# taz.de -- Geordnete-Rückkehr-Gesetz im Bundestag: Die Datengrundlage wackelt | |
> Horst Seehofer will schärfere Abschiebegesetze und beruft sich auf Zahlen | |
> aus dem Ausländerzentralregister. Verlässlich sind diese nicht. | |
Bild: Wirft gerne mit Zahlen um sich: Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) | |
BERLIN taz | Große Zahlen machen großen Eindruck. Das weiß auch | |
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU). Rund 236.000 ausreisepflichtige | |
Personen gebe es in Deutschland, heißt es immer wieder aus seinem | |
Ministerium. Besonders dann, wenn es um das geplante „Zweite Gesetz zur | |
besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht“ geht, besser bekannt als | |
[1][„Geordnete-Rückkehr-Gesetz“], das am Donnerstag [2][im Bundestag | |
debattiert] wird. | |
Besonders groß wirkt diese Zahl, wenn man ihr die Anzahl der durchgeführten | |
Abschiebungen im Jahr 2018 gegenüberstellt: 23.600. Was der | |
Bundesinnenminister auch weiß, aber nicht so gerne sagt: Diese Zahlen sind | |
mit großer Vorsicht zu behandeln – und teilweise schlicht falsch. | |
Wie viele ausreisepflichtige Personen es in Deutschland gibt, steht im | |
Ausländerzentralregister (AZR). Dieses erfasst alle Ausländer*innen, die | |
sich für einen kürzeren oder längeren Zeitraum in Deutschland aufhalten. | |
Mit rund 26 Millionen personenbezogenen Datensätzen, auf die mehr als | |
14.000 öffentliche Stellen zugreifen dürfen, ist es „eines der ganz großen… | |
automatisierten Register der öffentlichen Verwaltung. So steht es auf der | |
Webseite des Bundesverwaltungsamtes. | |
Allein: Die Daten im Register sind alles andere als verlässlich, auch die | |
vom Innenministerium immer wieder angeführte Zahl Ausreisepflichtiger | |
stimmt so nicht. Im März 2017 erstellte Frank-Jürgen Weise, vormals Leiter | |
des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) und zu diesem Zeitpunkt | |
Beauftragter des Innenministeriums für Flüchtlingsmanagement, einen | |
„Leitfaden zur Verbesserung der Datenqualität“ im AZR. | |
## Fehlerquote: mehr als ein Drittel | |
Darin war die Rede von „teils erheblichen Defiziten“ und einer | |
„signifikanten Anzahl inkonsistenter oder unplausibel erscheinender | |
Datensätze“. Im Mai 2018 mahnte eine Arbeitsgruppe der | |
Innenministerkonferenz Vorsicht an und erklärte, die Qualität der Daten | |
bedürfe „dringend der Optimierung“. „Im besonderen Maße“ gelte das f�… | |
Daten über ausreisepflichtige Personen. | |
Das Ausländerzentralregister wird sowohl vom Bamf als auch von den | |
zahlreichen Ausländerbehörden überall im Land befüllt. Reist aber eine | |
Person aus oder verstirbt, ohne dass das den jeweiligen Ausländerbehörden | |
gemeldet wird, oder versäumt es die Behörde, Daten zu aktualisieren – dann | |
verfälscht das das Ergebnis. Eine händische Überprüfung der laut | |
Zentralregister ausreisepflichtigen Personen in Hessen ergab 2017: In nur | |
63 Prozent der Fälle waren die betreffenden Personen tatsächlich | |
ausreisepflichtig. Mehr als ein Drittel der aufgeführten Fälle waren falsch | |
einsortiert. | |
Seither bemühen sich die Behörden, die Qualität der Daten zu verbessern. Es | |
gibt einen Leitfaden, halbjährlich finden Workshops für Vertreter*innen der | |
Bundesländer statt, das Bamf verteilt „Bereinigungslisten“ und hat einen | |
„Beauftragten für die Sicherstellung der Datenqualität“ eingesetzt. | |
Man entfalte seit längerer Zeit „ganz erhebliche Bemühungen“, die | |
Datenqualität des AZR im „Verbund von Bund und Ländern“ zu verbessern, | |
heißt es auch in einer [3][Antwort des hessischen Innenministeriums] auf | |
eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion vom April dieses Jahres. Dort steht | |
allerdings auch: Noch Ende 2018 handelte es sich bei fast 10 Prozent der in | |
Hessen als ausreisepflichtig geführten Personen um EU-Bürger*innen mit | |
Freizügigkeit, die „nach geltendem Recht nicht ausreisepflichtig“ seien. | |
## „Mit Vorsicht zu genießen“ | |
In seinem [4][aktuellen Jahresgutachten] warnt der Sachverständigenrat | |
deutscher Stiftungen für Migration und Integration (SVR): „Falsche Zahlen | |
können die öffentliche Wahrnehmung der Flüchtlingspolitik beeinflussen und | |
zu verfehlten politischen Maßnahmen führen.“ Die Frage, ob das BMI die | |
Zahlen aus dem AZR als verlässlich einstuft, ließ das Ministerium bis | |
Redaktionsschluss unbeantwortet. | |
„Das Innenministerium muss sich weiter um eine bessere Datenqualität | |
kümmern“, sagte Lars Castellucci, migrationspolitischer Sprecher der | |
SPD-Bundestagsfraktion, der taz. Die Linken-Innenexpertin Ulla Jelpke | |
sagte, es sei davon auszugehen, „dass sich die Datenqualität des | |
Ausländerzentralregisters etwas verbessert hat“. Insbesondere die Angaben | |
zu Ausreisepflichtigen seien aber „weiterhin mit großer Vorsicht zu | |
genießen“. | |
Fragwürdig seien etwa Angaben zu Personen, die sich noch im Asylverfahren | |
befinden. „Wer noch auf die Entscheidung des Bamf wartet, kann eigentlich | |
nicht ausreisepflichtig sein“, sagte Jelpke. Ende 2018 hätten laut AZR | |
jedoch 37.000 Personen Deutschland verlassen müssen, deren Verfahren noch | |
liefen. | |
Und auch eine weitere Gruppe der erfassten Personen dürfe „in Wahrheit gar | |
nicht abgeschoben werden“, sagte Jelpke. Tatsächlich haben von den | |
genannten 236.000 Personen rund 180.000 eine Duldung – das sind mehr als 76 | |
Prozent. Sie sind offiziell ausreisepflichtig, können aber derzeit nicht | |
abgeschoben werden. Gründe dafür können fehlende Papiere sein, aber auch | |
eine Ausbildung, familiäre oder medizinische Gründe oder die Tatsache, dass | |
ins Herkunftsland nicht abgeschoben wird. | |
## Fehlende Papiere, fehlende Daten | |
Gut 80 Prozent der Geduldeten könnten nicht abgeschoben werden, weil sie | |
keine Reisedokumente hätten, heißt es aus Kreisen des Innenministeriums. | |
Das Geordnete-Rückkehr-Gesetz sieht deswegen erhebliche Verschärfungen für | |
Menschen vor, die aus Sicht der Behörden nicht ausreichend an der | |
Passbeschaffung mitwirken. Wie diese Zahl zustande kommt, blieb bis | |
Redaktionsschluss auch auf Nachfrage unklar. Laut AZR wurden 41,2 Prozent | |
der Ende 2018 gültigen Duldungen wegen fehlender Reisedokumente erteilt. | |
Das ist die Hälfte der vom Innenministerium kolportierten Zahl. | |
Wie oft die betreffende Person selbst schuld daran ist, dass die Papiere | |
fehlen, und wie häufig die Herkunftsländer diese gar nicht oder nur in sehr | |
langwierigen Prozessen ausstellen – darüber sagt das Register nichts aus. | |
Am Mittwoch schrieben SPD-Fraktionsvize Eva Högl und der innenpolitische | |
Sprecher der Fraktion Burkhard Lischka in einem Brief an die Fraktion: „Der | |
Umstand, dass jemand ausreisepflichtig ist, sagt wenig darüber aus, ob sich | |
diese Person aus legitimen Gründen geduldet in Deutschland aufhält oder | |
nicht.“ Im Gesetzentwurf der Bundesregierung heißt es, ein „großer Teil“ | |
der Ausreisepflichtigen komme „nach wie vor“ seiner Rechtspflicht nicht | |
nach, das Land zu verlassen. Das sei „nicht durch eine valide Datenbasis | |
belegt“, heißt es in dem Brief. In seiner Gesamtheit sei der Gesetzentwurf | |
aber „ein tragfähiger Kompromiss“. | |
Anders sieht es die Linke Ulla Jelpke. „Dass die Bundesregierung regelmäßig | |
fehlerhafte Daten zu Ausreisepflichtigen instrumentalisiert, um immer | |
schärfere Gesetze durchzusetzen und Geflüchtete immer weiter unter Druck zu | |
setzen, ist unverantwortlich“, sagte sie. Statt so „das politische Klima zu | |
vergiften, sollte sie endlich eine wirksame Bleiberechtsregelung für | |
Geduldete entwickeln. Dieser Schritt ist überfällig.“ | |
16 May 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Seehofers-umstrittenes-Abschiebegesetz/!5585282 | |
[2] https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/100/1910047.pdf | |
[3] http://starweb.hessen.de/cache/DRS/20/7/00197.pdf | |
[4] https://www.svr-migration.de/wp-content/uploads/2019/05/SVR_Jahresgutachten… | |
## AUTOREN | |
Dinah Riese | |
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