# taz.de -- Theaterkonferenz „Burning Issues“: Moderierte Revolution | |
> Die Konferenz „Burning Issues“ begleitet das Theatertreffen in Berlin. | |
> Vorgestellt wurden Alternativen zu veralteten Machtstrukturen an | |
> Theatern. | |
Bild: Nicola Bramkamp hat die Konferenz „Burning Issues“ 2018 in Bonn ins L… | |
„Bullshit“, ruft eine Zuschauerin. Torsten Wöhlert (Die Linke), Berliner | |
Kulturstaatssekretär, versucht gerade zu rechtfertigen, dass Intendanzen an | |
Theatern nur selten ausgeschrieben werden. Das sei wie an Universitäten, | |
viele gute Professor:innen würden sich nicht bewerben, sie wollten | |
gefragt werden. Diese Erklärung kommt beim Publikum nicht gut an. | |
Kein Wunder, denn transparente Besetzungsverfahren sind eine von vielen | |
Forderungen, die im Rahmen der Konferenz „Burning Issues“ am vergangenen | |
Wochenende erhoben wurden. Schon zum vierten Mal fand die [1][Konferenz für | |
Geschlechtergerechtigkeit, Inklusion und Diversität in der | |
Theaterlandschaft statt], dieses Jahr im Rahmen des Theatertreffens und in | |
Kooperation mit der Akademie der Künste. In Workshops, Vorträgen und | |
Diskussionsrunden stellten Theatermacher:innen zwei Tage lang Probleme | |
und Lösungsansätze für eine gerechtere, inklusivere und diversere | |
Theaterlandschaft vor. | |
Im Fokus standen dabei Best beziehungsweise Better-Practice-Beispiele, von | |
denen es einige gibt. Schauspielerin [2][Alrun Hofert und Sonja Anders, | |
Intendantin am Schauspiel Hannover,] berichteten von ihren Bemühungen, | |
unter anderem mithilfe von antirassistischen Trainings und | |
Sensibilisierungsworkshops ein möglichst diskriminierungsfreies Theater zu | |
schaffen. Das brauche Zeit, koste viel Mühe und sei nicht immer gleich | |
erfolgreich. | |
## Arbeit an Strukturen braucht Zeit | |
Auch Ella Steinmann, Diversitätsagentin am Theater Oberhausen, kann | |
bezeugen, dass diese Prozesse zeitintensiv sind. Auch wenn der Abbau von | |
Barrieren den künstlerischen Prozess nicht einschränke, sondern expliziter | |
Teil davon sei, wie Alrun Hofert betont, bleibt die Frage, woher die | |
zusätzlichen Ressourcen kommen sollen, um die gewünschten Prozesse | |
anzutreiben. | |
In einer Branche, die auf Selbstausbeutung im Namen der Kunst basiert, kann | |
daraus schnell Selbstausbeutung im Namen der Diversität werden. Besonders | |
von Angehörigen von Minderheiten wird oft genug erwartet, dass sie | |
zusätzlich zu ihren eigentlichen Aufgaben auch noch nebenbei ihre Häuser | |
reformieren. Eine einfache und doch radikale Lösung für das | |
Ressourcenproblem wäre: weniger produzieren. | |
Das [3][Theater Basel, dessen Schauspielsparte seit 2020 von einer | |
Viererspitze] aus Schauspieler:innen, Regisseur:innen und | |
Dramaturg:innen geleitet wird, führt bewusst weniger Inszenierungen | |
pro Spielzeit auf. Damit werden nicht nur längere Probenprozesse | |
ermöglicht, sondern auch die zur Selbstorganisation notwendigen Räume | |
geschaffen, so Jörg Pohl, Mitglied des Basler Leitungsteams. | |
## Gagengerechtigkeit und Mitsprache | |
Er berichtet außerdem von Gagen, die nach Alter statt nach | |
Verhandlungsgeschick ausgezahlt werden. Auch an der Spielplanerstellung ist | |
das Ensemble in Basel beteiligt – zumindest mehr, als an Häusern sonst | |
üblich, wo Schauspieler:innen selten mitreden können, wenn es darum | |
geht, welche Stücke von wem aufgeführt werden. | |
Aber kommt die Veränderung denn im Probenalltag an? Auch dafür bietet | |
„Burning Issues“ ganz konkrete Vorschläge an. Regisseurin Magz Barrawasser | |
stellt etwa in einem Workshop Werkzeuge vor, um intime Szenen für alle | |
Beteiligten angenehmer zu gestalten. Was in der Filmbranche bereits | |
geläufiger ist, ist am Theater noch selten: [4][intimitätssensibles | |
Arbeiten]. Gerade weil Körperlichkeit ein essenzieller Bestandteil des | |
Berufs ist und im Spiel Grenzen ausgelotet werden, sind klare Absprachen | |
wichtig. | |
Was dabei als intim gilt, ist vom Kontext abhängig. Indem Kuss- oder | |
Sexszenen vorab angekündigt, durchgesprochen und schließlich genauestens | |
durchchoreografiert werden, können Übergriffe verhindert werden. Auch hier | |
gilt der Ansatz: Mehr Struktur schränkt die künstlerische Freiheit nicht | |
ein. Im Gegenteil können Schauspieler:innen, die wissen, was sie dürfen, | |
sich in diesem klar abgesteckten Rahmen besser entfalten, so Barrawasser. | |
## Wie kann Veränderung nachhaltig sein? | |
Es tut sich also etwas in der deutschsprachigen Theaterlandschaft. Bleibt | |
noch die Frage, wie diese Veränderungen nachhaltig sein können. Sie wird im | |
Laufe der Konferenz immer wieder gestellt und reflektiert eine Entwicklung | |
in der Debatte. Dass es nicht reicht, Machtpositionen mit Frauen zu | |
besetzen, ist mittlerweile bekannt. Wenn nur die Leitung ausgetauscht wird, | |
die Strukturen aber bestehen bleiben, ändern sich die Probleme nicht, | |
erklärt auch Sandrine Micossé-Aikins, Leiterin des Berliner Projektbüros | |
für Diversitätsentwicklung. | |
Es brauche also neue Organisationsstrukturen in den Häusern. Damit die auch | |
funktionierten, müssten außerdem neue Formate und Kommunikationswege | |
entwickelt werden, so Nicola Bramkamp, Initiatorin von „Burning Issues“. Es | |
bringe schließlich nichts, wenn alle ständig zusammenkämen und | |
monologisierten. Wie jedes Meeting muss halt auch die Revolution moderiert | |
werden. | |
13 May 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Archiv-Suche/!5593442&s=Burning+Issues+Theatertreffen&SuchRahmen=P… | |
[2] /Festival-Radikal-jung-in-Muenchen/!5589585 | |
[3] /Alternative-Leitungsmodelle-am-Theater/!5760969 | |
[4] /Sexszenen-am-Filmset/!5790805 | |
## AUTOREN | |
Matthieu Praun | |
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