# taz.de -- Gestiegene Energiekosten: Heizen als Schuldenfalle | |
> Immer mehr Menschen erhalten horrende Nebenkostenforderungen. Die Linke | |
> in Berlin fordert einen Heizkostenfonds, der Mieterverein rät zur | |
> Prüfung. | |
Bild: Wegen der hohen Energiekosten bleiben die Heizungen bei vielen auch im Wi… | |
BERLIN taz | In dem kleinen Raum im Abgeordnetenhaus ist es am Dienstag | |
recht kühl – die Heizung wurde offensichtlich nicht eingeschaltet. Damit | |
geht es den Abgeordneten der Linksfraktion, die dort eine Pressekonferenz | |
abhalten, nicht anders als vielen Mieter*innen: Sie frieren. | |
Doch dass immer mehr Menschen wegen [1][massiv gestiegener Energiekosten] | |
ihre Heizung im Winter ausschalten, hilft offenbar wenig: Laut Berliner | |
Mieterverein gibt es trotz gesunkenen Energieverbrauchs horrende | |
Nachforderungen für Betriebskosten für das Jahr 2022. „Für viele Mieter ist | |
das nicht zu stemmen“, sagt Geschäftsführerin Wibke Werner der taz. | |
Mit fatalen Konsequenzen: Im schlimmsten Fall führt das zum Verlust der | |
Wohnung. „Es braucht dringend einen Topf für die Energieschulden von | |
Haushalten, die diese nicht bezahlen können“, fordert daher die | |
Mieterschützerin. | |
Ein Konzept für einen solchen Heizkostenfonds stellte die Linksfraktion am | |
Dienstag vor: „Die hohen Nachzahlungen treffen vor allem Menschen mit | |
geringen und mittleren Einkommen, die kaum Rücklagen für solche Situationen | |
bilden konnten, besonders hart“, sagt Fraktionsvorsitzende Anne Helm. | |
## Zu den hohen Mieten kommen nun hohe Nebenkosten | |
Forderungen von bis zu [2][9.000 Euro, wie sie etwa von der Vonovia] – | |
teils unzulässigerweise – verschickt werden, bringen diese Menschen in | |
ernste Schwierigkeiten. Doch nicht nur die privaten Vermieter, auch | |
landeseigene Wohnungsbaugesellschaften verschicken massenhaft | |
Nachzahlungsforderungen: 146.000 sind es laut Linke bei den Landeseigenen – | |
über 41 Prozent der Haushalte. | |
Zwar beträgt die durchschnittliche Nachzahlung „nur“ rund 317 Euro, in | |
einigen Fällen liegt der Betrag jedoch deutlich höher: In Tegel etwa | |
verlangte die Gewobag bis zu 7.000 Euro. | |
Da der [3][Härtefallfonds Energieschulden] nur in Fällen abdeckt, wo eine | |
Strom- oder Gassperre droht, fordert die Linksfraktion einen | |
unbürokratischen Heizkostenfonds. Mieter*innen, deren | |
Betriebskostennachforderung eine monatliche Nettokaltmiete übersteigt und | |
die nicht in der Lage sind, diese zu bezahlen, sollen einen Antrag auf | |
Kostenübernahme stellen können. | |
Zwar gibt es bislang keine konkreten Zahlen, wie viele Menschen in Berlin | |
davon betroffen sind, laut Statistischem Bundesamt können jedoch bundesweit | |
5,5 Millionen Haushalte ihre Wohnungen aus Geldmangel nicht angemessen | |
heizen. Aus Gesprächen mit Mieter*innen geht der mietenpolitische | |
Sprecher der Linksfraktion, Niklas Schenker, von einem „systematischen | |
Problem“ aus: „Das Thema hohe Heizkosten löst das [4][Thema hohe Mieten] | |
ab.“ | |
## Senat sieht die Verantwortung bei den Mieter*innen | |
Der Fonds soll sich an Haushalte richten, deren Einkommen bis zu 180 | |
Prozent über den Einkommensgrenzen für einen Wohnberechtigungsschein 280 | |
liegt – das seien rund 75 Prozent der Berliner*innen. Das Gesamtvolumen | |
wird mit 10 Millionen Euro veranschlagt und soll aus Mitteln der | |
Eigentumsförderung finanziert werden. | |
Die rot-grün-rote Vorgängerregierung hätte bereits Rücklagen dafür | |
eingeplant, sagt Helm, die seien aber vom schwarz-roten Senat „geplündert“ | |
worden. | |
Schenker sieht bei den Regierungsverantwortlichen eine | |
„Problemverweigerung“. Obwohl es sich um „sehr, sehr viele Fälle“ hand… | |
würden diese als Einzelschicksale abgetan. Dass der Senator für | |
Stadtentwicklung und Wohnen, Christian Gaebler (SPD), die Schuld bei den | |
Mieter*innen sucht, wenn er dem Tagesspiegel sagt, dass diese auch eine | |
Eigenverantwortung hätten und man „die Temperatur nicht mit ‚Fenster auf, | |
Fenster zu‘ regulieren“ könne, helfe da wenig. Auf taz-Anfrage wollte sich | |
die Senatsverwaltung nicht dazu äußern. | |
## Immer mehr Zwangsräumungen | |
Zusätzlich fordert die Linksfraktion ein Kündigungsmoratorium. „Der Senat | |
sieht der drohenden Räumungswelle tatenlos zu“, kritisiert Schenker. Dabei | |
sind die Zahlen von [5][Zwangsräumungen] in den vergangenen Jahren wieder | |
stark angestiegen, wie aus einer aktuellen Antwort des Senats auf eine | |
Grünen-Anfrage hervorgeht. | |
Demnach wurden 2023 insgesamt 3.821 Räumungsklagen eingereicht – rund 60 | |
mehr als im Jahr zuvor und sogar 1.621 mehr als 2021 und 1.105 mehr als | |
2020. Tatsächlich geräumt wurden rund 2.400 Haushalte, im vergangenen Jahr | |
waren es noch 1.931 und im Jahr davor 1.668. | |
„Die meisten Räumungsklagen gab es in Marzahn-Hellersdorf und Mitte, wo | |
besonders viele von Armut betroffene Menschen leben“, sagt Taylan Kurt | |
(Grüne). Wegen der unzureichenden Daten des Senats geht er jedoch von einer | |
hohen Dunkelziffer aus. | |
„Was mich beunruhigt, ist die massive Zunahme der [6][Räumungen von | |
Senior*innen] und Familien.“ So wurden in Steglitz-Zehlendorf 101 | |
Familien mit Kind geräumt, in Mitte 43 Bedarfsgemeinschaften mit Kindern, | |
davon eine mit sechs Kindern. Dort wurden 2023 zudem 51 Personen über 60 | |
Jahren geräumt. | |
## Nachforderungen teils unberechtigt | |
„Eine soziale Katastrophe“, findet Kurt. „Alte Menschen werden entwurzelt | |
und aus ihrem Versorgungsnetzwerk gerissen.“ Ähnliches gelte für Familien, | |
zumal die große [7][Schwierigkeiten auf dem Immobilienmarkt] hätten. | |
„Finden Sie mal eine Wohnung für eine Familie mit sechs Kindern.“ Dass die | |
dann in einer Wohnungsloseneinrichtung lande, könne nicht die Lösung sein. | |
Kurt fordert daher, Zwangsräumungen bei vulnerablen Gruppen ganz | |
auszusetzen. „Eigentum geht nicht über alles“, sagt der Grünen-Politiker. | |
Auch brauche es mehr Informationen über die Ursachen und was mit den | |
Menschen nach der Räumung passiert, um Räumungen in Zukunft zu verhindern. | |
Damit Menschen wegen ihrer Nebenkostenabrechnungen ihre Wohnung nicht | |
verlieren, rät der Mieterverein, die Nachforderungen gründlich zu prüfen | |
und Belegeinsicht zu fordern. „Teilweise sind diese nicht gerechtfertigt, | |
teilweise sehr intransparent“, kritisiert Geschäftsführerin Wibke Werner. | |
Insbesondere die Preisgestaltung bei Fernwärmeverträgen sei „ein Buch mit | |
sieben Siegeln“. | |
Werner fordert auch die Vermieter auf, Preissteigerungen nicht einfach | |
weiterzugeben, sondern zu prüfen. Hat alles seine Richtigkeit, bleibe den | |
Mieter*innen nichts übrig, als um Ratenzahlungen zu bitten – auch wenn | |
die [8][Gefahr der Verschuldung] droht. | |
6 Feb 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Hohe-Kosten-fuer-Gas-und-Strom/!5965703 | |
[2] /Protest-gegen-Immobilienriesen/!5985200 | |
[3] /Energieschulden-in-Berlin/!5958840 | |
[4] /Veranstaltungsreihe-in-Berlin/!5933575 | |
[5] /Zwangsraeumungen-in-Berlin/!5961722 | |
[6] /Zwangsraeumung-mit-81-Jahren/!5979877 | |
[7] /Wohnungssuche-in-Staedten/!5845194 | |
[8] /Finanzielle-Belastung-durch-Krisen/!5949764 | |
## AUTOREN | |
Marie Frank | |
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