# taz.de -- Krieg in der Ukraine: Selenski sieht die Ukraine „bereit“ | |
> Geht die Offensive gegen Russland nun los? Nach Kyjiwer Angaben ist | |
> zumindest alles vorbereitet. Derweil provozieren sich beide Seiten. | |
Bild: Sieht seine Truppen für eine Gegenoffensive vorbereitet: Präsident Wolo… | |
BERLIN taz | Die Gegenoffensive der Ukraine zur Befreiung der russisch | |
besetzten Gebiete steht nach Angaben von Präsident Wolodimir Selenski | |
unmittelbar bevor. „Meiner Meinung nach sind wir ab heute bereit“, sagte | |
Selenski in einem am Samstag veröffentlichten [1][Interview mit dem Wall | |
Street Journal] in den USA. „Wir hätten gerne noch einige Dinge, aber wir | |
können nicht mehr Monate warten.“ Zudem warnte er: „Viele Soldaten werden | |
während der Gegenoffensive sterben.“ Das Interview wurde unmittelbar vor | |
dem Gipfeltreffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft in Moldau am | |
Donnerstag geführt. | |
Die Ukraine hat nach Angaben von Militärexperten für die Gegenoffensive | |
zwölf Brigaden mit 60.000 Soldaten zusammengestellt, die nach Nato-Standard | |
für verbundene Operationen von Infanterie, Artillerie und Panzertruppen | |
trainiert und mit modernem westlichem Gerät ausgerüstet wurden. Dabei | |
werden die vorgesehenen Mengen vermutlich nicht für alle Zwecke ausreichen. | |
Neun Brigaden seien jetzt für Offensivaktionen aufgestellt und warteten auf | |
den Einsatzbefehl, erklärte am Samstag der ukrainische Innenminister Ihor | |
Klymenko. Kyjiws Kriegsziel ist die Rückeroberung sämtlicher russisch | |
besetzter Gebiete innerhalb der international anerkannten Grenzen der | |
Ukraine, also einschließlich der seit 2014 von Russland kontrollierten | |
Teile des Donbass und der Krim. | |
Verschiedentlich ist auch die Notwendigkeit geäußert worden, eine | |
„Sicherheitszone“ auf russischem Gebiet entlang der Grenze zu schaffen, | |
damit ukrainisches Gebiet nicht mehr aus kurzer Distanz beschossen werden | |
kann. In diese Richtung gehen die sich häufenden grenzüberschreitenden | |
Angriffe auf russisches Gebiet direkt hinter der Staatsgrenze. Zumeist, | |
aber nicht nur, werden dafür von der Ukraine aus operierende bewaffnete | |
russische Rebellen verantwortlich gemacht, die allerdings wohl kaum ohne | |
jede Kenntnis oder Unterstützung aus den ukrainischen Streitkräften heraus | |
operieren können. | |
Fokus der vergangenen Tage war offenbar der Ort Schebekino sieben Kilometer | |
von der ukrainischen Grenze entfernt und südlich der russischen Kreisstadt | |
Belgorod. Nach mehrtägigem Granatenbeschuss von der Ukraine aus wurden die | |
40.000 Bewohner des Ortes am Wochenende von den örtlichen Behörden zur | |
Evakuierung aufgerufen. Im menschenleeren Ort sollen russische | |
Sicherheitskräfte Plünderungen verübt haben, hieß es in einigen | |
ukrainischen Berichten am Sonntag. In anderen war davon die Rede, dass | |
russische Rebellen „kampflos“ in Schebekino einmarschiert seien und | |
Russlands Armee nun die Stadt bombardiere. Die russischen Grenzschützer in | |
Nowaja Tawolschanka sollen am Sonntag gemeldet haben, die Lage sei „sehr | |
schwierig“ und man benötige dringend Artillerie und Luftunterstützung. | |
Der Realitätsgehalt solcher Meldungen ist schwer einzuschätzen, aber sie | |
sorgen für zunehmende Nervosität auf russischer Seite. Russland muss | |
Militärverbände zurückziehen, um das eigene Staatsgebiet zu verteidigen. | |
Wagner-Söldnertruppenführer Jewgeni Prigoschin, dessen Kämpfer unter | |
Inkaufnahme Zehntausender Opfer die Stadt Bachmut im Donbass erobert und | |
sich jetzt von dort größtenteils zugunsten der russischen Armee | |
zurückgezogen haben, drohte jetzt mit einem Einsatz von Wagner-Truppen im | |
russischen Gebiet Belgorod – sollte Moskau die Lage dort nicht in den Griff | |
bekommen. | |
## Russland setzt Raketen- und Drohnenangriffe fort | |
Russland setzte am Wochenende indes seine Raketen- und Drohnenangriffe auf | |
ukrainische Städte fort. In erster Linie war die Hauptstadt Kyjiw | |
betroffen, die nunmehr fast jeden Tag beschossen wird – 24 Mal im | |
vergangenen Monat, mit über 400 iranischen Drohnen und 114 | |
Marschflugkörpern. 90 Prozent davon wurden nach ukrainischen Angaben | |
abgefangen. Um die ukrainischen Städte zu schützen, muss die Ukraine aber | |
Luftabwehr von der Front abziehen. | |
Beide Seiten versuchen also, den Feind mit Ablenkungsmanövern zur | |
Reduzierung seiner Präsenz an der Front zu bewegen, was die eigenen Chancen | |
dort erhöhen soll. „Die Ukrainer und ihre Verbündeten beobachten genau, wie | |
die Russen ihre Einheiten im Lichte der Ereignisse umgruppieren“, | |
[2][schreibt der französische Militäranalyst Guillaume Ancel]. „Sie wollen | |
herausfinden, welcher Teil der Front am verwundbarsten ist … Nur wenige | |
Kilometer sind nötig, damit die ukrainischen Kräfte entlang der über 1.000 | |
Kilometer langen Front ihre Angriffe auf einen Punkt konzentrieren können, | |
und diese Auswahl wird über den Erfolg der Operation entscheiden. Erst | |
dann, sehr wahrscheinlich vor Ende Juni, werden die ukrainischen | |
Streitkräfte das ihnen zur Verfügung gestellte Angriffsarsenal nutzen“ – | |
also die Leopard-Kampfpanzer, denen die französischen AMX10-RC-Spähpanzer | |
sowie Minenräumeinheiten unter Artillerieschutz vorhergehen. | |
Die Ukraine muss diese Offensivkraft erst noch unter Beweis stellen, | |
[3][warnte am Sonntag der britische Analyst Mark Galeotti]. „Die schnellen | |
Vorstöße um Charkiw vergangenes Jahr erfolgten im Wesentlichen in schlecht | |
verteidigtem Gebiet. Die Ukraine hat noch keine größeren | |
Offensivoperationen durchgeführt, schon gar nicht die vermutlich | |
bevorstehenden Überquerungen von Flüssen oder Verteidigungslinien unter | |
feindseligen Bedingungen. Die Russen werden im Gegenzug eine viel | |
vertrautere Art von Schlacht führen, wenn sie innerhalb komplexer | |
Verteidigungsstellungen Linien halten.“ | |
Ein schneller sichtbarer Teilerfolg der Ukraine gilt als politisch wichtig | |
vor dem Nato-Gipfel in Litauens Hauptstadt Vilnius Mitte Juli. In den | |
letzten Monaten hatten sich kritische Fragen gehäuft, was denn nun aus der | |
ukrainischen Frühjahrsoffensive wurde, die nun eher eine Sommeroffensive | |
wäre. | |
4 Jun 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.wsj.com/articles/ukraines-zelensky-we-are-ready-for-counteroffe… | |
[2] https://nepassubir.fr/2023/06/03/lukraine-est-prete-a-lancer-son-offensive-… | |
[3] https://www.thetimes.co.uk/article/its-harder-than-ever-to-predict-what-wil… | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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