# taz.de -- Metoo an der Berliner Volksbühne: Nachdem der Vorhang fiel | |
> Unsere Autorin hat zwei Jahre an der Volksbühne gearbeitet. Sie ist über | |
> die Metoo-Vorwürfe gegenüber Ex-Intendant Klaus Dörr kaum überrascht. | |
Bild: Geteilter Himmel über der Volksbühne. Wie geht es nun weiter am Haus? | |
BERLIN taz | „Beim nächsten Mal dann“, sagte mir Klaus Dörr und zwinkerte | |
mir zu, als sei er mein Kumpel. Das Zwinkern von Dörr kennt wohl jede:r | |
Mitarbeiter:in der Volksbühne. Dörr hatte sich zu mir in die | |
Eintrittshalle der Volksbühne gestellt, weil ich mich einen Tag vor dem | |
Frauenkampftag am 8. März 2019 mit einer Mail an das Intendantenbüro | |
gewandt hatte: | |
„Ich arbeite im Abenddienst der Volksbühne und würde mich gerne am | |
Frauen*streik morgen beteiligen.“ Ob es von der Volksbühne eine | |
Stellungnahme hierzu gäbe? | |
Am Maxim Gorki Theater in Mitte war bereits abzusehen, dass zwei | |
Vorstellungen (davon eine Premiere) [1][wegen des Streiks ausfallen] | |
müssten. Ich erhoffte mir von der Volksbühne ein ähnliches, feministisches | |
Signal. Deshalb fragte ich erneut schriftlich nach. | |
Ich war schon lange genervt vom Pseudofeminismus an der Volksbühne, der | |
sich unter anderem auch daran zeigte, dass Theaterstücke als feministisch | |
beworben wurden, aber von Regisseuren auf die Bühne gebracht wurden, die | |
wenig neue Impulse boten. Und hatte Hoffnungen, dass man sich wenigstens | |
auf den Streik einließ – was am linken Maxim Gorki Theater geht, geht auch | |
an der linken Volksbühne, dachte ich. Weit gefehlt. | |
Als ich am Abend Dienst hatte, um Karten zu scannen und Türen | |
aufzuschließen, kam Dörr mit beschwichtigender Stimme zu mir, um mir zu | |
erklären, dass meine Mail zu kurzfristig kam. Da sei leider nichts mehr zu | |
machen. Beim nächsten Mal dann. Zwinker, Zwinker. | |
Die Theaterleitung antwortete mir per Mail, mit einem Satz, der sich auch | |
als Drohung lesen ließ. So müsse auf die „heikle Thematik des Streikrechts | |
und seiner Konsequenzen für die Mitarbeiter*innen“ hingewiesen werden. | |
Ich zitterte vor Wut. Was sollte das überhaupt bedeuten? | |
## Wie entgiftet man das Klima? | |
Das alles hat nichts mit sexualisierter Belästigung zu tun. Das zu trennen | |
ist mir wichtig. Dennoch ist es eine Stimmung, die mich nicht wundern ließ, | |
als taz-Kollegin Viktoria Morasch aufdeckte, dass es Vorwürfe der | |
sexualisierten Belästigung und des Machtmissbrauchs durch den [2][damaligen | |
Intendanten Klaus Dörr] gibt. | |
Sie schreibt in ihrem Text: „Die Vergiftung des Betriebsklimas sowie | |
herabwürdigende Äußerungen werden sowohl Klaus Dörr als auch der | |
geschäftsführenden Direktorin Nicole Lohrisch zur Last gelegt.“ Meine | |
Wahrnehmung, als eine von vielen Mitarbeiter:innen an der Volksbühne | |
unter dieser Leitung, ist ähnlich. | |
Doch was nun – wie entgiftet man das Klima? In den sozialen Medien | |
verlangen jetzt viele nach einer Frau als Nachfolgerin. Das ist eine gute | |
Idee, aber sie ist reflexhaft. Natürlich braucht es mehr Frauen in | |
Führungspositionen an Theatern, aber man sieht ja an dem Verhalten von | |
einzelnen weiblichen Führungspersonen, dass mit dem Arbeitsverhältnis der | |
Mitarbeiter:innen auch Macht ausgeübt wird. | |
Zweitens verkennt die Forderung nach einer Frau als neuer Intendantin die | |
besondere Situation des Hauses. Es gibt an der Volksbühne nicht wenige | |
Mitarbeiter:innen, die unter der Ära Frank Castorf anfingen zu arbeiten und | |
sich nach Regisseur:innen wie René Pollesch sehnen. 2019 wurde bekannt, | |
dass Letzterer ab Sommer 2021 die Volksbühne leiten wird. Ein Aufatmen war | |
unter den Volksbühnen-Mitarbeiter:innen und -Freund:innen zu spüren. | |
Es gilt im Haus eine Lücke zu schließen, zwischen denen, die unter Dörr und | |
Dercon angestellt wurden und jenen, die seit der Castorf-Ära am Theater am | |
Rosa-Luxemburg-Platz arbeiten. Um das zu verstehen, lohnt sich ein Blick | |
auf die Stimmung im Haus der vergangenen Jahre. | |
## Pollesch hat das Potenzial für einen Neustart | |
Bevor im Jahr 2017 Frank Castorf nach 25 Jahren an der Volksbühne ging, | |
erlebte das Theater einen Hype: Berliner:innen wie Tourist:innen aus | |
der ganzen Welt besuchten die Volksbühne noch ein letztes Mal. Fast das | |
komplette Ensemble ging mit Castorf. Chris Dercon, sein Nachfolger, der | |
ehemalige Leiter der Tate Gallery of Modern Art in London, stellte kein | |
neues Ensemble auf. Somit gab es kein festes Team, und die Stimmung im Haus | |
war wie in einer Schockstarre. | |
Dercon war für viele an der Volksbühne ein Intendant, der das Theater zu | |
seiner Kunstausstellung macht. Während die Besucher:innenzahlen | |
sanken, stiegen die Ausgaben für die Inszenierungen und der Frust unter den | |
Mitarbeiter:innen. | |
Nach nur neun Monaten ging Dercon, und es war wieder so etwas wie Hoffnung | |
zu spüren im Haus: Schlimmer konnte es ja nicht werden, oder? Klaus Dörr | |
wurde als Interimsintendant benannt. Dörr kam aus Stuttgart, vom Theater, | |
hatte Erfahrung im Bereich der Finanzen – konnte also dort punkten, wo es | |
Dercon gemangelt hatte. Von einigen im Haus wurde es damals als langweilig | |
wahrgenommen, aber als Übergang, der aushaltbar war. | |
Mit der erwähnten Ernennung Polleschs zum Intendanten ist Hoffnung in | |
Sicht. Er ist der beste aller Kompromisse, er kennt die Strukturen im Haus, | |
und er kann basisdemokratisch führen – eine Seltenheit im Theaterbetrieb. | |
Gleichzeitig ist Pollesch kein Gestriger. Er bezieht Schauspieler:innen | |
und Assistent:innen in die Entstehung eines Bühnenstücks ein und | |
versteht seine Regie als Teamarbeit. | |
Er ist ein feministischer Antiautoritärer, dem man das, was auf der Bühne | |
gespielt wird, auch hinter der Bühne glaubt: Während in seinem Stück | |
„[3][Black Maria]“ davon gesprochen wird, dass die „Sichtbarkeit des alte… | |
weißen Mannes“ aufgelöst werden muss, glaubt man ihm, dass er das wirklich | |
möchte. Er hat das Potenzial für einen echten Neustart an dem Theaterhaus | |
und kann dafür sorgen, dass nach ihm viele Intendant:innen folgen, die | |
keine Männer sind. | |
19 Mar 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1113260.frauenstreik-demo-am-fraue… | |
[2] /MeToo-an-der-Berliner-Volksbuehne/!5758018 | |
[3] https://www.deutschestheater.de/programm/a-z/black_maria/ | |
## AUTOREN | |
Nicole Opitz | |
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