| # taz.de -- hfs Ultras über Metoo am Theater: „Es fehlt ein Korrektiv im Sys… | |
| > Die hfs Ultras solidarisieren sich mit Betroffenen nach den Vorwürfen | |
| > gegen Ex-Volksbühnen-Intendant Dörr. Sie wollen gegen Machtmissbrauch | |
| > vorgehen. | |
| Bild: Diese sechs Regiestudentinnen bilden die hfs Ultras! | |
| Die hfs Ultras, das sind: Lena Katzer, 25, Carolina de Araújo Cesconetto, | |
| 27, Theresa Thomasberger, 28, Eunsoon Jung, 34, Josephine Witt, 27 und | |
| Sarah Claire Wray, 27. Sechs Frauen, die an der Hochschule für | |
| Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin in einer Klasse Regie studieren. | |
| Nachdem Mitte März in der taz ein Artikel erschienen war, der von | |
| Machtmissbrauch und sexualisierten Grenzüberschreitungen handelte, die der | |
| ehemalige Intendant der Volksbühne Klaus Dörr gegenüber seinen | |
| Mitarbeiterinnen begangen haben soll, solidarisierten sich die hfs Ultras | |
| auf Instagram mit den Betroffenen. „Unsere Erfahrungen decken sich mit den | |
| in der taz geschilderten Zuständen. Wir wurden aus Imagegründen ans Haus | |
| geholt und im Weiteren wurden uns seitens der Direktion Steine in den Weg | |
| gelegt. Wir haben die Volksbühne unter Dörr als einen extrem unangenehmen | |
| Ort wahrgenommen, an dem Machtzentrismus, Machismus, Irrationalismus und | |
| Kunstfeindlichkeit den Ton angeben“, [1][schrieben sie auf der Plattform.] | |
| Der Name der Gruppe ist ein Verweis auf Frank Castorf, der auch mal | |
| Intendant der Volksbühne war. In einem Interview sagte Castorf sinngemäß, | |
| dass Frauen nicht so gut Fußball spielen könnten wie Männer – und beim | |
| Regieführen sei es ähnlich. Im Interview sprechen sie im Kollektiv. | |
| taz: Euer Instagram-Text, in dem ihr eure eigenen Erfahrungen an der | |
| Volksbühne teilt, liest sich so, als hätten euch die Vorwürfe gegen Klaus | |
| Dörr nicht überrascht. Stimmt das? | |
| hfs Ultras: Sie haben uns überrascht, aber nicht gewundert. Wir haben die | |
| Atmosphäre, die dieser Mensch an der Volksbühne geschaffen hat, dort | |
| gespürt. Nach der Veröffentlichung des taz-Artikels bekamen wir viele | |
| Nachrichten, sowas wie: „Ich hab's immer gewusst!“ oder „Kein Wunder!“. | |
| Schon krass, wie verbreitet diese Meinung war und wie lang Dörr trotzdem in | |
| diesem Betrieb weitergetragen wurde. Krass ist auch, dass so was 2021 immer | |
| noch passiert. Vor allem an der Volksbühne, wo alle hinschauen, wo es | |
| angeblich so politisch ist. | |
| Ist die [2][Berliner Volksbühne ein Spezialfall]? | |
| Die Volksbühne ist nur die Spitze des Eisbergs. Die Theater funktionieren | |
| alle sehr ähnlich, was die Strukturen und Hierarchien angeht. Viele | |
| solidarisieren sich jetzt mit den Frauen von der Volksbühne, weil sie | |
| Ähnliches kennen. | |
| Wie waren eure Erfahrungen [3][an der Volksbühne?] | |
| Wir wurden angeworben, um ein kleines Festival zu organisieren: sechs | |
| Inszenierungen, die zeitgleich stattfinden sollten. Das hat dann wegen | |
| Corona nicht geklappt. Und es hat sich schnell herausgestellt, dass es um | |
| Femwashing ging. Es gab kein wirkliches Interesse an unserer Arbeit, | |
| sondern nur daran, wofür wir stehen. Die Volksbühne wollte sich diesen | |
| Sticker ankleben: Wir fördern Regiestudentinnen. | |
| Femwashing, also Feminismus als Marketingtool, erlebt ihr als „die | |
| Frauenklasse“ bestimmt öfter. Wie geht ihr damit um? | |
| An der Hochschule stand am Anfang die Frage im Raum: War es Zufall, dass | |
| wir sechs ausgewählt wurden? Waren wir wirklich die besten oder sind wir | |
| ein PR-Gag? Das hat uns verunsichert, aber wir haben ziemlich schnell eine | |
| Antwort gefunden, indem wir uns aktiv als ein Kollektiv begriffen und | |
| miteinander solidarisierten. Wir rücken das Kollektiv ins Zentrum statt des | |
| Individuums – und das ist für Regiejahrgänge etwas Besonderes. Inzwischen | |
| wird das auch vonseiten der Hochschule positiv hervorgehoben, die Wahrheit | |
| aber ist, dass wir permanent auf Widerstände stoßen, weil wir nicht einzeln | |
| als Genius-Regisseurinnen hervortreten, die innerhalb eines | |
| Konkurrenzsystems gegeneinander kämpfen. | |
| Wie schützt ihr euch davor, für Femwashing benutzt zu werden? | |
| Vor einem Gespräch mit einer Dramaturgin haben wir ernsthaft mit dem | |
| Gedanken gespielt, uns als Männer zu verkleiden. Es gibt da keine einfache | |
| Lösung. Wenn wir irgendwohin kommen, sind wir schon die Quote für das ganze | |
| Jahr. Wir versuchen, immer weiter zu verhandeln, Chancen füreinander zu | |
| schaffen, aber am Ende hat es auch viel damit zu tun, Widersprüche | |
| auszuhalten. Einerseits müssen wir die Möglichkeiten nutzen, die uns | |
| gegeben werden. Viele haben vor uns dafür gekämpft. Andererseits fühlt es | |
| sich dreckig an, wenn wir merken, dass wir eine Funktion erfüllen. Da muss | |
| man widerständig bleiben, auch strukturell weiter fragen: Wie kann es sein, | |
| dass der Gender Pay Gap am Theater immer noch so krass ist? Wenn Leute uns | |
| anfragen, weil es cool für sie ist, heißt es nicht, dass sie uns bezahlen, | |
| wie es cool für uns wäre. Da sind immer noch ziemlich heftige Differenzen | |
| zwischen wer wird gefördert und wer wird „gefördert“. | |
| Wie weit würdet ihr dieses Spiel mitspielen? | |
| Das ist eine Frage, die uns noch bevorsteht. Wir hoffen, auf Verbündete zu | |
| treffen, auch in etablierten Staatstheatern, die so progressiv sind, dass | |
| sie diese Problematiken mitdenken. Gleichzeitig ist dieses System auch | |
| gerade da, wo progressiv gedacht wird, radikal unterfinanziert. Wir wollen | |
| gegen die Gewalt des Systems agieren. In der Zusammenarbeit mit der | |
| Volksbühne gab es eine Auseinandersetzung, weil die Leitung den | |
| Schauspieler*innen partout keine Abendgagen zahlen wollte. Klaus Dörr | |
| schmetterte unsere Forderungen diesbezüglich ab. Und wir dachten darüber | |
| nach, während des Festivals im Foyer mit illegalen Glücksspielen – | |
| Roulette, Hütchenspiel, Poker – Geld ranzuschaffen, um selbst Gagen | |
| auszahlen zu können. | |
| Wird es künftig einfacher, gegen die Vereinzelung am Theater anzugehen? | |
| Das hoffen wir. Aber diese Gesellschaft fördert keine Gruppenstrukturen, | |
| sondern die Ellbogentaktik. Das ist auch am Theater so. Es gibt die Idee, | |
| dass Kunst so viel reflektierter arbeitet oder die Strukturen progressiver | |
| sind, aber das stimmt nicht. Kritisch sein ist halt chic, das ist eine | |
| Klamotte, die sich der Theaterbetrieb seit langem anzieht, eine | |
| widerständige Kluft, die allen gut gefällt. Es wird nicht so oft vor der | |
| eigenen Haustür gekehrt wie wir jetzt wieder gesehen haben. | |
| Und trotzdem wollt ihr ans Theater. War das Studium ein Prozess der | |
| Desillusionierung? | |
| Wir wussten, worauf wir uns einlassen. Es war ein Prozess der | |
| Illusionierung, weil wir uns kennengelernt haben und durch die gemeinsame | |
| Arbeit gelernt haben, dass es auch anders geht. Vor zehn Jahren war der | |
| machistische Mackerregisseur komplett ungebrochen, er war Realität. Dass es | |
| nicht mehr so sein muss und dass man Kolleginnen nicht wegbeißen muss – das | |
| war eine schöne Erkenntnis. Nach dem Prinzip aus Scheiße Gold machen | |
| glauben wir also schon, dass die Welt eine bessere werden könnte. | |
| Gab es Momente, in denen ihr gemerkt habt, dass ihr eure Ideale nicht | |
| umsetzen könnt? | |
| Ideale sind Ideale, weil sie eben nichts mit der Realität zu tun haben. In | |
| der Realität sind die Ressourcen immer knapp, immer umkämpft. Das Einzige, | |
| was uns bleibt, ist offen damit umzugehen, dass wir an unseren Idealen | |
| immer wieder scheitern. Innerhalb der Gruppe reflektieren wir das ständig, | |
| sprechen über die Produktionsumstände. Einer unserer wichtigsten Grundsätze | |
| als Ultras ist es, füreinander ein Korrektiv zu sein. Dieses Korrektiv | |
| fehlt im Betrieb. | |
| Was bedeutet das? | |
| Das Theater ist ein System, das von Ausbeutung und Unterdrückung | |
| profitiert. Es gibt eine Kaste von unbezahlten Hospitant*innen, die | |
| unglaublich viel arbeiten. Dann gibt es die Assistent*innen, die sehr wenig | |
| verdienen und die sogenannten weisungsgebundenen Gruppen – | |
| Schauspieler*innen, Tänzer*innen. Dieses Wort, weisungsgebunden, ist ja | |
| schon so schön entmündigend. Und an der Spitze ist ein Machthaber, meistens | |
| ein Mann älterer Generation, der alle künstlerischen, finanziellen und | |
| organisatorischen Entscheidungen fällt. Egal, ob er dafür qualifiziert ist | |
| oder nicht. Das System ist missbrauchsanfällig, weil Leute darin gern ihre | |
| Phantasien ausagiert sehen und über Körper von anderen verfügen, die nicht | |
| besonders zum Widerstand ausgebildet sind, die im Eifer des Gefechts | |
| denken, sie müssten alles tun für diese Karriere. Es gibt am Theater aus | |
| einem 68er-Kunstverständnis heraus eine Unschärfe. Kunst wird aus | |
| übergriffigem Verhalten legitimiert – und umgekehrt. Die Generation | |
| Freigeist-Ü60 hat ein merkwürdiges Verständnis von persönlichen Grenzen. | |
| Ist jetzt der Moment, in dem sich was ändert? | |
| Wenn nicht jetzt, wann dann? Gerade haben die Theater zu, da lässt sich | |
| doch ein schöner Stuhlkreis bilden und sich fragen: Was machen wir hier | |
| eigentlich? Die Intendant*innen sollen sich trauen. Und die Politik | |
| soll sich fragen, wie sie Anregungen schaffen kann, um dieses veraltete | |
| System zu erneuern. Die katholische Kirche, die CDU und die Theater sind | |
| die reformbedürftigsten Bereiche dieser Gesellschaft. Die drei Säulen des | |
| Patriarchats. Freiwillig geben Menschen ihre Macht nicht ab. Sie brauchen | |
| ein Korrektiv von außen, von innen und von unten. | |
| 25 Mar 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Viktoria Morasch | |
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