# taz.de -- Frank Castorf inszeniert Erich Kästner: Wer seine Seele verkauft | |
> Frank Castorfs Inszenierung von Erich Kästners „Fabian“ am Berliner | |
> Ensemble ist düster. Genauer: eine dunkle Version der wilden Zwanziger. | |
Bild: Spätestens der zweite Teil gehört den Frauenfiguren: Sina Martens in Ca… | |
Das Bühnenbild ist filmreif. Ein haushohes Pin-up markiert den Eingang ins | |
plüschige Boudoir, daneben steht ein langer Tresen im grellen Neon-Look. | |
Und ein Stück S-Bahn-Hochgleis ragt hervor, mit funzeliger Beleuchtung und | |
viel altem Laub, unter das sich in den nächsten Stunden noch allerlei Unrat | |
mischt. | |
Aleksandar Denić hat für Frank Castorf schon so manch überzeugendes | |
Bühnenbild gebaut. Dieses zeigt sinnfällig von Anfang an die Gegensätze, um | |
die es geht: die Verruchtheit der Hinterzimmer und das kleinbürgerliche | |
Elendige, die glitzernde Illusionsmaschinerie und die labyrinthischen Gänge | |
dahinter, die in versteckte düstere Räume führen. | |
Über dieser Super-Drehbühnen-Kulisse schwebt das Ufa-Schriftzeichen wie das | |
Wahrzeichen der alten Illusionsfabrik Film, und streckenweise geht es | |
wirklich wie in einem Film der zwanziger Jahre zu. Marc Hosemann, geübter | |
Schauspieler in der zusammengewürfelten Castorf-Truppe am Berliner | |
Ensemble, tänzelt zu Stummfilm-Musik über den Tresen, swingt die Gummibeine | |
im Stile Charlie Chaplins. | |
Slapstick wie aus den guten alten Zeiten der Unterhaltungsindustrie. Aber | |
Frank Castorf braucht nur wenig, um mit seinen bunten Exzentrikern und | |
Modernitätszweiflern die deutlichen Anflüge von | |
Zwanziger-Jahre-Aufbruchstimmung wieder im Keim zu ersticken. | |
## Erotische Abenteuer | |
Der Abend trägt den Titel „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“ nach dem | |
Roman von Erich Kästner, ergänzt um Fremdtexte, angereichert auch mit den | |
libertinären Verheißungen von Arthur Rimbaud, die Castorf nicht zum ersten | |
Mal in eine Inszenierung einfließen lässt. | |
In Kurzform geht es um den Werbetexter Jakob Fabian, der durchs Berliner | |
Nachtleben streift, sich verliebt, seinen Job verliert und damit auch | |
wieder die Frau, bis er am Ende unglücklich ums Leben kommt. Von einem | |
erotischen Abenteuer schlittert er ins nächste, mit der Moral nimmt er es | |
selber nicht so genau, auch wenn er selbsterklärt auf den Sieg der | |
Anständigkeit wartet. | |
Im Juli wird die [1][„Fabian“-Verfilmung von Dominik Graf] offiziell in die | |
Kino kommen, von der man hört, dass sie die Geschichte ins sommerlich | |
Leichte taucht. Frank Castorf erzählt eine düstere Version, die es schafft, | |
die Armut, das Elend der Menschenmassen der zwanziger Jahre, die | |
großbürgerliche Kälte in den Vordergrund zu rücken und doch ganz im Hier | |
und Jetzt zu sein. | |
Stummfilmbilder laufen auf der Videoleinwand, hart und ernst sind die | |
Gesichter, die Stadt rauscht in Schwarz-Weiß-Aufnahmen vorbei. Im Separee | |
philosophieren derweil die SpielerInnen wortreich, lassen die qualmende | |
Opiumpfeife kreisen, bis sich jeder klare Gedanke auch beim Zuschauen | |
vernebelt. | |
## Overload an Ambivalenzen | |
Sprunghaft mäandert der Abend durch die „Fabian“-Erzählung. Ein Overload … | |
ambivalenten Haltungen, gegensätzlichen Weltbildern und Abschweifungen ist | |
auch in diesem Castorf garantiert, der Geduld abverlangt in fünf Stunden | |
Spieldauer inklusive Pause. Aber sich eingroovt und mit großartigen | |
Momenten belohnt. | |
Die Zusammenhänge bleiben chaotisch zwischen der Bedeutung des Todes, | |
Lebens, Vergnügens und der Liebe, der Frage nach der Verbesserung der | |
Zustände bei gleichzeitigem Sitten- und Moralverfall. Details wie ein | |
Preisausschreiben gewinnen dagegen an eigener Bedeutung. Der Schauspieler | |
Frank Büttner erzählt in einer Szene die Geschichte eines Mannes, der eine | |
Reise in ein Luxushotel gewinnt. Seine Freude währt nur kurz. Mitgäste und | |
Angestellten machen ihm in bitterer Gründlichkeit klar, dass er dort fehl | |
am Platz ist. | |
Büttner spielt das zum Niederknien, als innerlich zitternder Koloss steht | |
er da, der doch nichts tun kann, als eindringlich von der Ungerechtigkeit | |
zu erzählen. | |
Gleich zweimal ist Castorfs Kästner-Adaption [2][pandemiebedingt verschoben | |
worden.] Möglichkeiten für Corona-Witzchen hätte der Abend genug, in diese | |
Falle gerät Castorf nie. Auch auf die Gegenwartsstimmung zielt der Abend | |
nicht ab, sondern fixiert sich auf bürgerliche, sexuelle, überhaupt alle | |
Arten von Tauschhandel, von denen hier so oft die Rede ist. | |
## Der Teil der Frauen | |
Dafür tritt selbst der Teufel auf in Persona von Wolfgang Michael und | |
erzählt frei nach Chamissos Schlemihl von der Unmöglichkeit, seine Seele | |
zurückzufordern, hat man sie erst einmal verkauft. Ein Fress- und | |
Saufgelage liefern sich er und Marc Hosemann dabei, verkleckern Unmengen | |
Kartoffelsalat wie aus alten Volksbühnen-Tagen und liefern mit dem Spaß | |
auch symbolisch eine Botschaft – man kann nicht zurück in die | |
Vergangenheit, aber mit ihr ein Tänzchen wagen. | |
Gegen den Historismus der zwanziger Jahren stemmt sich der Abend, gegen die | |
Modernitätschiffre und das Bild der saftig im Leben stehenden Berliner | |
Männer, die im Roman mehr vom Blick durch Guck- und Schlüssellöcher | |
sprechen, als wirklich zur Sache zu kommen. Die Live-Kamerabilder schauen | |
in Guckloch-Perspektive in die Hinterräume, in der sich Hosemanns Fabian | |
am Metzgertresen an halben Rindshälften abarbeitet, während sich die Frauen | |
spielerisch nehmen, was sie wollen. | |
Überhaupt gehört der zweite Teil des Abends ihnen. Margarita Breitkreiz | |
schlüpft mit voller Verausgabung in Rollen von der Mutter bis zu | |
opiumsüchtigen Künstlerin. Sina Martens verwandelt die Schlafzimmer-Szenen | |
in die der komischen Art. Und Clara de Pin, die mit Burlesque-Tänzerin | |
Madita Mannhardt an der Seite bis in die ersten Publikumsreihen klettert, | |
verströmt mehr moralische Grandezza als der Männer-Haufen hinter ihr. Ihnen | |
gehört das Schlussbild dieses Abends, der beglückend ist, zumutend, | |
ambivalent, auch hermetisch, voller Fragezeichen und im Fabian’schen | |
Misstrauen dann doch bei sich: dass die herbeigesehnten Normalmenschen gar | |
nicht wünschenswert sind. | |
13 Jun 2021 | |
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## AUTOREN | |
Simone Kaempf | |
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