# taz.de -- Frauensport außerhalb des Vereins: Ist das schon Revolte? | |
> Männer treiben eher Sport im Team, Frauen allein – auch, weil sie im | |
> Verein Hürden erleben. Aerobic oder Yoga schufen Befreiung. | |
Bild: Muss nicht im Verein sein: Frauen bei einem Rollschuh-Straßenwettlauf mi… | |
Als während der Pandemie die Fitnessstudios geschlossen blieben, viele | |
Vereine dagegen schnell weiter trainieren durften, meldete sich in | |
Großbritannien die ehemalige Para-Athletin Tanni Grey-Thompson zu Wort. | |
Diese Politik habe [1][dramatische Auswirkungen vor allem auf Frauen], | |
sagte sie. Während Frauen, die ohnehin die Hauptlast trügen, ihren Sport | |
nicht mehr betreiben könnten, werde der männerdominierte Vereinssport | |
hofiert. Grey-Thompson, Mitglied des Fitness-Branchenverbands UKActive, | |
darf man Business-Motive unterstellen. | |
Und doch sind die Daten interessant: Frauen in Großbritannien stellen laut | |
Grey-Thompson 54 Prozent der Mitglieder in Fitnessstudios und 76 Prozent | |
der Teilnehmer:innen in Gruppenkursen. Angesichts des gut | |
dokumentierten weltweiten [2][Gender Gap im Sport] eine auffällig hohe | |
Zahl. Und es ist nicht die einzige im informellen Sport. Bei Freizeitläufen | |
weltweit waren 2018 erstmals mehr Frauen als Männer dabei. | |
Gesundheitssportarten wie Yoga oder Zumba werden überwiegend von Frauen | |
betrieben. Ist Sport außerhalb von Vereinen egalitärer? Und falls ja, ist | |
das ein Ausweichen oder eine Revolte? | |
Als sich im 19. Jahrhundert bürgerliche Sportvereine gründeten, befanden | |
sich Gesellschaften im Umbruch. Die Ständeordnung bröckelte, umso stärker | |
verbreitete sich die Idee von der Ordnung zweier Geschlechter. Frauen und | |
Mädchen wurden mit Pseudowissenschaft [3][vom Sporttreiben ausgeschlossen], | |
Schulsport für Mädchen erst ab 1894 und damit rund 50 Jahre später als für | |
Jungen eingeführt; immer neue Rekorde sollten die Überlegenheit des Mannes | |
demonstrieren. | |
Unterdessen strömten mit der Industrialisierung viele junge Männer in die | |
Städte, es gründeten sich [4][frauenfreie Männerbünde]: Burschenschaften, | |
Karnevalsvereine, moderne Schützenvereine oder eben Sportvereine. Sport für | |
Frauen wurde vorwiegend individuell statt im Team betrieben, als | |
Gesundheitssport statt im Wettkampf, anmutig statt mit Körperkontakt. Eine | |
Prägung, die fortwirkte: Noch 1950 waren nur 10 Prozent der Mitglieder in | |
deutschen Sportvereinen weiblich. | |
## Vereinssport ist ausschließend | |
Wenngleich der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) bei mittlerweile 40 | |
Prozent weiblicher Mitglieder ist, ballen sich diese in wenigen weiblich | |
gelesenen Sportarten – Eislaufen, Cheerleading, Turnen, Reiten etc. – und | |
bleibt Spitzensport Männersache: Fast alle Profiligen sind für Männer, nur | |
rund 13 Prozent der Spitzentrainer:innen sind Frauen, Vereine und | |
Verbände bleiben mehrheitlich männergeführt. Der als Demokratieort | |
idealisierte Vereinssport [5][ist faktisch ausschließend]. | |
Betreiben Kinder noch etwa gleich viel Sport, sind ab dem Teenageralter | |
Mädchen und Frauen deutlich weniger und seltener dabei und haben hohe | |
Drop-out-Raten. Wer sich nicht binär zuordnet, hat im Sportsystem noch | |
schlechtere Karten. Unterrepräsentiert sind vor allem Mädchen und Frauen | |
mit Migrationshintergrund und solche aus prekären Haushalten. Sich einen | |
anderen Ort fernab dieser Strukturen zu suchen – Joggen, Fitnessstudio oder | |
Yoga – erscheint da zunächst plausibel. | |
## „Alte Erwartungen reproduziert“ | |
„Man muss informellen Sport differenziert betrachten“, sagt Fabienne | |
Bartsch, Genderforscherin an der Deutschen Sporthochschule Köln. „Der | |
informelle Sport ist nicht per se durchlässiger und offener.“ Denn auch | |
selbstorganisiert treiben Frauen und Mädchen nach ähnlichem Muster Sport: | |
[6][Eher Individualsport als Teamsport], eher auf Gesundheit und | |
Wohlbefinden als auf Wettkampf bedacht. Selbstorganisierter Fußball und | |
Streetball etwa gelten als sehr männerdominiert. „Es werden viele alte | |
Erwartungen reproduziert“, sagt Bartsch. | |
Wie viel davon erlernt ist, zeigen Beispiele aus dem Ausland: In den USA | |
gilt Fußball als Frauensport, in Indien praktiziert jeder vierte Mann den | |
hiesigen „Frauensport“ Yoga, und in Südamerika gehen mehr Männer als Frau… | |
in Zumba-Kurse. An Übersichtszahlen fehlt es, kleinere Studien aber zeigen | |
ein Muster: „Es gibt Hinweise darauf, dass Frauen und Mädchen prozentual | |
mehr informellen Sport betreiben als Jungen und Männer.“ Und vor allem | |
Frauen mit Migrationshintergrund oder aus prekären Verhältnissen. | |
## Auf Interessen von Männern fokussiert | |
„Sportvereine in Deutschland haben sich lange Zeit an den Interessen der | |
weißen und männlichen Mittel- und Oberschicht ausgerichtet und sind daher | |
auch nach wie vor eher auf die Interessen dieser Gruppen fokussiert“, sagt | |
Bartsch. Im Verein ist zudem vor allem Wettkampf wichtig – eine Sparte, die | |
die weiblichen Mitglieder oft weniger interessiert. Außerdem werden Frauen | |
häufig weniger gefördert und beurteilen in Studien Trainer:innen und | |
soziales Klima negativer. Und: „Der informelle Sport bedient ihre | |
Sportmotive wie Gesundheit, Ausgleich und Wohlbefinden oft besser.“ Ein | |
wichtiger Grund sei aber auch strukturelle Ungleichheit: „Frauen sind neben | |
der Berufstätigkeit oft stark in die [7][familiäre Care-Arbeit] | |
eingebunden. Der Verein hat eine hohe Verbindlichkeit. Kommerzielle und | |
informelle Settings sind flexibler und passen besser in den Lebensalltag | |
vieler Frauen.“ | |
Kommerzieller Sport wird gern als neoliberaler Kram für flexible Ich-AGs | |
gescholten. Dabei hat er Millionen von gerade prekären Frauen Zugänge | |
geschaffen. Was etwa im Bereich Fitness qualitativ anders läuft, lässt sich | |
an der größten deutschen Fitnesskette McFit beobachten. Nach Angaben von | |
Kommunikationsdirektor Pierre Geisensetter sind auch dort rund 40 Prozent | |
der Mitglieder weiblich, also exakt so viele wie im DOSB. In den Kursen | |
allerdings überwiege der Frauenanteil. Und rund die Hälfte der | |
Trainer:innen seien Frauen. Es gibt also mehr Vorbilder und offenbar | |
bessere Möglichkeiten für Frauen, mit Sport Geld zu verdienen. Mittlerweile | |
gebe es in den meisten Studios separate Lady Corners. Daneben existieren | |
reine Frauenketten wie Mrs. Sporty, die sich vor allem an berufstätige | |
Mütter richten. Eine Gruppe, deren Bedürfnisse der Wettkampfsport meist | |
ignoriert. | |
## Feld der Befreiung | |
Wie viel sich durch informellen und kommerziellen Sport tatsächlich | |
verändert hat, zeigt Danielle Friedman in ihrem Buch „Let’s Get Physical�… | |
einer US-fokussierten Geschichte weiblicher Fitness von den fünfziger | |
Jahren bis zur Gegenwart. Informeller und kommerzieller Sport, so | |
argumentiert Friedman überzeugend, war auch ein großes Feld der Befreiung | |
für Frauen: Weil maßgeblich er ihnen erlaubte, sich eigene Freizeit zu | |
erobern und ihren Körper zu stärken, weil er Selbstorganisation verlangte | |
zu Zeiten, als der organisierte Sport viele Wege verstellte. Freier Sport | |
verschaffte Frauen aber auch finanziellen Erfolg. Beispielhaft in der viel | |
belächelten [8][Aerobic-Bewegung], die gerade Frauen zu erfolgreichen | |
Unternehmerinnen machte. Aber natürlich geht Empowerment auch im Verein, | |
wie die damals neu entstandenen queeren oder migrantischen Sportclubs | |
zeigten. | |
Auch Friedman weiß, dass Fitness Frauen zugleich befreite und neu fesselte: | |
immer schlanker, immer schöner, immer fitter. Nie ging Fortschritt mit | |
totalem Bruch, fast immer steckt viel Altes im Neuen. Friedman zeigt etwa | |
anhand der schwarzen, queeren Plus-Size-Yoga-Influencerin Jessamyn Stanley, | |
dass ein ganzes Stück des Weges gegangen wurde. Dass dieser Sport so wenig | |
erzählt wird, hat natürlich mit Machtverhältnissen zu tun. Und so berichten | |
die von Männern dominierten Sportmedien tagtäglich vom männerdominierten | |
Wettkampfsport. | |
13 Apr 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.healthclubmanagement.co.uk/health-club-management-news/Lockdown… | |
[2] /DFB-Praesidium-wird-weiblicher/!5838526 | |
[3] /Kolumne-Erste-Frauen/!t5613455 | |
[4] /Maennerbuende-ohne-Einsicht/!5565176 | |
[5] /Inklusiver-Sport-fuer-alle-Geschlechter/!5847052 | |
[6] /Frauen-Teamsport-in-Deutschland/!5573214 | |
[7] /Care-Arbeit-und-Gleichberechtigung/!5834059 | |
[8] /Aerobic-fuer-Europa/!5516003/ | |
## AUTOREN | |
Alina Schwermer | |
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