# taz.de -- Frauenquote beim Theatertreffen: Anleitung zum Perspektivwechsel | |
> Vor vier Jahren führte das Theatertreffen in Berlin eine Frauenquote ein. | |
> Pünktlich zum Festivalstart wird in einem Buch Bilanz gezogen. | |
Bild: Lucia Bihlers „Die Eingeborenen von Maria Blut“ kommt dieses Jahr zum… | |
Als die ehemalige Theatertreffen-Leiterin Yvonne Büdenhölzer [1][2019 die | |
Frauenquote] einführte, wurde dies umgehend heftig diskutiert. Sogar die | |
damalige Staatsministerin, Monika Grütters, Beauftragte für Kultur und | |
Medien, positionierte sich gegen die Quote. Wie viele, die das Wort | |
ergriffen, sorgte sie sich um die Unabhängigkeit der Jury, die jedes Jahr | |
zehn deutschsprachige Inszenierungen aus Deutschland, Österreich und der | |
Schweiz auswählt, ebenso wie um die Freiheit der Kunst. Denn daran, dass | |
das Beste sich schon durchsetzen werde, herrschte trotz aller | |
Strukturdebatten noch immer verblüffend wenig Zweifel. | |
Drei Jahre später ziehen die Theaterkritikerinnen und | |
Theatertreffen-Jurorinnen Sabine Leucht, Petra Paterno und Katrin Ullmann | |
Bilanz. Ihr Buch „Status Quote. Theater im Umbruch: Regisseurinnen im | |
Gespräch“, das nun zur Eröffnung des diesjährigen Theatertreffens (TT) | |
erscheint, veröffentlicht ausführliche Interviews mit allen Regisseurinnen, | |
die von 2020 bis 2023 zur „Bestenschau“ des deutschsprachigen Theaters | |
reisten. | |
Vertreterinnen unterschiedlicher Generationen werden von den | |
Herausgeberinnen und weiteren TT-Jurorinnen zu ihrem beruflichen Werdegang, | |
zur Diskriminierung von Frauen im Theaterbetrieb, zur Vereinbarkeit von | |
Beruf und Familie, zu Honoraren und, natürlich, zu ihrer Haltung zur Quote | |
befragt. | |
Vorangestellt sind den Interviews ein Resümee von Yvonne Büdenhölzer, ein | |
historischer Rückblick von [2][Eva Behrendt] sowie ein Gespräch mit | |
[3][Karin Henkel] und Lisa Lucassen von She She Pop. Dabei gehört zu den | |
absoluten No-Fun-Facts, dass erst 16 Jahre nach dem ersten Theatertreffen | |
erstmals zwei Regisseurinnen eingeladen wurden, 1980 nämlich. Bis 2010 | |
blieb es dabei, dass in jedem Jahr maximal ein oder zwei Frauen in der | |
„Bestenschau“ vertreten waren, später stiegen die Zahlen so punktuell wie | |
zögerlich an. | |
## Arbeit von Regiseurinnen kriegen Aufmerksamkeit | |
Abhilfe gegen die – im Übrigen oft festgestellte und durchaus kritisierte – | |
Schieflage brachte erst die Quote, die nun auch sicherstellt, dass die | |
Arbeiten von Regisseurinnen in der Jury selbst eine größere Aufmerksamkeit | |
erhalten und häufiger gesichtet werden. | |
„Seit Jahrhunderten bestimmt eine informelle Männerquote die Kunstwelt“, | |
schreibt Yvonne Büdenhölzer. Dass die Meinung der interviewten | |
Regisseurinnen zur Quote so weit auseinandergeht wie | |
gesamtgesellschaftlich, versteht sich von selbst – von Claudia Bauer: „Mein | |
allererster Impuls? Das sind Almosen für Gehandicapte. Das haben Frauen | |
nicht nötig“, bis zu [4][Anne Lenk]: „Sie kam zu spät. Es wurde zu wenig … | |
Regisseurinnen investiert, und so fehlt es heute an weiblichen | |
Führungskräften“. | |
Unbestritten bleibt, dass die Quote kulturpolitisch eine Wirksamkeit | |
entfaltet: Die Stadt- und Staatstheater bieten nun häufiger Regisseurinnen | |
eine Bühne, auch wenn noch immer deutlich weniger Regisseurinnen | |
inszenieren als Regisseure. Die Werkstatistik des Deutschen Bühnenvereins | |
wies für die Spielzeit 2018/19 rund 28,1 Prozent aus, nach geschätzten | |
Zahlen waren es in der Spielzeit 2021/22 bereits 34,6 Prozent. | |
## Facettenreiches Wissen über Diskriminierung | |
Die Interviews mit den 19 Regisseurinnen sind so spannend wie lehrreich und | |
liefern vor allem ein umfang- und facettenreiches Wissen über strukturelle | |
Diskriminierung. Die meisten Regisseurinnen beschreiben eine eklatante | |
Differenz zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung ([5][Anta Helena Recke]: | |
„Die Annahme ist, dass man nichts kann, keine Kompetenz hat und somit auch | |
keine Autorität.“ Viele von ihnen sind mit dem Selbstverständnis | |
aufgewachsen, dass sie Männern gleichgestellt seien, um sich dann beruflich | |
in einer vollkommen anderen Realität wiederzufinden. | |
In allen Gesprächen herrscht ein hohes Reflexionsniveau über die Strukturen | |
des Theaterbetriebs, wie es wohl vor allem Zugehörige marginalisierter | |
Gruppen an den Tag legen. Sind sie doch gezwungen, Strukturen zu | |
durchdringen, die nicht für sie geschaffen wurden und ihnen nicht dienen. | |
Dass alle Künstlerinnen jeweils eigene Strategien im Umgang damit gefunden | |
haben, macht „Status Quote“ ebenfalls zu einer wertvollen Lektüre. Zudem | |
regen viele von ihnen eine andere Führungskultur an, die nach einer | |
gemeinsamen, geteilten Verantwortung strebt, in der Theaterarbeit nicht | |
lediglich „als Bühne für das eigene Ego“ benutzt wird. | |
Wer wird dieses Buch lesen? Es ist eines für Geschichtsschreibung, sicher, | |
es wird in die Universitätsbibliotheken wandern und dort wohlgelitten sein. | |
Regisseurinnen werden es lesen, wenn sie nach Vorbildern suchen, nach | |
Strategien und Ermutigung. Intendanten und Regisseuren bietet es einen | |
unbezahlbaren Perspektivwechsel, Kulturpolitiker:innen ebenso wie | |
Theaterliebenden ein umfassenderes Bild der deutschen Theaterlandschaft: | |
„Status Quote“ ist eine heterogene Leser:innenschaft zu wünschen. | |
16 May 2023 | |
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## AUTOREN | |
Esther Boldt | |
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