# taz.de -- Georgische Regisseurin über Streaming: „Glaube an die Macht der … | |
> Die georgische Regisseurin Dea Kulumbegashvili spricht über passive | |
> Frauenrollen und den Preis ergebnisoffener Arbeit. Anlass ist Ihr | |
> Spielfilmdebüt „Beginning“. | |
Bild: Szene aus Dea Kulumbegashvilis Spielfilmdebüt „Beginning“ | |
taz: Frau Kulumbegashvili, was war der Beginn von „Beginning“? | |
Dea Kulumbegashvili: Im Februar 2017 war ich mit meinem Co-Autor Rati Oneli | |
auf der Berlinale, wo er im Forum seinen Film „City of the Sun“ | |
präsentierte, an dem ich auch mitgearbeitet hatte. Weil ich plötzlich sehr | |
krank wurde, musste ich die ganze Zeit im Hotel bleiben und las dort | |
obsessiv Artikel über eine Frau in Georgien, die beschuldigt wurde, ihr | |
Kind getötet zu haben. | |
Ich hatte zuvor ein Drehbuch über eine ähnliche Protagonistin wieder | |
verworfen und plötzlich wusste ich, was ich erzählen wollte. Für mich war | |
gar nicht die schockierende Tat relevant, mich interessierte vor allem | |
diese Frau selbst und ihr scheinbar gewöhnliches Leben, was immer das | |
heißen mag. Sie ähnelte in vielem den Menschen in dem Dorf, in dem ich | |
aufgewachsen war. | |
Sie spiegeln den inneren Konflikt der Protagonistin als Ehefrau und Mutter | |
mit den Zwängen und der Gewalt, die sie von außen, in einer von Patriarchat | |
und Kirche geprägten Gesellschaft, bedrohen. Wie entwickelten Sie das im | |
Drehbuch? | |
Ganz ehrlich musste ich mir immer wieder Fragen anhören, warum sie so | |
passiv ist, warum sie nicht stärker auf die Übergriffe reagiert. Aber ich | |
glaube, es ist so wahrhaftiger und entspricht eher menschlichem Verhalten, | |
auch wenn man die Figur nicht in jedem Moment versteht oder ihr Tun nicht | |
logisch erscheint. Diese Essenz des Jetzt ist mir wichtiger als eine | |
lineare Erzählstruktur mit Ursache und Wirkung, denn so sehe ich auch das | |
Leben. Oft ergibt es erst im Rückblick einen Sinn. | |
Sie inszenieren diese Momente in sehr präzisen, tableauartigen | |
Einstellungen. | |
Ich glaube fest an die Macht der Kamera, alles hängt davon ab, wie sie | |
positioniert ist. Sie fängt etwas Immaterielles ein, ein Gefühl von | |
Beklemmung und Angst. Wenn man die Kamera aufstellt und eine Figur in einen | |
räumlichen und zeitlichen Bezug setzt, kreiert man eine subjektive Welt. | |
Wir erleben alles durch ihre Erfahrungen und es passiert etwas, das nicht | |
bis ins Letzte zu erklären ist. | |
Oft ist dabei das, was sich außerhalb des Bildes abspielt, ebenso wichtig | |
wie das Geschehen vor Kamera. Haben Sie diese Bilder bereits konkret im | |
Kopf oder entstehen Sie bei dem Dreh? | |
Ich bin selbst in dem Ort aufgewachsen, aber ich war lange weg. Ich habe | |
mit meinem Kameramann etwa vier Monate in der Gegend verbracht, nicht nur | |
um Drehorte zu finden, sondern auch ein Gespür für die Menschen und wie sie | |
leben. Bis auf die drei Hauptrollen stammen alle Darsteller aus der Gegend. | |
Wir probten monatelang und entwickelten gemeinsam die Figuren. Erst dann | |
zeichnete ich die Storyboards und entschied mich für das sehr enge, fast | |
quadratische 1:33-Bildformat, um das Klaustrophobische dieser Welt | |
einzufangen. | |
Diese lange Vorbereitungszeit ist eine Herausforderung, aber auch ein | |
Luxus, den Filmemacher meist nicht haben. Wie haben Sie diesen Grad an | |
kreativer Freiheit erreicht? | |
Meine Vorstellung von Filmemachen ist eine sehr romantische. Ich arbeite | |
mit einem kleinen Team Gleichgesinnter, die ebenso fürs Kino brennen wie | |
ich. Und ich bin immer sehr ehrlich, das schafft ein hohes Maß an | |
Vertrauen. Wenn ein Drehtag schlecht war, habe ich mich entschuldigt und | |
wir drehten es am nächsten Tag nochmal. Dadurch gibt es natürlich auch | |
Probleme, nicht jeder ist mit dieser Art zu arbeiten einverstanden. Einige | |
Crewmitglieder haben mittendrin hingeschmissen, weil sie es als | |
Zeitverschwendung empfanden. | |
Woher kommen diese Klarheit und Selbstsicherheit als Regisseurin bereits | |
bei Ihrem ersten Langfilm? | |
Ach, der Prozess ist gar nicht selbstsicher, sondern im Gegenteil von | |
großer Verletzlichkeit und Offenheit geprägt. Emotionen sind sehr wichtig, | |
auch wenn von jungen Regisseuren und vor allem Regisseurinnen anderes | |
verlangt wird. Und als Frau wird einem das schnell als Schwäche | |
vorgeworfen. Ich muss am Set wissen, was ich tue und was ich will, ich | |
suche und treffe Entscheidungen, und daraus entsteht Selbstsicherheit, | |
nicht umgekehrt. | |
Zuvor drehten Sie Kurzfilme, die in Cannes und auf zahlreichen anderen | |
Festivals liefen. Wie kamen Sie zum Filmemachen? | |
Ich studierte zunächst Literatur und Philosophie, dann Medienwissenschaften | |
in New York, bevor ich an der Columbia University Filmemachen lernte. Und | |
dort konnte mich als Georgierin niemand so richtig einordnen, ich war immer | |
zwischen den Stühlen oder im Hintergrund. Diese Erfahrung war für mich sehr | |
wichtig, weil ich erkannte, dass ich meinen Weg selbst bestimmen muss und | |
es nicht darum geht, möglichst gut im Studium zu sein. Und ich wurde oft | |
kritisiert für meine Arbeiten. Aber ich lernte dort auch Menschen kennen, | |
mit denen ich heute noch arbeite. | |
Sie kehrten dann aus New York zurück, um im Dorf Ihrer Kindheit einen Film | |
zu drehen, der gesellschaftliche Strukturen in Georgien anprangert. Spürten | |
Sie Widerstand? | |
Es gab zunächst große Vorbehalte und Argwohn. Es war nicht leicht, | |
Vertrauen zu gewinnen, aber es half, dass ich von dort stamme und | |
persönlich mit jedem sprach. Zu Beginn wohnten wir im Hotel, und nach ein | |
paar Wochen kam die Kellnerin an unseren Tisch und fragte, wann denn nun | |
der Regisseur ankommen würde. Sie hatte ein festes Bild davon im Kopf, und | |
als ich ihr sagte, dass ich den Film inszeniere, war sie sichtlich | |
enttäuscht. Aber langsam änderte sich die Einstellung, vor allem bei der | |
jüngeren Generation, und am Ende war das halbe Dorf Teil des Films, vor und | |
hinter der Kamera. | |
Wie sieht die Filmszene in Georgien aus? | |
Es gibt eine winzige staatliche Filmförderung, aber wir Filmemacher | |
unterstützen uns gegenseitig. Die Ressourcen sind sehr gering, es gibt kaum | |
Equipment. Gleichzeitig wirbt Georgien für sich in Hollywood als günstigem | |
Drehstandort. Als wir unseren Film drehten, wurden parallel Teile von „Fast | |
and Furious“ gefilmt, und die Filmausrüstung des gesamten Landes war | |
vermietet. Es war ein Desaster, wir bekamen noch nicht mal Kabel oder | |
Akkus. Mein Kameramann versuchte, Material auf Ebay zu kaufen. | |
„Beginning“ startet nun nicht auf der großen Leinwand, sondern exklusiv auf | |
dem Streamingdienst Mubi und kann theoretisch weltweit in jedem Dorf | |
gesehen werden. Eine ambivalente Situation… | |
Aber hochinteressant! Wie verändert es unsere Wahrnehmung, wenn wir auf ein | |
Display schauen statt auf eine Leinwand? Ich arbeite mit Bildern und Tönen | |
und habe dabei natürlich die idealen Vorführbedingungen im Kopf. Jedes | |
Geräusch und jede Stille in meinem Film sind relevant, ich achte auf die | |
kleinste Nuance, jeder Fußtritt ist separat aufgenommen. | |
Selbst der Sounddesigner machte sich darüber lustig. In manchen Szenen | |
wollte ich völlige Stille, damit das Kinopublikum den eigenen Atem hört. | |
Was passiert damit alleine vor einem Bildschirm? Ich glaube, diese | |
Auseinandersetzung mit der Wahrnehmung wird meinen nächsten Film | |
beeinflussen. | |
29 Jan 2021 | |
## AUTOREN | |
Thomas Abeltshauser | |
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