# taz.de -- Theaterstück nach Michel Houellebecq: Flirt mit der totalitären H… | |
> Karin Beier und Rita Thiele inszenieren in Hamburg „Unterwerfung“. Ihr | |
> Schwerpunkt liegt auf den Geschlechterverhältnissen. | |
Bild: Edgar Selge zeigt in der Inszenierung Körpererinsatz. | |
Als islamistische Terroristen am 7. Januar 2015 in die Redaktion der | |
Satirezeitschrift Charlie Hebdo drangen und elf Mitarbeiter ermordeten, | |
prangte keine Karikatur des Propheten, sondern eine des französischen | |
Schriftstellers Michel Houellebecq auf dem Titel, dessen Roman | |
„Unterwerfung“ am selben Tag erschienen war. Galt das Attentat auch dem | |
Autor, der den Islam einmal als „dümmste Religion“ bezeichnet hatte? Für | |
einen Moment im vollbesetzten Hamburger Schauspielhaus, kurz vor der | |
Premiere von „Unterwerfung“, fragt man sich schon, ob eine solche | |
Veranstaltung nicht auch ein Ziel für deutsche Islamisten sein könnte. | |
Doch der Clou von Houellebecqs Roman ist ja gerade, dass er die „moderate“ | |
(nun ja) Islamisierung Frankreichs keinesfalls als Katastrophe schildert, | |
sondern als bestechende Alternative zu eben jener westlichen Dekadenz, die | |
sowohl der von Nikotin und Alkohol gezeichnete Houellebecq als auch sein | |
depressiver Ich-Erzähler Françoisverkörpern. | |
Von der Wiedereinführung der Geschlechterungleichheit profitiert im Roman | |
die ganze Gesellschaft: Die Arbeitslosenzahlen sinken, die Löhne im | |
zukunftswichtigen Bildungssektor steigen, angeblich empfindet ein nicht | |
unbeträchtlicher Teil der Frauen die hausfrauliche Zwangsregression als | |
Entlastung. Auch für der Agnostiker François, der sich selbst „politisiert | |
wie ein Handtuch“ nennt, hält das neue Regime nur angenehme Überraschungen | |
parat. Die künftig von den Saudis finanzierte Sorbonne bietet dem | |
Huysmansforscher aus dem akademischen Mittelbau eine Spitzengehalt, | |
Dienstwohnung in bester Pariser Lage sowie die Vermittlung gleich mehrerer | |
Ehefrauen – vorausgesetzt, er konvertiert zum Islam. | |
Es ist also ein Text über den westlichen Mann, seinen Frust, seine | |
Sehnsüchte und seine spirituelle Unbehaustheit, für dessen | |
Theateraufführung Hausherrin Karin Beier sich die Rechte gesichert hat. | |
Daran lässt auch die von Beier und Dramaturgin Rita Thiele erstellte | |
Bearbeitung keinen Zweifel, die das Geschlechterverhältnis ins Zentrum | |
rückt. Ein westlicher Mann ist es schließlich, der im Zentrum von Beiers | |
Inszenierung steht: Der Schauspieler Edgar Selge bestreitet die | |
Uraufführung heroisch im Alleingang. | |
## Im sackförmigen Anorak | |
Mit krisseliger Tolle und in einem der sackförmigen Anoraks, die der | |
französische Schriftsteller so liebt, kommt Selge auf die Bühne. Vom Band | |
tönt gedämpft Houellebecqs Stimme, unterlegt von Bertrand Burgalats | |
elektronischen Beats: „Der kann mit seinen Gedichten ja machen, was er | |
will“, kommentiert Selge und nimmt sich ein paar Anlaufsätze Zeit, um über | |
den Autor in seine Figur zu gelangen. Direkt hinter ihm verschließt eine | |
meterdicke Wand den Bühnenraum, in die ein drehbares (christliches) Kreuz | |
geschnitten ist; jede Strebe lässt gerade genug Raum dafür, dass Selge sich | |
später– teilweise zwei Meter und mehr über dem Boden – hineinquetschen, | |
-legen oder -stellen kann. | |
Dieses Kreuz verlangt Selge einiges an Körperbeherrschung ab, schiebt aber | |
auch gestischen Floskeln den Riegel vor. Umso illustrativer bleibt die | |
Musikspur, die den französischen Elektropop sukzessive gegen arabische | |
Folklore eintauscht. | |
Houellebecq selbst pflegt als Performer seiner selbst ein äußerst | |
wirkungsvolles Understatement. Bei Interviews sackt er in der Regel sofort | |
in seinem Stuhl zusammen, versinkt im Anorak, quarzt, wenn es irgendwie | |
möglich ist, und spricht mit scheuer, sehr leiser Stimme ohne jede | |
Modulation. Edgar Selge dagegen nähert sich seinem Ich-Erzähler bei aller | |
Ähnlichkeit mit Houellebecq von der entgegengesetzten Seite: Sein François | |
ist offensiv frustriert, raumgreifend einsam, diabolisch enttäuscht von der | |
Sinnlosigkeit seiner Existenz, und er liebt es, Schlüsselwörter im Text | |
gleichsam in Großbuchstaben auszurufen. | |
In der Umbruchzeit nach den französischen Wahlen 2017 – Houellebecq | |
imaginiert die Situation, dass die gemäßigten Parteien sich mit einer | |
fiktiven isalmischen Partei zusammenschließen, um die Mehrheit des Front | |
National zu verhindern – wird Selges François kurzfristig panisch, um dann, | |
als sich die neuen Machtverhältnisse stabilisieren, zum begeisterten | |
Beobachter und schließlich auch Nutznießer der neuen Verhältnisse zu | |
werden. Kurzum: Er ist ein virtuoser Entertainer des Elends männlicher | |
Dekadenz. | |
## Schamlos windelweich | |
Vielleicht hält sich Selge mit seiner Spielweise nur den schamlos | |
windelweichen François vom Leib. Vor allem, wenn es um Sex geht. In einer | |
Szene schildert François, wie seine Freundin Myriam, eine jüdische | |
Studentin, die im Begriff ist, mit ihren Eltern nach Israel auszuwandern, | |
ihn zum letzten Mal mit der Zunge stimuliert. Selges François schreit | |
dieses Erlebnis mit der Inbrunst eines Erweckungspredigers heraus, was | |
einerseits zum Kreuz passt, in dem er währenddessen ekstatisch hin- und | |
herpendelt, andererseits die Situation vollkommen der Lächerlichkeit | |
preisgibt. | |
Nun sind auch Houellebecq und sein Erzähler nicht frei von Selbstironie – | |
allzu genüsslich schildert der Autor, wie noch die verwahrlosesten Typen | |
und erbärmlichsten Weicheier von der Wende zum Islam profitieren. Was die | |
Lektüre von „Unterwerfung“ so faszinierend wie unheimlich macht, ist ja | |
gerade die selbstreflektierende Intelligenz des Erzählers, sein Oszillieren | |
zwischen (zunächst) theoretischer Ablehnung und schließlich pragmatischer | |
Zustimmung zum neuen Regime. | |
Dieser Flirt mit der totalitären Herrschaft wirft den Leser und selbst die | |
Leserin zurück auf die spirituelle Lücke des Westens, die kein Yogaseminar | |
stopfen kann, weil sie systemimmanent ist – was nicht heißt, dass sie | |
unaushaltbar wäre. Doch so lange man sich von Selges François so leicht | |
distanzieren kann, will sich im Schauspielhaus weder das verführerische | |
Schillern des Romans noch das Lückenbewusstsein so recht einstellen. | |
Am Ende wird das Kreuz entfernt, die schwarze Wand fährt zurück, drei | |
schwarz verhüllte Frauen räumen die Requisten weg, während François sich | |
für seine Konversion islamisch und festlich in Weiß kleidet. Da steht er, | |
der neue Mann mit der „zweiten Chance“. Standing ovations für Edgar Selges | |
Respekt gebietende Tour de Force. | |
Nächste Aufführungen: 10./16./17. Februar im Hamburger Schauspielhaus | |
7 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Eva Behrendt | |
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