# taz.de -- Recherchen zu #MeToo: Es geht gerade erst los | |
> Kommt nach dem Fall von Julian Reichelt die #MeToo-Debatte endlich | |
> richtig in Deutschland an? Was Recherchen zu Machtmissbrauch so schwierig | |
> macht. | |
Bild: Demonstrantin bei einem Frauenmarsch | |
MeToo-Recherchen haftet, je nach Perspektive, etwas Heldinnenhaftes an – | |
oder etwas Schmuddeliges. Es sind meistens Frauen, die sich in den | |
Redaktionen diesem Thema widmen. Sie werden nach Erscheinen ihrer Arbeit | |
oft gefragt: Warum hast du dich dafür entschieden? Wie bist du vorgegangen? | |
War es sehr schwierig? Würdest du es wieder tun? Als wäre eine | |
MeToo-Recherche das Ergebnis eines höchst geheimnisvollen Vorgangs. Dabei | |
ist es einfach Journalismus – und zudem eine Art von Journalismus, wegen | |
der viele mal angetreten sind in diesem Beruf: Missstände aufdecken. Denen | |
einen Stimme geben, die keine haben. Machtstrukturen bloßlegen. Etwas | |
verändern. | |
In diesem Jahr fielen drei mächtige Männer über solche Recherchen: Julian | |
Reichelt verlor seinen Job als Chefredakteur der Bild, der [1][Comedian | |
Luke Mockridge] sagte alle Shows für das Jahr 2022 ab, und Klaus Dörr wurde | |
nach meiner Recherche als Intendant der Berliner Volksbühne | |
[2][freigestellt]. | |
Als heldinnenhaft werden MeToo-Recherchen deshalb angesehen, weil sie | |
teilweise zu sehr schnellen, sehr konkreten Ergebnissen führen können. Ein | |
Täter verliert seinen Job, seine Macht und landet, wie im [3][Urfall | |
Weinstein], vielleicht sogar im Gefängnis. Schmuddelig finden manche diese | |
Recherchen, weil die Journalistinnen sich reinknien in intime Details. Sie | |
lesen SMS, betrunkene Einladungen in Hotels, E-Mails, in denen Berufliches | |
und Privates verschwimmt, sie fragen nach Details unangenehmer Erfahrungen, | |
sie sprechen mit Angehörigen und Freunden des mutmaßlichen Opfers, um so | |
viele Belege wie möglich für eine Aussage zu sammeln. | |
Das sei „Bild-Niveau“, ist kein seltener Vorwurf. Aber bei MeToo-Recherchen | |
geht es nicht darum, das voyeuristische Interesse des Publikums zu | |
bedienen, obwohl das leider ein Nebeneffekt sein kann. Es geht darum, | |
sicherzugehen, dass die Veröffentlichung von Vorwürfen gerechtfertigt ist. | |
Dafür gibt es hohe Hürden, die bei der Namensnennung anfangen. Denn auch | |
ein übergriffiger Chef verdient es, in der Öffentlichkeit fair behandelt zu | |
werden. Dazu gehört, die Vorwürfe und die Glaubwürdigkeit der Quellen zu | |
prüfen und den Beschuldigten vor Erscheinen des Texts mit all dem, was ihm | |
zur Last gelegt wird, zu konfrontieren. | |
## Oft sind die Fälle schwer durchschaubar | |
MeToo ist ein weites Spektrum. Es reicht von Vergewaltigungen wie im Fall | |
Weinstein bis zu Compliance-Brüchen wie im Fall Reichelt, bei dem den | |
Ergebnissen der Recherche nach alle Verhältnisse zu Mitarbeiterinnen | |
einvernehmlich waren. Das zu unterscheiden ist wichtig. Außerdem gehört es | |
zur Aufgabe von Journalismus, die Rolle der Frauen in ihrer Komplexität zu | |
beschreiben. Sie sind nicht nur Opfer, sie können sich meistens aussuchen, | |
mit wem sie schlafen und mit wem nicht. Für manche ist Macht attraktiv, die | |
Aufmerksamkeit eines mächtigen Mannes schmeichelhaft. Zu MeToo gehören | |
Nach-, aber auch Vorteile, ein schwer durchschaubares Spiel aus Förderung | |
und Übergriffigkeit, aus Abhängigkeit, Angst und Scham. | |
Weil es um ein System geht, um Machtmissbrauch, der nicht immer gleich weit | |
geht, aber von denselben Strukturen profitiert, ist es sinnvoll, dem Ganzen | |
einen gemeinsamen Namen zu geben: MeToo. In Deutschland geht diese Debatte | |
erst los. | |
Viktoria Morasch ist Redakteurin der taz am wochenende. Nach ihrer | |
Recherche zu Machtmissbrauch an der Berliner Volksbühne musste der | |
Intendant Klaus Dörr zurücktreten. | |
22 Oct 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Vergewaltigungsvorwurf-gegen-Mockridge/!5791214 | |
[2] /MeToo-an-der-Berliner-Volksbuehne/!5758018 | |
[3] /Verurteilter-Sexualverbrecher/!5764174 | |
## AUTOREN | |
Viktoria Morasch | |
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