativen geschaffen werden. Neben den | |
neuen Terminals gehören dazu auch neue Lieferanten, die bei den Grünen | |
bisher ebenfalls nicht als ideale Partner galten – etwa Katar: In das Land, | |
in dem weder Menschenrechte noch Freiheit viel zählen, reist Habeck in der | |
nächsten Woche, um zusätzliches Flüssiggas zu akquirieren. | |
Auch bei weiteren energiepolitischen Fragen haben der russische Krieg gegen | |
die Ukraine und der dadurch ausgelöste Wunsch, möglichst schnell von | |
Energielieferungen aus Russland unabhängig zu werden, alte grüne Wahrheiten | |
infrage gestellt. Selbst längere Laufzeiten für Atomkraftwerke hat Habecks | |
Ministerium zwischenzeitig geprüft – allerdings mit dem erwartbaren | |
Ergebnis, dass diese kurzfristig weder möglich noch hilfreich wären. | |
Anders sieht es bei den Kohlekraftwerken aus: Waren die Grünen hier mit dem | |
Ziel angetreten, deren Nutzung früher zu beenden als bisher geplant, wird | |
nun über eine Verlängerung gesprochen: Um auf einen möglichen Stopp der | |
Gaslieferungen aus Russland vorbereitet zu sein, werde geprüft, „ob und | |
inwiefern auch zur Stilllegung anstehende Kraftwerke in eine | |
vorübergehende Reserve überführt werden können, damit sie im Notfall zu | |
Verfügung stehen“, heißt es in einem Papier aus Habecks Wirtschafts- und | |
Klimaministerium. | |
Eine andere Grünen-Forderung, die den Bedarf an russischen Ölimporten | |
schnell senken würde, steht hingegen trotz des Kriegs nicht auf der Agenda: | |
Ein Tempolimit auf Autobahnen war im Koalitionsvertrag auf Druck der FDP so | |
klar ausgeschlossen worden, dass bisher niemand öffentlich daran rütteln | |
mag. Die Deutschen am unbegrenzt schnellen Fahren zu hindern – das ist | |
offenbar nicht mal in Zeiten von Krieg und Energieknappheit drin. | |
Die FDP: Ende Oktober verkündete FDP-Chef Christian Lindner, was die Ampel | |
auf keinen Fall tun werde. Die alte Regierung hatte rund 60 Milliarden Euro | |
Schulden für Corona bereitgestellt, die bislang nicht verwendet worden | |
waren. Die Milliarden jetzt für andere Zwecke zu nutzen, „wäre nicht | |
seriös“, sagte Lindner der ZDF-Talkshow „Maybritt Illner“. Die | |
Coronaschulden für das Großprojekt der Ampel – den klimaneutralen Umbau der | |
Industrie – zu nutzen, würden „als Geburtsfehler“ einer neuen Regierung | |
gebrandmarkt werden. Das wollte er verhindern. | |
Als Finanzminister tat Lindner ein paar Wochen später dann genau das, was | |
er als Parteichef ausgeschlossen hatte. Die 60 Milliarden Euro wurden | |
kurzerhand und in einer verfassungsrechtlich grenzwertigen Operation | |
umgebucht. Dass auch die Arbeitergeberverbände dies für schlicht nötig | |
hielten, um die Klimatransformation anzuschieben, beflügelte Lindners | |
Sinneswandel. | |
Die FDP hält zwar noch immer ihr Plakat aus Wahlkampfzeiten hoch: Keine | |
Steuererhöhungen, Einhaltung der Schuldenbremse. Aber faktisch setzt | |
Lindner alle Hebel in Bewegung, um Geld lockerzumachen. Hier 60 Milliarden | |
Euro, dann noch 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Aufrüstung der | |
Bundeswehr. So bleibt der Fetisch Schuldenbremse scheinbar unangetastet. | |
Doch in Wahrheit hat die FDP sich von der Austeritätspolitik verabschiedet. | |
„Sparen, sparen, sparen“ war jahrelang das Mantra der Liberalen. Jetzt | |
redet Lindner lieber davon, dass das Finanzministerium ein | |
„Ermöglichungsministerium“ sein soll. | |
Im Koalitionsvertrag steht, dass die Bahn AG und die bundeseigene | |
Immobiliengesellschaft Kredite aufnehmen dürfen. Faktisch hat die Ampel | |
damit die Möglichkeit eröffnet, sich jenseits des Haushalts Geld für | |
Investitionen zu leihen. Die FDP macht das mit – und wirft ihre | |
ordnungspolitischen Grundsätze über Bord. Ein Grund für diese Dehnbarkeit | |
ist die Erinnerung an 2009 und 2017. In der schwarz-gelben Regierung | |
beharrte die FDP lange und ergebnislos auf Steuersenkungen – 2013 flog sie | |
aus dem Bundestag. 2017 ließ Lindner starrsinnig Jamaika scheitern. | |
Die Lehre aus 2013 und 2017 scheint nun zu sein: Lieber flexibel regieren | |
als gesinnungstreu unterzugehen. Der Wandel hat allerdings etwas | |
Verdruckstes, Uneingestandenes. Die FDP bezahlt ihren Pragmatismus mit | |
Bigotterie. 2023 werde man die Schuldenbremse wieder brav einhalten, | |
verspricht Lindner. Im Hintergrund denken Liberale schon darüber nach, ob | |
man die Schuldenbremse nicht künftig einfach kreativer gestalten muss. | |
18 Mar 2022 | |
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