# taz.de -- Georgiens Regierungschef in Berlin: Zwischen EU und Moskau | |
> Kanzler Olaf Scholz hat seinen georgischen Amtskollegen Irakli | |
> Garibaschwili getroffen. Auch die Außenpolitik war Thema. Denn Georgien | |
> blickt gen Kreml. | |
Bild: Proteste gegen die Aufnahme von Direktflügen zwischen Georgien und Russl… | |
BERLIN taz | Neun Monate ist es her, dass Kanzler Olaf Scholz Georgiens | |
Premier Irakli Garibaschwili in Berlin empfing. Damals bot Scholz Georgien | |
auf seinem Weg in die EU freundlich Amtshilfe an und ermutigte Tbilissi, | |
Reformen anzugehen. | |
Mittlerweile fragt man sich, ob der Südkaukasusrepublik noch zu helfen ist. | |
Denn Vertreter*innen der seit 2012 regierenden Partei Georgischer Traum | |
(KO) senden Signale, die Zweifel an der Ernsthaftigkeit der EU-Aspirationen | |
des Landes aufkommen lassen. An diesem Freitag wurde Garibaschwili erneut | |
in Berlin vorstellig. Er erwarte interessante und gehaltvolle | |
Unterredungen, hatte Georgiens Premier verlauten lassen. In der Tat: | |
Gesprächsstoff gibt es genug. | |
Anders als der Ukraine und der Republik Moldau wurde Georgien der | |
EU-Kandidatenstatus im Juni 2022 verweigert. Tbilissi muss nachsitzen und | |
einen Brüsseler 12-Punkte-Plan abarbeiten – Wiedervorlage Ende 2023. Doch | |
anstatt sich um Korruptionsbekämpfung, Reformen und andere Aufgaben zu | |
kümmern, hat die Regierung offensichtlich andere Prioritäten. | |
Im März versuchte die Regierung im Parlament ein Gesetz über „ausländische | |
Agenten“ nach russischem Vorbild durchzubringen: | |
Nichtregierungsorganisationen, die finanzielle Mittel aus dem Ausland | |
erhalten, sollten künftig gezwungen sein, ihre Geldgeber offenzulegen. Nach | |
tagelangen Massenprotesten wurde das Projekt wieder fallen gelassen. | |
## Straftatbestand Vandalismus | |
Besonders, wenn es um Grundrechte geht, nimmt es die Regierung mit | |
demokratischen Werten nicht so genau. Aktuell stehen mehrere Aktivisten | |
wegen Vandalismus und Widerstandes gegen die Polizei vor Gericht. Einer | |
hatte bei einer Kundgebung Anfang Juni ein leeres Blatt Papier in die Höhe | |
gehalten, ein anderer Parolen, die Garibaschwili verunglimpfen. Dieser | |
bezeichnete die Aktivisten und ihre Unterstützer als schwache und | |
marginalisierte Opposition, die nicht anders könne, als auf persönliche | |
Beleidigungen zurückzugreifen. | |
Ende Mai sorgte zudem eine Äußerung von Garibaschwili auf dem | |
Sicherheitsforum GLOBSEC im slowakischen Bratislava für Aufsehen. Russland | |
habe den Krieg gegen die Ukraine wegen der Nato-Erweiterung begonnen, sagte | |
er. [1][Der Annäherungskurs der Regierung an Russland], das seit dem Krieg | |
gegen Georgien um die Region Südossetien im August 2008 20 Prozent des | |
georgischen Territoriums besetzt hält, löst bei vielen Georgier*innen | |
nachvollziehbare Ängste vor einer feindlichen Übernahme der besonderen Art | |
aus. | |
Seit dem vergangenen Jahr sind, vor allem kriegsbedingt, über 100.000 | |
Menschen aus der Russischen Föderation nach Georgien gekommen – veritabler | |
Sprengstoff für die georgische Gesellschaft. Diese will, wie Umfragen | |
zeigen, ihr Land mehrheitlich in der EU und der Nato sehen. | |
Im Mai [2][hob Moskau die Visapflicht für Georgier*innen sowie das | |
Verbot von Direktflügen russischer Fluggesellschaften nach Georgien auf] – | |
zur Freude der georgischen Regierung und heimischer Airlines. Mit ihnen | |
gelangen russische Staatsbürger*innen als Transitreisende via Tbilissi | |
bequem nach Europa, was die EU-Sanktionen gegen Moskau unterläuft. | |
## Wertvoller Beitrag | |
Dazu scheint Georgien auch noch auf anderen Wegen seinen wertvollen Beitrag | |
zu leisten. Laut einem Beitrag der US-amerikanischen Tageszeitung Politico | |
habe Washington fünf Staaten identifiziert, die Russland hülfen, die | |
Sanktionen zu umgehen – einer ist Georgien. | |
Diesen Verdacht nährt auch ein Blick auf die deutsch-georgischen | |
Handelsbeziehungen. 2022 wuchsen deutsche Exporte um 53,6 Prozent, für | |
Januar bis März 2023 ist eine Steigerungsrate von 92,1 Prozent im Vergleich | |
zum gleichen Zeitraum des Vorjahres zu verzeichnen. | |
Laut des georgischen Politologen Lela Basadze wolle sich Scholz bei dem | |
Treffen Klarheit verschaffen: Will Tbilissi weiter profitable Geschäfte mit | |
Russland machen oder in die EU, um dort ein zweites Ungarn zu werden? Um | |
das zu erfahren, müsse Scholz mit Bidzina Iwanischwili sprechen, sagte | |
Basadze der Deutschen Welle. Der Milliardär, KO-Gründer und | |
Ex-Regierungschef zieht noch immer die Strippen in der Politik. | |
9 Jun 2023 | |
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## AUTOREN | |
Barbara Oertel | |
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