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# taz.de -- Theatertreffen Berlin: Loblied auf das Bühnenbild
> Es beginnt bei den Bildern, dann setzt das Denken ein: ein Rückblick auf
> „Nora“ und „Bus nach Dachau“ beim diesjährigen Theatertreffen.
Bild: „Nora“ mit Katharina Bach als Nora und Edmund Telgenkämper als Helme…
Bühnenbilder sind schon eine tolle Sache. Sie können zur Chiffre einer
Inszenierung gerinnen, an die man sich später als Erstes erinnert. Den
spiralförmigen Turm, der sich drehte und in den die Schauspieler:innen
des Deutschen Theaters aus Berlin in Prozessionen hinaufzogen und
hinabtanzten, spuckt das Gedächtnis jetzt als Erstes aus, wenn von Max
Stirners anarchistischem Manifest „Der Einzige und sein Eigentum“ die Rede
ist.
[1][Sebastian Hartmann], ein Regisseur, der seine Bühnen meist selbst
entwirft, ist mit einer äußerst musikalischen Collage aus Textfragmenten
von Stirner zum Theatertreffen (TT) in diesem Jahr eingeladen. In der
„Nora“, die von den Münchner Kammerspielen zum TT kam, ist gleich am Anfang
die Rede davon, dass ein Haus der eigentliche Protagonist der Geschichte
ist: das Haus von Nora und Helmer, das ihren Status als die, die es
geschafft haben, anzeigt.
Im Bühnenbild von Viva Schudt ist eine Hausfassade schräg und steil
aufgebaut, aus den Fenstern klettern und über die Schräge turnen all die
Figuren Ibsens, die vom sozialen Aufstieg träumen und doch dem Absturz
schon nahe sind.
Und auch in dem als Erzählexperiment angelegten Stück „Der Bus nach
Dachau“, das die niederländische Performancegruppe De Warme Winkel mit dem
Schauspielhaus Bochum erarbeitet hat, ist das Bühnenbild ein wichtiges
Symbol: Eine Art große Blackbox hat der Bühnenbildner Theun Mosk mitten
hineingestellt. Zuschauer verschwinden darin zuerst, später Darsteller, oft
auch mit Kamera. Aber ob, was man dann außen hört oder als projizierte
Bilder sieht, wirklich das ist, was im Inneren passiert, bleibt immer
unsicher.
## Von Holland mit dem Bus nach Dachau
Wird eine Geschichte erzählt? Oder wird eine Geschichte verweigert, weil
jede Fokussierung auf ein einzelnes Schicksal eine Vereinfachung wäre
gegenüber der Aufgabe, die Vernichtung der Juden zu erinnern: Darum geht es
in „Der Bus nach Dachau“. Filme werden diskutiert, die sich mit dem
Holocaust beschäftigt, ernsthaft und doch erhält das Sprechen darüber
schnell eine Note von einem Wettbewerb unter Cineasten, wer am meisten
weiß.
Aus Holland reist ein Filmteam nach Dachau, um einer komplizierten
Geschichte nachzugehen von niederländischen Gefangenen, die nach der
Befreiung des Lagers Dachau demütigenden Verfahren ausgesetzt waren, bevor
sie in die Niederlande zurückkehren konnten. Der Scham der Überlebenden,
die sich schuldig gegenüber den Ermordeten fühlten und dem, was sie nicht
erzählen konnten, gelten berührende Passagen.
Der Text, durchaus spitzzüngig, blickt dabei auch mit Skepsis auf die
deutsche Gedenkkultur, wenn sie stolz als nationales Gut vorgeführt wird.
Und er arbeitet sich ab an dem Verlangen nach Authentizität in den
Leidensgeschichten, das auch etwas Zudringliches haben kann. Was man
erzählen kann und was nicht, wird in dieser Inszenierung vielfach umkreist,
klug befragt und manchmal auch böse kommentiert.
Das Nachdenken triggern, überraschende Fragen stellen, die Blickrichtung
ändern: Das gelingt dem Experiment „Der Bus nach Dachau“ und auch dem Stü…
[2][„Der Einzige und sein Eigentum“.] Aus Stirners Manifest, das den
Einzelnen lossprach von Verpflichtungen gegenüber der Gesellschaft, werden
einzelne Zeilen herausgelöst und zu Songs und Sprachspielen.
## Sivan Ben Yishai erhält Theaterpreis
Begleitet von der Musik von PC Nackt, entfaltet die Inszenierung einen Sog:
Unterhalten fühlt man sich zuerst, vieles wirkt wie ein Kabinettstückchen,
in dem zum Beispiel ausgelotet wird, was ein einziges Wort wie „vielleicht“
an theatralen Farben ausstrahlen kann. Aber allmählich erkennt man auch die
Giftigkeit des Textes, der Ansprüche von Verantwortung, Pflichten,
Solidarität beiseite wischt und stattdessen Allmachtsfantasien befeuert.
Wie die Schauspieler die abstrakten Sätze gestalten, Worte tanzen, ist
dabei ein überraschend sinnliches Erlebnis.
Letztes Jahr erhielt die Dramatikerin [3][Sivan Ben Yishai] den Mülheimer
Dramatikpreis, am Samstag wurde sie im Rahmen des TT mit dem Theaterpreis
Berlin ausgezeichnet. Sie gehört zusammen mit Gerhild Steinbuch und Ivna
Žic zu den drei Autorinnen, denen die Kammerspiele einen Auftrag zur
Bearbeitung von Ibsens „Nora“ gaben.
Von Sivan Ben Yishai stammt der Prolog, in dem die Dienstboten im Haus von
Nora und Helmer eine eigene Stimme erhalten, ihre Darsteller sich witzige
Gefechte um die Deutungshoheit mit den Darstellern der Hauptrollen liefern:
Eine Skizze, in der das ganze Drama schon enthalten ist, die Schauspielerin
der Nora (Katharina Bach) schon mit ausgreifenden Armen ihren Anspruch
deutlich macht und ein Bote, der nicht abgehen will, alle nervt.
Ein lustiger und vielversprechender Auftakt, allerdings gelingt es der
Inszenierung von [4][Felicitas Brucker] nicht durchweg, Ibsens Drama mit
den eingeschobenen Kommentaren und Blickwechseln durch die Autorinnen
Steinbuch und Žic weiter so im Screwball-Komödien Tempo spielen zu lassen.
Katharina Bach trägt das Tragische der Nora, die sich der Urkundenfälschung
schuldig gemacht hat, um Haus, Kinder und Familie durch eine schwierige
Zeit zu bringen, etwas zu sehr vor sich her. Wenn sie und Helmer (Edmund
Telgenkämper) sich anschreien, wird die Zimmerschlacht einfach nur schrill.
Das Erstaunliche ist – und auch das Enttäuschende –, dass Ibsens Klassiker,
der eine Frau zwischen eigenem Willen und eigenen Entscheidungen und der
Anpassung an bürgerliche Normen zerrissen zeigt, durch die Überschreibung
der Autorinnentexte nur wenig gewonnen hat. Eher scheint es, als habe eine
Überfrachtung mit feministischem Anspruch den von Ibsen klar gezeichneten
Konturen der Fallen der Gesellschaft ihre Schärfe genommen.
21 May 2023
## LINKS
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## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
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