# taz.de -- Russischer Einfluss in Georgien: Vom Kreml verschlungen | |
> Die Menschen in Georgien sehen sich mehrheitlich als Europäer, der | |
> prorussischen Regierung des Landes ist das egal. Was Putin in der Ukraine | |
> nicht gelingt, soll nun in Georgien klappen. | |
Bild: Die Mehrheit ist für Europa: Eine Frau hält während einer Demo in Tifl… | |
Es war ein Bild, das um die Welt ging: Eine Georgierin hält auf einer | |
Demonstration in der Innenstadt von Tiflis eine azurblaue Fahne mit zwölf | |
gelbgoldenen Sternen in der Hand, Wasserwerfer sind auf sie gerichtet. | |
Die Frau rührt sich nicht von der Stelle, umklammert die Fahne mit beiden | |
Händen, schwenkt das Stück Stoff verzweifelt hin und her. Es ist Anfang | |
März dieses Jahres, die Proteste richten sich gegen das | |
„Ausländische-Agenten-Gesetz“, das nach russischem Vorbild eingeführt | |
werden soll. | |
Zwei Wochen später. Eine faschistische Gruppierung reißt eine vor dem | |
georgischen Parlament gehisste EU-Fahne vom Mast, verbrennt sie vor | |
laufenden Kameras, in Anwesenheit der Polizei. Wenn die georgische | |
Regierung bis dato versucht hatte, ihre guten Beziehungen zum Kreml zu | |
verschleiern, verkündete sie fortan voller Stolz ihre Freundschaft mit | |
Russland. | |
Mit jenem Russland, das 20 Prozent des Landes okkupiert hat und dessen | |
Panzer eine halbe Stunde Autofahrt von Tiflis entfernt stehen. Europa und | |
die EU werden indes von der Regierung beschuldigt, sich in die Souveränität | |
des Lands einzumischen. | |
## Jeden Tag landen Russen in Georgien | |
Vor wenigen Tagen wurde nach einem Spezialerlass von Russlands Präsidenten | |
Putin auch der direkte Flugverkehr zwischen Russland und Georgien wieder | |
aufgenommen. Den georgischen Flughäfen und Fluggesellschaften drohen | |
seitdem Sanktionen der USA, die bereits einige Mitglieder des Obersten | |
Justizrats Georgiens und deren Familien mit Sanktionen belegt haben. | |
Jeden Tag landen also nun Russen in Georgien, kaufen Häuser und Ländereien | |
auf, eröffnen dort neue Geschäfte. Russisches Kapital fließt ununterbrochen | |
ins Land und wieder zurück nach Russland, wo es den Krieg gegen die Ukraine | |
finanziert: den Mord an der friedlichen Bevölkerung, die sexualisierte | |
Gewalt gegen Frauen und die Entführung von Kindern. | |
Die Mehrheit der georgischen Bevölkerung ist gegen die Annäherung an | |
Russland. Eine Umfrage ergab kürzlich, dass 89 Prozent der Bevölkerung gern | |
in die EU wollten. In den Großstädten finden permanent Proteste statt, aber | |
der prorussischen georgischen Regierung ist die eigene Bevölkerung völlig | |
egal. Die Machthaber, die über die Armee und die Polizei verfügen, | |
unterdrücken jeglichen Protest mit vielerlei Methoden und Provokationen. | |
## List, Erpressung und Verrat | |
Russland kämpfte immer schon gegen die georgische Sprache, wollte diese | |
abschaffen und durch das Russische ersetzen: damals, als Georgien im | |
Zarenreich russifiziert wurde, und auch dann, als es zur Sowjetunion | |
gehörte. Das russische Imperium wollte das kleine Land schon immer mit | |
List, Erpressung und Verrat in seine Einflusssphäre ziehen. | |
Heute hört man in Tiflis und Batumi eher Russisch als Georgisch auf den | |
Straßen. Es gibt auch Cafés, deren Personal nur noch Russisch spricht. Der | |
lang gehegte Traum der Russen, ein Georgien ohne Georgier, scheint Realität | |
zu werden. Die jungen Leute finden in diesem schönen Land keinen Platz mehr | |
für sich, die Zahl der Emigrant:innen ist enorm angestiegen. Wer kann, | |
versucht auszureisen. | |
Russland verschlingt Georgien. Was dem Kreml in der Ukraine nicht gelungen | |
ist, soll in Georgien gelingen. Mithilfe der georgischen Regierung. Nach | |
den Schwierigkeiten in der Ukraine braucht Putin wenigstens irgendwo einen | |
kleinen Sieg. Warum nicht in Georgien? | |
## Iwanischwili ist ein feiger Mensch | |
Am 26. Mai war der Tag der georgischen Unabhängigkeit. In diesem Jahr | |
wurden zu diesem Anlass in der Hauptstadt neben den georgischen Fahnen | |
keine EU-Fahnen gehisst, wie es früher üblich war. Das ist kein | |
unwesentliches Detail, sondern ein sehr wichtiges Symptom der georgischen | |
Malaise. Moskau wollte im Zentrum von Tiflis kein europäisches Symbol | |
sehen. | |
Auch der Oligarch Bidsina Iwanischwili sollte es nicht zu sehen bekommen. | |
Iwanischwili ist Putins Handlanger und inoffizieller Regent Georgiens. Er | |
hat 2012 die Wahl gekauft und Micheil Saakaschwili besiegt. Iwanischwili | |
ist ein feiger Mensch. Er regiert das Land heimlich aus seiner Residenz | |
heraus, mittels seiner Marionettenregierung. Deren Mitglieder versuchen | |
sich gegenseitig zu übertrumpfen, die Sonderwünsche des Oligarchen wortlos | |
zu erfüllen. | |
## Er fürchtet Europa, das freie Wort | |
Georgien ist heute eine hässliche Autokratie. Iwanischwili, der in Russland | |
zu seinen Milliarden gekommen ist, versteckt sich auf seinen Ländereien, | |
umgeben von Zebras und Haifischen. Das ist keine Metapher, der Oligarch hat | |
ein Faible für exotische Tiere. Seine Anwesen sind voller Tiger und | |
Pinguine. Iwanischwili verdankt Moskau sein Vermögen und versucht heute | |
alles, um Georgien so weit wie möglich von Europa zu entfernen. | |
Er fürchtet Europa, die Transparenz, das freie Wort. Er ist an Korruption | |
gewöhnt. Er ist an den russischen und sowjetischen Führungsstil gewöhnt. | |
Er versucht der georgischen Jugend die europäische Zukunft zu nehmen und | |
sie an den Kreml auszuliefern. Sein wichtigstes Ziel: bei den Wahlen 2024 | |
in Georgien die Macht zu erhalten. Mit Putins Unterstützung. Gewinnt er | |
diese Wahl, wird Georgien zu Russland, wird Georgien zu Belarus, dann | |
verschwindet Georgien vollkommen. | |
## Der Ex-Präsident wird schonungslos bestraft | |
Derweil wird Ex-Präsident Saakaschwili im Gefängnis festgehalten. Der fast | |
zwei Meter große Mann wiegt heute noch knapp 60 Kilo. Er ist so geschwächt, | |
dass er sich in seiner Zelle, einem vergitterten Krankenzimmer, nicht ohne | |
Hilfe fortbewegen kann. | |
Der frühere Präsident wird so schonungslos bestraft, weil er es gewagt | |
hatte, sich Putin zu widersetzen. Für Russland war eines seiner größten | |
Verbrechen, dass er die georgische Jugend ermutigt hatte, lieber Englisch | |
als Russisch zu lernen und ihre Identität in Europa zu verorten. Diese | |
unabdingbare und historische Bestrebung von Georgien steht auch in der | |
Verfassung schwarz auf weiß geschrieben. Die gegenwärtige Regierung hat sie | |
in leere Worte verwandelt. | |
Neben vielen Verdiensten, die er sich erwarb, hat Saakaschwili zweifelsohne | |
auch viele Fehler begangen. Die Stärkung der georgischen orthodoxen Kirche | |
war einer davon. Niemals zuvor war diese Institution so stark wie heute. | |
Sie ist ein Staat im Staat. Diese Institution verfolgt, verletzt und tötet | |
Angehörige sexueller Minderheiten in Georgien. | |
Genauso wie die Regierung wünscht sich auch die georgische Kirche eine | |
manipulierte Masse und die Nähe zu Russland. Über ihr geistiges Oberhaupt | |
ab 1977, Ilia II., soll sich der ehemalige Präsident Eduard Schewardnadse | |
einst so geäußert haben: Sie (die Kommunisten) hätten ihn als Patriarchen | |
der georgischen Kirche benannt. Dieser sowjetische Führungsstil hat sich | |
bis heute erhalten und vereint die russische und georgische Kirche. Die | |
georgische Kirche ist der verlängerte Arm der russischen. | |
## Die Regierung ist gegen Europa | |
Auf Putins direkten Befehl wurde ab dem 16. Mai für die georgischen Bürger | |
[1][die Visumspflicht für Russland aufgehoben]. Die Propaganda der | |
georgischen Regierung verkündet: Während die USA über uns Sanktionen | |
verhängen, die EU uns nicht gebührend Achtung zollt und die Nato uns nicht | |
in ihr Bündnis aufnimmt, verliert Russland keine Zeit. So absurd es klingt, | |
wiederholt die georgische Regierung im Fernsehen jeden Tag die | |
Verschwörungstheorie, dass der Westen Georgien in den Krieg | |
hineinziehen wolle. Dass Europa uns nicht freundlich gesinnt sei. Dass | |
Europa, wo der Papa nicht mehr Papa und die Mama nicht mehr Mama heißen | |
darf, wo das Kind beliebig sein Geschlecht verändert kann, gefährlich für | |
die georgische Identität sei. | |
In George Orwells Roman „1984“ heißt es: „Krieg bedeutet Frieden. Freihe… | |
ist Sklaverei. Unwissenheit ist Stärke.“ Das ist auch das Diktum der | |
georgischen Regierung. Während die zivilisierte Welt die Kontakte zu | |
Russland kappt, fällt die georgische Regierung direkt in Russlands | |
gefräßiges Maul. | |
Der Krieg mit der Ukraine resultiert aus der Passivität, die dem russischen | |
Krieg im Jahr 2008 in Georgien folgte. Um es klar zu sagen: Europa hatte | |
sich aus Angst vor Russland in die Hose gemacht. Wie sehr hätten wir die | |
Unterstützung aus dem Westen, aus Europa gebraucht, das eine | |
Vogel-Strauß-Politik verfolgte. Europa reagierte nicht auf die | |
Unverschämtheiten des Aggressors. Der Westen wahrte den Glauben, dass | |
Putins Ambitionen befriedigt seien. Aber sein Appetit wuchs beim Essen. | |
Putin kennt keine andere Sprache als Gewalt, Militarismus und Aggression. | |
Nachdem er damit durchgekommen war, folgte 2014 die Annexion der Krim. Auch | |
zu diesem Zeitpunkt verhielt sich Europa passiv. Welch fataler Fehler! | |
Ein Land wird aber nicht nur mit Panzern, Flugwaffen, Munition und Bomben | |
erobert. Man kann es auch mit Gesetzen erobern. Ein so ausgeprägtes | |
Vasallenverhältnis, wie es die georgische Regierung heute an den Tag legt, | |
hatte das Land zu keinem anderen Eroberer. Dem Kreml reichen nicht 20 | |
Prozent des Lands. Er will das ganze Land. | |
## Europa täuscht sich | |
Die georgische Präsidentin Salome Zurabischwili wünschte sich am Mittwoch | |
in einer Rede vor dem europäischen Parlament die „Wiedervereinigung | |
Georgiens mit seiner europäischen Familie“, doch zuhause tut sie wenig. Sie | |
könnte etwa Saakaschwili begnadigen. | |
Die – 2022 zunächst geplatzte – Verleihung des Kandidatenstatus an Georgien | |
durch die EU würde Unterstützung bedeuten und wäre ein enormer Schlag gegen | |
Iwanischwili und den Kreml. Wenn Europa aber kokett verkündet, für Georgien | |
habe die Stunde noch nicht geschlagen, wenn es immer noch im guten Glauben | |
ist, mit Iwanischwilis Marionettenregierung einen Dialog führen zu können, | |
dann muss man sich nicht wundern, wenn dieses Land bald ganz verschwindet. | |
Aus dem Georgischen von Natia Mikeladse-Bachsoliani | |
3 Jun 2023 | |
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## AUTOREN | |
Zaza Burchuladze | |
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