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# taz.de -- Nach dem #MeToo-Fall an der Volksbühne: Dämmerung der Patriarchen
> Wird jetzt über neue Leitungsstrukturen an den Theatern nachgedacht? Auf
> jeden Fall hat das bisherige Modell des allmächtigen Intendanten
> ausgedient.
Bild: Nur einer der Orte, wo Strukturfragen aufgeworfen werden: Volksbühne in …
Erinnert sich jemand noch an die Zeiten, in denen der Intendant – weiß,
deutsch, männlich – eine Kultfigur war? Ein populärer Entertainer wie Claus
Peymann, der mit seinem Lieblingsdichter Hosen kaufen ging, das Stuttgarter
Publikum mit seiner Geldsammlung für die [1][Zahnbehandlung von
RAF-Häftlingen] provozierte und in Wien bis heute dafür geliebt wird, die
Österreicher 1988 mit ihrer verdrängten Nazivergangenheit konfrontiert zu
haben?
Oder ein chronischer Dissident wie Frank Castorf, der die Berliner
Volksbühne über Jahrzehnte zum Ort des Widerstands „Ost“ gegen den
vermeintlichen Sieger der Geschichte „West“ erklärte, sich ironisch ein
Stalinporträt ins Intendantenzimmer hängte und bis heute in allerdings
zunehmend umstrittenen Interviews genüsslich politische Unkorrektheit
zelebriert?
Damals erschien der Widerspruch zwischen auf der Bühne kritisierten
sozialen Verhältnissen und hinter der Bühne praktizierter Hierarchie
allenfalls originell. Solange das Theater aufregende, streitbare Kunst
präsentierte und nicht komplett pleiteging, waren Strukturfragen sekundär.
Diese Zeiten scheinen nun endgültig vorbei: Mit dem Rücktritt des letzten
Volksbühnen-Intendanten Klaus Dörr nach Sexismus- und
Machtmissbrauchsvorwürfen, aber auch Skandalen wie um Matthias Hartmann,
der als Burgtheaterdirektor (2009–2014) ein „Klima der Angst“ erzeugt hab…
soll, oder um Peter Spuhler, dessen Mitarbeiter*innen am Badischen
Staatstheater Karlsruhe sich über „Kontrollzwang, beständiges Misstrauen,
cholerische Ausfälle“ beschwerten, steht nun der Intendantenjob selbst
unter Verdacht. Ist er ein Relikt aus patriarchalen Zeiten (nach wie vor
sind nur 22 Prozent des Bühnenleitungspersonals weiblich), gar aus
feudalen, wie Kritiker*innen gerne behaupten? Lädt der Posten zum
Missbrauch geradezu ein?
„Ein Intendant steckt heute in der Falle zwischen präsidialen (Vertretung
des Theaters nach außen), strategischen (Zukunftssicherung) und operativen
Aufgaben (Personal, Finanzen, Bau und Erneuerung, Vertragsverhandlungen,
Sitzungen) und sollte sich eigentlich um die programmatische und
künstlerische Entwicklung des Theaters kümmern“, umreißt Thomas Schmidt,
Professor für Theater- und Orchestermanagement in Frankfurt, in seiner
Studie „Theater, Krise und Reform“ (2017) das Aufgabenprofil.
## Künstlerische Selbstverwirklichung
Das klingt nach gehobenem Management statt künstlerischer
Selbstverwirklichung – aber sehr wohl nach einem Beruf, für den man, wenn
man ihn ernst nimmt, am besten gleich ins Theater einzieht. Denn Zeit für
anderes wird kaum bleiben.
Ein Raunen ging vor zehn Jahren durch die Szene, als [2][Karin Beier,]
heute Intendantin des Hamburger Schauspielhauses, öffentlich bekundete,
dass sie das Theater täglich um 16.30 Uhr verlasse, um noch etwas Zeit mit
ihrer damals vierjährigen Tochter verbringen zu können. So etwas hatte noch
kein männlicher Kollege vor ihr erzählt.
Zugleich werden am Theater, wo Kunst und Leben nahtlos ineinander
übergehen, aus Arbeits- oft Privatbeziehungen. Muss nicht, kann aber zum
Problem werden: Am Schauspiel Köln etwa geriet Intendant Stefan Bachmann
2018 mit Teilen des Ensembles aneinander, als er seine Frau, die
Schauspielerin Melanie Kretschmann, gegen die Mobbingvorwürfe von
Mitarbeiter*innen verteidigte.
## Neoliberale Hochleistungsbetriebe
Schmidts Jobbeschreibung zeigt dennoch recht gut, dass von Feudalismus kaum
die Rede sein kann. Oder nur insofern, als die Theater den
Intendant*innen und ihren Teams auf begrenzte Zeit (Intendant*innen
haben in der Regel Fünfjahresverträge) überantwortet und auch schnell
wieder entzogen werden können. Berufen werden sie, je nach Träger, von
Kulturministerinnen oder Oberbürgermeistern, die wiederum
Findungskommissionen einsetzen können, aber nicht müssen. Transparente
Berufungsprozesse, womöglich mit Assessmentprüfungen, sind die Ausnahme.
Die Ensemble- und Repertoirebühnen im deutschsprachigen Raum sind zumindest
im künstlerischen Bereich neoliberal strukturierte Hochleistungsbetriebe,
von der Größe her durchaus vergleichbar mit städtischen Betrieben wie
Krankenhäusern, über deren Effektivität die traditionsgemütlich
erscheinenden „Gewerke“ (Handwerkstätten für Bühnenbildbau und Kostüme)
nicht hinwegtäuschen können.
Mit zehn bis zwanzig Premieren pro Jahr, zusätzlichen Programmschienen,
Festivals, internationalen Koproduktionen kämpften diese Häuser bis zur
Pandemie um ihr Publikum, einen überregionalen Ruf und um den
Eigenfinanzierungsanteil, der sich im deutschlandweiten Schnitt auf rund
17,7 Prozent beläuft.
## In den Burnout treiben
Es ist noch nicht lange her, dass Intendant*innen die Zahl der
Neuproduktionen Jahr um Jahr in die Höhe jagten, für eine regelrechte
Überproduktion sorgten und ganze Hausbelegschaften in den Burnout trieben.
Allen voran die Schauspieler*innen, die nicht nur oft
familienunfreundliche Arbeitszeiten und Anwesenheitspflichten, sondern, im
Gegensatz zu den nach Tarif entlohnten Kolleg*innen von der Technik,
auch noch häufig die schlechter bezahlten 1- bis 2-Jahres-Verträge haben
(die Mindestgage beträgt 1.850 Euro brutto).
Sie stehen wiederum in Kontrast zu teilweise exorbitanten Intendantengagen.
Wobei Claus Peymann, von dem es während seiner Zeit am Berliner Ensemble
unwidersprochen hieß, dass er über 200.000 Euro verdiente, auf die Frage,
ob das denn angemessen sei, antwortete: „Ach, es gibt so wenige Leute, die
Theater leiten können. Wissen Sie was: Ich sollte das Doppelte verlangen!“
Schlechte Arbeitsbedingungen, miese Bezahlung und dann auch noch hinter der
Bühne angeschrien, angebaggert oder gegeneinander ausgespielt werden? Lange
Zeit gehörte es zum Berufsethos, das im Namen der Kunst auszuhalten, und
vielleicht fiel es leichter, wenn Intendanten extrem erfolgreiche Künstler
waren, die einen, und sei es mit fragwürdigen Mitteln, zum Glänzen
brachten. Spätestens mit der #MeToo-Kampagne war auch im deutschsprachigen
Theaterraum das Fass voll.
## Emanzipatorische Kunstwege
In Neugründungen wie dem ensemble-netzwerk oder dem feministischen Verein
pro Quote organisieren sich seither die künstlerischen
Mitarbeiter*innen am Stadttheater neu. Sie gucken sich bei PoCs und
queeren Aktivist*innen ab, wie man Kampagnen gegen den Mainstream der
Privilegierten fährt und sich intersektional solidarisiert. Auch deshalb
dürfte es für Intendant*innen immer schwieriger werden, mit
herkömmlichen Methoden „durchzuregieren“ – selbst wenn sie mit ihren
Häusern betont emanzipatorische Kunstwege eingeschlagen haben.
Viele Leitungskräfte indessen wollen das auch gar nicht mehr. Die neue
Dortmunder Intendantin Julia Wissert, Jahrgang 1984, meinte auf die Frage,
wie sie das Stadttheater verändern wolle: „Ich glaube nicht, dass irgend
etwas allein mit Goodwill zu lösen ist. Aber eine Kollegin hat einmal den
schönen Satz gesagt, dass die Königin auch die Demokratie einführen kann.“
Ob ihr das schon gelungen ist, wird man wohl erst nach Corona erfahren.
Auch ohne strukturreformistischen Einheitsplan entwickeln sich neue
Modelle: Immer häufiger treten Intendant*innen, beispielsweise in Zürich
oder Basel, bewusst als Zweier- oder Dreierteams an. Am Theater Krefeld
Mönchengladbach hat sich letzte Woche zum ersten Mal das
Schauspielensemble aus sechs Kandidat*innen in geheimer Wahl den
Regisseur Christoph Roos als neuen Schauspielchef gewählt – einen übrigens
älteren weißen Mann. Er hat glaubhaft versichert, das Ensemble auch künftig
in seine Entscheidungen einzubeziehen.
19 Mar 2021
## LINKS
[1] /Doku-ueber-die-RAF/!5399460
[2] /Theaterstueck-nach-Michel-Houellebecq/!5275476
## AUTOREN
Eva Behrendt
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