| # taz.de -- Belarus und Ukraine beim Theatertreffen: Performance aus dem Bunker | |
| > Neben dem klassischen Programm wartet das Berliner Theatertreffen mit | |
| > einer politischen Nebensparte auf. Deren Fokus liegt auf Osteuropa. | |
| Bild: „Bunker Cabaret“ von Hooligan Art Community eingeladen zum Spartenpro… | |
| Eine Frau steht auf einer Behelfsbühne vor dem Haus der Berliner | |
| Festspiele; ihre Haltung kerzengerade, der Blick kämpferisch, die Abendrobe | |
| opulent. Dieses Kleid, dessen Enden sie links und rechts von ihrem Körper | |
| so in Händen hält, dass der weite Rock sich zu einem vollendeten Halbkreis | |
| entfaltet, ist nicht einfach nur ein toll geschneidertes Stück Couture, | |
| sondern ein politisches Statement. | |
| Der Stoff, aus dem es besteht, ist bedruckt mit Schwarz-Weiß-Fotografien | |
| von Gesichtern. Es ist ein Mahnmal, eine bewegte Wand der Erinnerung. Und | |
| bei seiner Trägerin, die da oben steht und auffordert, in eine „Minute of | |
| Scream“ mit einzustimmen, handelt es sich um die polnisch-belarussische | |
| Künstlerin und Aktivistin Jana Shostak. Seit ein paar Jahren protestiert | |
| Shostak mit öffentlichen Schrei-Minuten gegen das Regime in Belarus. | |
| Hier und jetzt während des [1][Berliner Theatertreffens] agiert sie zudem | |
| auch als der nach außen sicht- und hörbarste Beleg einer neuen Sparte | |
| innerhalb des Festivals: Denn neben der klassischen Programmschiene der | |
| zehn ausgewählten Theaterinszenierungen aus dem deutschsprachigen Raum | |
| gibt es neuerdings die dezidiert politisch ausgerichtete Nebensparte der | |
| „10 Treffen“, die in Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale für politische | |
| Bildung und dem Goethe-Institut kuratiert wird. | |
| Der Fokus der [2][diesjährigen Ausgabe liegt auf dem osteuropäischen Raum], | |
| vornehmlich der Ukraine [3][und Belarus.] Die Formate haben zumeist einen | |
| im weiteren Sinne performativen Charakter; theatralische Inszenierung | |
| stellt sich in den Dienst einer dringlichen Botschaft. | |
| ## Cyber-Elfen gegen russische Desinformation | |
| Ein Beispiel dafür ist die Lecture-Performance der polnischen Regisseurin | |
| Magda Szpecht, die mit Beginn des Krieges in der Ukraine ihre | |
| Theaterarbeit aufgegeben hat, um sich ganz dem Kampf gegen russische | |
| Desinformation im Internet und der Recherche nach wahren Daten und Fakten | |
| zu widmen. Szpecht sitzt mit dem Rücken zu den hereinströmenden Menschen in | |
| einem abgedunkelten Raum. | |
| Ein langer Tisch, auf dem Laptops und andere technische Geräte stehen, | |
| simuliert ihren Arbeitsplatz; ein Zimmerpflanzen-Arrangement und ein farbig | |
| dampfender Luftbefeuchter ergänzen die Einrichtung. Über große Monitore an | |
| den Seiten dieses Bühnenbilds und eine hintergrundfüllende Leinwand nimmt | |
| die Performerin Kontakt zum Publikum auf. | |
| Als „Cyber Elf“ trägt Szpecht spitze Ohren, die aus halblangen Haaren | |
| hervorlugen, und lächelt freundlich über die Kamera ihres Laptops von der | |
| Leinwand herunter. Erst sehr spät in der Performance wird sie sich zu uns | |
| umdrehen. Ihr Vortrag, weich untermalt mit Ambient-Klang und faktisch | |
| unterfüttert mit vielen Bildern, schlägt einen Bogen vom Wirken der | |
| Cyber-Elfen, die eine weltweit tätige Freiwilligen-Armee von | |
| FaktencheckerInnen im Internet sind, über Desinformationsbeispiele | |
| russischer Machart zu Beispielen von erfolgreichen Recherchen. | |
| Über den Verbleib von Kriegsgefangenen etwa, erklärt sie, gebe es in der | |
| Regel keine anderen Quellen als russische Propagandavideos. Der Vortrag der | |
| Info-Elfe endet mit Bildern ihrer Hündin Jola, die aus der Ukraine flüchten | |
| musste und bei der Performerin ein dauerhaftes Zuhause in Polen gefunden | |
| hat. | |
| ## MitschreierInnen sind willkommen | |
| Die Erkenntnis, dass das Private politisch ist, gehört auch zu den | |
| bestimmenden Triebkräften von „Bunker Cabaret“, einer Performance der | |
| ukrainischen Gruppe Hooligan Art Community um die drei PerformerInnen Mirra | |
| Zhuchkova, Sam Kyslyi und Danylo Shramenko. Der Bunker im Titel hängt mit | |
| dem Umstand zusammen, dass zu Beginn des Krieges Kyslyi und Shramenko nicht | |
| aus der Ukraine ausreisen konnten und erste Ideen für die Performance im | |
| Luftschutzkeller entwickelten. | |
| Vermutlich gehört auch das Geräuscheraten dazu, eine Nummer, bei der sie | |
| abwechselnd verschiedenes Kriegsgerät nachahmen und bei den anderen | |
| detaillierte Fakten dazu abfragen. Vielleicht auch der eigentümlich | |
| reduzierte Pas de deux, den die beiden aufführen und der auf | |
| poetisch-tänzerische Weise vermutlich den Tod eines Soldaten verbildlicht. | |
| Insgesamt ist „Bunker Cabaret“ eine ungemein körperbetonte, auch sehr | |
| musikalische und häufig sehr persönlich gefärbte Performance. | |
| Die drei DarstellerInnen leisten nicht nur physisch Beachtliches. | |
| Vielleicht liegt es an der nicht immer vollkommenen Textverständlichkeit | |
| (Englisch mit ukrainischem Akzent) im akustisch nicht als Theaterraum | |
| vorgesehenen Kassenfoyer des Hauses der Festspiele, dass das Publikum sich | |
| lange nicht traut, zwischen den einzelnen Nummern zu klatschen? Dafür fällt | |
| der Schlussapplaus um so herzlicher aus. | |
| Bis einschließlich Montag, den 29. Mai, gibt es täglich Veranstaltungen im | |
| Rahmen von „10 Treffen“, darunter auch etliche Formate bei freiem Eintritt. | |
| Umsonst und draußen ist natürlich auch das einminütige Schreien von Jana | |
| Shostak in der Schaperstraße (noch heute sowie am 27./28. Mai um 18 Uhr). | |
| MitschreierInnen sind dabei willkommen und erwünscht. | |
| 16 May 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Start-des-Theatertreffens-in-Berlin/!5931733 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katharina Granzin | |
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