# taz.de -- Frauenfußball in Katar: Kein Fordern des Förderns | |
> In Katar sind nur noch Spurenelemente des Frauenfußballs zu finden. Dabei | |
> verlangt die Fifa dessen Förderung eigentlich. | |
Bild: In der Zuschauerrolle: Frauen im katarischen Fußball | |
Medien nannten es das verschwundene Team, das Alibi-Team oder ein | |
Feigenblatt. Jenes katarische Nationalteam der Frauen, das nur wenige Jahre | |
existieren durfte, zufällig rund um den WM-Zuschlag für Katar, und dann | |
keine offiziellen Spiele mehr absolvierte. [1][Wenn das Turnier nun endet], | |
endet auch die spärliche Aufmerksamkeit für die Fußballerinnen. [2][Im | |
WM-Menschenrechtsdiskurs] waren Frauenrechte eher ein nachrangiges Thema. | |
Die weiblichen migrantischen Hausangestellten waren medial viel weniger | |
sichtbar als [3][die Männer auf den Baustellen]. Sexualisierte Gewalt, die | |
laut Berichten migrantischer Arbeiterinnen virulent ist, war kaum ein | |
Thema. Und die Degradierung der katarischen Fußballerinnen, die mittelbar | |
gegen die WM-Kriterien verstößt – Förderung des Frauenfußballs in Spitze | |
und Breite ist eine Voraussetzung für den Ausrichter, und Katar warb | |
explizit in seiner Bewerbung damit –, empörte eher am Rande. Das sagt | |
manches auch über deutsche Hierarchien. Und nun? | |
Katarische Verantwortliche hüllen sich in Schweigen, auch gegenüber der | |
taz. Aber es gibt eine zentrale Person, die zu reden bereit ist: Ahlam | |
Al-Mana, die ehemalige Präsidentin des Frauensportkomitees. Al-Mana wurde | |
2001 eine der Vorsitzenden im neu gegründeten Komitee für Frauensport. Auf | |
der Website Women of Qatar stellt das Emirat sie als eine seiner | |
inspirierenden Frauen ins Schaufenster. | |
„Ich bin ein von Natur aus ehrgeiziger und patriotischer Mensch, der seinem | |
Land liebend gern durch Sport dient“, lautet tugendhaft gestanzt der erste | |
Satz. In der ansonsten makellos jubelnden Biografie wird angedeutet: | |
Al-Mana war selbst eine talentierte Sportlerin, durfte aber damals ihr Land | |
als Frau nicht vertreten. Also versuchte sie es auf der administrativen | |
Ebene. | |
Im Gespräch wirkt Ahlam Al-Mana sehr freundlich, ihr Englisch ist | |
hervorragend. Al-Mana war es wohl, die Katars Frauenfußball ab ihrer | |
Präsidentschaft 2007 maßgeblich durchboxte. So schildert es die Deutsche | |
Monika Staab, die 2013 und 2014 Katars Frauennationalteam trainierte. | |
„Ahlam hat sich wirklich sehr für den Frauenfußball eingesetzt. Eine tolle | |
Frau, wir haben sehr gut zusammengearbeitet. Sie musste gegen viele | |
Widerstände ankämpfen.“ | |
## Anfänge der Frauenförderung | |
Als das Komitee 2001 seine Arbeit aufnimmt, gehört Fußball nicht zu den | |
Sportarten, die für Frauen vorgesehen sind. Man habe etwa Handball, | |
Tischtennis und Basketball gefördert, so erzählt Ahlam Al-Mana. Warum denn | |
keinen Fußball, den Weltsport? „Darauf kamen wir gar nicht. Die katarische | |
Gesellschaft dachte, dass Fußball nur für Männer ist. Selbst das Komitee | |
hatte kein Interesse.“ | |
Laut ihrer Schilderung kam 2007 das erste Seminar für Trainerinnen, 2008 | |
ein erstes Futsal-Hallenturnier für Frauen. Dabei sei ihr aufgefallen, wie | |
interessiert die Mädchen seien. Reiner zeitlicher Zufall also? Einen | |
Zusammenhang mit der WM-Bewerbung streitet sie ab. „Wir haben angefangen, | |
weil so viele Mädchen Interesse hatten. Katar nimmt das Thema sehr ernst, | |
sonst hätten wir nicht so viel Geld investiert.“ | |
Die meisten Beobachter:innen sehen das anders. Die NGO Discover | |
Football kritisierte zudem, dass die Fifa die Nachhaltigkeit des | |
Engagements nie kontrollierte: „Ein Aufbau von nachhaltigen Strukturen im | |
Breitensport ist nicht zu erkennen.“ Die Blüte bleibt punktuell: Eine U14 | |
und eine U16 der Frauen, ein offizielles Nationalteam, Fußball an Schulen. | |
Immerhin. Auf dem Höhepunkt der Förderung, von Februar 2013 bis November | |
2014, kommt Trainerin Monika Staab. Staab, die 23 Jahre den FFC Frankfurt | |
mit aufbaute und selbst biografisch noch davon geprägt ist, um das Recht | |
auf Fußball kämpfen zu müssen, hat dieses Recht für Frauen zu ihrer | |
Globetrottermission gemacht. | |
In vielen arabischen Ländern war sie Trainerin, derzeit weilt sie in | |
Saudi-Arabien. Frauen hätten auch in Katar schon vorher gekickt, berichtet | |
Staab. Aber eben inoffiziell. „Jetzt wäre auch noch viel möglich, wenn die | |
richtigen Leute am Ruder säßen.“ Förderung hänge viel von Einzelpersonen | |
ab. | |
Staab und Al-Mana entwickeln ein ähnliches Narrativ: Gerade fehle es | |
schlicht an einer wirklich Engagierten in Katar, einem Ziel. Sobald die | |
Fragen tiefer gehen als nach erfolgreichem Kampf gegen Machismo, prallen | |
sie ab. Das letzte Länderspiel der katarischen Frauen ist offiziell 2014 | |
verzeichnet, laut Ahlam Al-Mana sei bis 2017 gespielt worden. | |
## Katars Desinteresse | |
Im Jahr 2016 tritt sie als Präsidentin ab. Der Deutung, dass der Kollaps | |
mit ihrem Abgang kam, widerspricht sie nicht. Für das aktuelle Desinteresse | |
Katars jedoch hat sie abenteuerliche Begründungen. „Vielleicht liegt es | |
daran, dass gerade jeder mit der WM der Männer beschäftigt ist.“ Was nun | |
nicht für eine hohe Priorität spräche. „Manchmal kann es sehr schwierig | |
sein, ein Team zusammenzustellen“, sagt Al-Mana. „Viele Frauen hören nach | |
ein oder zwei Jahren wieder auf, weil sie an die Uni gehen. Darüber hat der | |
Verband keine Kontrolle.“ | |
Aber spielen Frauen überall anders nicht auch, während sie studieren? Ins | |
Absurde kippt das Gespräch, als es um Menschenrechtsverletzungen geht, für | |
Al-Mana im Wesentlichen ein westliches Hirngespinst. „Auf den Baustellen | |
sind nicht mehr als fünf oder sechs Leute gestorben. Was in den westlichen | |
Medien steht, das stimmt nicht. Das sind alles Lügen. Die Familien werden | |
von Journalist:innen dafür bezahlt, so etwas zu erzählen.“ Unklar, ob | |
sie das wirklich glaubt oder es sagen muss. | |
Heute arbeitet Ahlam Al-Mana als Beraterin im Bildungsministerium. Warum | |
sie aufgehört hat im Frauensportkomitee? Es sei eben Zeit gewesen für was | |
Neues und jemand Neuen. Ob sie ging oder rausgedrängt wurde, dazu will sie | |
sich nicht in die Karten schauen lassen. Staab wurde 2014 entlassen, weil | |
man lieber einen arabischsprachigen Mann einstellen wollte. | |
Die Abwehrhaltung von Al-Mana ist vielleicht erwartbar; Bände spricht aber | |
auch, wie Fifa-Beraterin Monika Staab die Situation relativiert. Einerseits | |
analysiert sie sehr klar Spezifika des Landes für Frauen: „In Katar kennen | |
sich alle und wissen, zu welcher Familie man gehört. Wenn der eine was | |
macht, weiß der andere das am nächsten Tag, wie ein kleines Dorf. Was zur | |
Folge hat, dass du dich immer richtig verhalten willst, keine Außenseiterin | |
sein willst.“ | |
## Reflexartige Verteidigung | |
Auf konkrete Missstände angesprochen, weicht sie aus. In Deutschland sei | |
die Diskriminierung ja früher auch nicht viel anders gewesen. Das | |
Frauenfußballverbot, das Kaffeeservice und so weiter, die immer noch | |
bescheidene Lage des Frauenfußballs aktuell. „In Katar dürfen Frauen im | |
Prinzip alles machen, das war nie so ein großes Thema. Wenn ich hier bin, | |
habe ich nicht das Gefühl, dass ich als Frau eingesperrt bin.“ Es ist dies | |
ein Ausdruck dieser ermüdend polaren und oberflächlichen Katardebatte: Die | |
einen imaginierten sich als weiße Retter gegen einen Schurkenstaat, die | |
anderen wiegeln überall mit „Vor der eigenen Haustür kehren“ ab. | |
„Ich habe immer das Gefühl, dass wir eine falsche Wahrnehmung haben, wenn | |
wir in den Ländern nicht gelebt haben“, sagt Staab. „Ich kann viele | |
Meinungen, die über Katar geäußert werden, nicht teilen und manchmal nur | |
lachen, weil es nicht der Wahrheit entspricht. Ich habe bisher in Katar | |
noch keine unglückliche Frau kennengelernt.“ So wichtig Erfahrung vor Ort | |
tatsächlich ist, bei der Fifa wird sie oft zur Farce: [4][Schon Beckenbauer | |
sah keinen Sklaven]. | |
Auf besonders viel internationale Unterstützung nach der WM können | |
katarische Fußballerinnen also wohl nicht hoffen. Ganz verschwunden ist | |
Al-Manas Projekt nicht. Sowohl Monika Staab, die mit vielen Spielerinnen | |
noch Kontakt hält, als auch Ahlam Al-Mana betonen, Fußball der Frauen finde | |
in Katar weiterhin statt. Laut Al-Mana gibt es derzeit eine landesweite | |
Liga mit acht Klubs und auch ein Nachmittagsprogramm der Aspire Academy für | |
Mädchen. Doch offizielle Länderspiele, einen Unterbau oder Interesse des | |
Verbands sind erst mal nicht zu erwarten. | |
Und nun? Al-Mana wünscht sich, dass das Vollprogramm der Academy auch für | |
Mädchen sein soll. Pläne dafür gebe es. „In Zukunft sollte man sich mehr | |
auf junge Mädchen konzentrieren“, sagt sie. „Wir müssen deren | |
Teilnahmezahlen erhöhen.“ Es brauche frisches Blut und bessere Strukturen. | |
Auch Monika Staab meint, dass es in Katar wieder ein Ziel brauche, mehr | |
Struktur und überzeugte Handelnde. Aber die Fifa mag sie da nicht in der | |
Pflicht sehen. „Jeder Verband ist autark. Die Fifa kann den Verbänden nicht | |
vorschreiben, was sie zu tun oder zu lassen haben.“ Dabei würde es schon | |
reichen, wenn die Fifa, jene Meisterin der Vorschriften, ihre eigenen | |
Standards nachhaltig kontrollierte. Oder sie präziser formulierte: Ein | |
aktives Nationalteam, Auftauchen in der Fifa-Rangliste und so fort. | |
Stattdessen richtet sich der Fokus auf ein Nachbarland. „Ich denke, jetzt, | |
wo Saudi-Arabien so große Fortschritte im Frauenfußball macht, wird auch | |
Katar das sicher bald wieder ernster nehmen“, merkt Staab an. Und Ahlam | |
Al-Mana beruhigt: „Ich bin sicher, es gibt einen Plan, Frauenfußball nach | |
der WM weiterzuentwickeln.“ Beobachten werden das wenige. | |
18 Dec 2022 | |
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## AUTOREN | |
Alina Schwermer | |
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