# taz.de -- Getötete Radfahrerin in Berlin: Es geht einfach so weiter | |
> Wieder ist eine Radlerin von einem rechtsabbiegenden LKW totgefahren | |
> worden. Radinitiativen werfen der Politik Nichtstun vor. | |
Bild: Einer dieser tödlichen Unfälle: Rechts abbiegender LKW tötet Radler*in… | |
BERLIN taz | Zeitungsleser*innen neigen dazu, Texte zu ignorieren, die | |
mit „Es ist immer dasselbe“ beginnen. Sie befürchten, nichts Neues zu | |
erfahren. Trotzdem fängt dieser Bericht genau so an. | |
Es ist immer dasselbe: Erneut ist eine Radfahrer*in gestorben, weil ein | |
Lastwagen sie beim Rechtsabbiegen offenbar übersehen und überrollt hat. Der | |
Unfall geschah am Freitag in der Nähe des Gesundbrunnens im Wedding; die | |
29-Jährige starb trotz Reanimierungsversuchen noch am Unfallort. Am | |
heutigen Sonntag findet um 18 Uhr an der Ecke Schönwalder | |
Straße/Reinickendorfer Straße eine Mahnwache statt, organisiert vom | |
Radlobbyverein Changing Cities. | |
Die Frau ist die neunte getötete Radlerin in diesem Jahr in Berlin. Im | |
Schnitt wurde etwa [1][die Hälfte der tödlichen Radunfälle] in den | |
vergangenen Jahren von rechtsabbiegenden Lastwagen verursacht – trotz aller | |
Mahnungen, Proteste und umfassender Berichte in den Medien. Insgesamt sind | |
2021 in Berlin bisher 17 Menschen im Fuß- und Radverkehr getötet worden. | |
Weil sich offenbar nichts an der Gefahr für Radler*innen durch rechts | |
abbiegende LKW ändert – es also wirklich immer dasselbe ist –, wirft | |
Changing Cities der Politik in Bund und Land Versagen und Ignoranz vor. | |
„Nichts zu tun ist offenbar am einfachsten“, sagte die Sprecherin des | |
Vereins, Ragnhild Sørensen, am Sonntag der taz. Sie forderte das Land auf, | |
flächendeckend Tempo 30 einzuführen, um die Straßen sicherer für alle zu | |
machen. | |
## Ampelschaltungen verändern | |
Doch es gebe noch weitere Möglichkeiten, so Sørensen. Die Ampelschaltungen | |
an Kreuzungen könnten so geändert werden, dass abbiegende Fahrzeuge und | |
geradeaus fahrende Radler*innen nie gleichzeitig grün haben. Teilweise | |
wird das [2][bereits gemacht]. | |
Auch rechtlich wäre mehr möglich, betont die Sprecherin des Vereins. London | |
könne dabei ein Vorbild sein: Dort habe die Stadt selbst eigene Vorgaben | |
für LKW festgelegt, darunter größere Glasflächen an der Beifahrertür, damit | |
die Fahrer*innen eine bessere Sicht haben. Auch die eigenständige | |
Einführung eines verpflichtenden elektronischen Abbiegeassistenten, der ein | |
Rechtsabbiegen bei Gefahr verhindert, sei möglich. „Ich sehe keinen Grund, | |
warum das nicht gehen sollte. Es ist offensichtlich politisch nicht | |
gewollt“, sagte Sørensen unter anderem an die Adresse der Grünen, denn die | |
Senatsverwaltung für Verkehr wird seit fünf Jahren von der grünen Senatorin | |
Regine Günther geleitet. | |
Auch der verkehrspolitische Sprecher der Grünenfraktion im | |
Abgeordnetenhaus, Stefan Taschner, sieht Handlungsbedarf. „Was die | |
veränderten Ampelschaltungen angeht, müssen wir deutlich schneller werden“, | |
sagte er der taz. Derzeit werden die Ampeln von einer externen Firma | |
gesteuert und gewartet; die Zusammenarbeit mit ihr gilt bisweilen als | |
schwierig und kompliziert. | |
Auf eigene Faust in Berlin einen verpflichtenden elektronischen | |
Abbiegeassistenten einzuführen, sei jedoch nicht möglich, sagt Taschner und | |
verweist auf ein Gutachten im Auftrag der Verkehrsverwaltung. Laut | |
EU-Verordnung gilt diese Pflicht für einen Teil der LKW erst ab 2024. | |
Immerhin habe Berlin einen großen Teil des eigenen Fuhrparks inzwischen mit | |
der Technik ausgestattet. | |
Taschner setzt für die Zukunft auf einen Mix unterschiedlicher Maßnahmen | |
baulicher wie juristischer Art – und auf mehr Polizei. Denn seit der | |
jüngsten Überarbeitung der Straßenverkehrsordnung dürfen LKW eigentlich nur | |
noch im Schritttempo rechts abbiegen: „Das muss die Polizei viel stärker | |
kontrollieren.“ | |
## Hoffen auf grüne Regierungsbeteiligung im Bund | |
Zudem hofft Taschner auf die anstehenden Koalitionsverhandlungen und eine | |
künftige Bundesregierung mit Beteiligung der Grünen, damit die | |
Verkehrswende auch im Bund ankomme. Stefan Gelbhaar teilt diese Hoffnung. | |
„Das Thema Verkehrssicherheit gehört auf jeden Fall in die | |
Koalitionsverhandlungen“, sagte der bisherige verkehrspolitische Sprecher | |
der grünen Bundestagsfraktion, der am 26. September seinen Wahlkreis Pankow | |
direkt gewonnen hat. | |
Eine neue Bundesregierung müsse sich zudem für Nachbesserungen auf EU-Ebene | |
einsetzen, was die Pflicht für elektronische Abbiegeassistenten angehe. | |
Bisher gelte die Pflicht nicht für Bestands-LKW. „Für diese Fahrzeuge | |
braucht es eine Lösung“, sagte Gelbhaar am Sonntag. Auch die rechtliche | |
Möglichkeit für Deutschland, eigene Regeln dafür aufzustellen, müsse noch | |
einmal geprüft werden. Drittens müsse dringend über eine umfangreiche | |
Förderung für die Umrüstung solcher Fahrzeuge nachgedacht werden, so | |
Gelbhaar. | |
3 Oct 2021 | |
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## AUTOREN | |
Bert Schulz | |
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