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# taz.de -- Preisgekrönte Schauspielerin: Einfach voll auf die Neune
> Gala Othero Winter, Ensemblemitglied am Schauspielhaus, bekommt diesen
> Jahr der Boy-Gobert-Preis. Sie ist quasi an einer Theaterschule
> aufgewachsen
Bild: Entwickelt ihre Figuren laut Jury souverän: Gala Othero Winter
HAMBURG taz | Als sie auf dem Weg vom Marmorsaal des Schauspielhauses
schnell einen Blick in den Großen Saal wirft, wo gerade das Bühnenbild von
„Eines langen Tages Reise in die Nacht“ aufgebaut wird, sagt Gala Othero
Winter: „Endlich ist ab Oktober wieder Probe.“ Die erste Produktion der
25-Jährigen wird in dieser Spielzeit Christoph Marthalers Inszenierung von
„Sommergäste/Ein Grenzfall“ nach Maxim Gorki sein.
2014 wurde die gebürtige Hessin direkt von der Hochschule für Musik und
Theater in Hamburg vom Deutschen Schauspielhaus engagiert. Seitdem ging es
für sie steil bergauf: 2015 wurde sie für ihre Rolle als Frida Foldal in
Karin Henkels Inszenierung von Henrik Ibsens „John Gabriel Borkman“ mit dem
Alfred-Kerr-Darstellerpreis ausgezeichnet. Am 27. November wird sie den mit
10.000 Euro dotierten Boy-Gobert-Preis entgegennehmen, den die
Körber-Stiftung jährlich an junge SchauspielerInnen der Hamburger
Sprechbühnen vergibt.
„Aus einer souveränen Ruhe heraus“ entwickele Winter ihre Figuren, lautet
die Begründung der Jury – ein ungewöhnliches Kompliment für eine
Schauspielerin in ihrem Alter. Und tatsächlich hat die unmittelbare Wucht
von Winters Figuren eine bemerkenswert lässige Selbstverständlichkeit– sei
es bei Frida in „John Gabriel Borkmann“ oder in Simon Stephens
aktualisierter „Peer Gynt“-Inszenierung, in der sie zusammen mit Angela
Winkler und Maria Schrader den ewig suchenden Draufgänger spielt – „Ich bin
nicht unerschütterlich, aber ich habe ein Grundvertrauen“, bestätigt
Winter.
Auf Fotos ihrer Agentur wirkt sie manchmal sehr zierlich und rehäugig, auf
und hinter der Bühne aber bewegt sich Winter neugierig, forsch und
unbekümmert und scheint alles aufzusaugen, was um sie herum geschieht.
Sorge, wegen ihres Alters und ihres Äußeren in die Mädchenecke gestellt zu
werden, hat sie nicht: „Ich habe eine komplette Probenzeit, um für mich und
meine Figur einzustehen.“ Zwar habe sie durchaus schon Kämpfe ausgefochten,
um ernstgenommen zu werden, „aber man kann oft mehr machen, als man sich
selbst zutraut, wenn man frech und angstfrei genug ist“, sagt sie.
## Der Name einer Kurtisane
Gala Othero Winter kommt aus einer Theaterfamilie. Die italienische Mutter
ist Schauspielerin. Der Vater leitet die „Theaterschule im Kalkwerk“ in
Diez an der Lahn, nicht weit von Winters Heimatstadt Limburg. Ihren
Zweitnamen hat sie von der spanischen Sängerin, Tänzerin und Kurtisane „La
Bella Otero“, 1868 in Galizien geboren und 1965 in Nizza verstorben.
„Das muss eine wahnsinnige Frau gewesen sein, die durch Scheichs und andere
reiche Liebhaber zu unglaublich viel Geld gekommen ist. Leider war sie
spielsüchtig, hat ihr ganzes Geld verprasst und ist arm gestorben.“ Warum
Othero bei ihr mit H geschrieben wird, weiß Winter allerdings auch nicht.
In der „Theaterschule im Kalkwerk“ ist Gala Winter praktisch aufgewachsen:
„Außer der Theaterschule gibt es dort auch Proberäume für Bands und
Künstlerateliers, aber weil es auf der Grenze von Hessen und
Rheinland-Pfalz liegt, fühlt sich niemand dafür zuständig. Man hat dort
eine Narrenfreiheit, die diesen Ort sehr stark prägt.“ Neben Winter hat
auch die Jungregisseurin Leonie Böhm, die jetzt am Theater Bremen, auf
Kampnagel oder am Thalia-Theater inszeniert, in der Narrenfreiheit des
Kalkwerks ihre ersten künstlerischen Schritte probiert.
Einen kurzen Moment gab es nach dem Abitur, als Gala Winter sich fragte, ob
sie wirklich ans Theater wolle: „Es war immer selbstverständlich, und ich
habe mich gefragt, ob ich einfach Scheuklappen aufhabe. Aber dann habe ich
gedacht: Wenn ich versuche, Schauspielerin zu werden, dann jetzt. Später
kann ich immer noch was anderes machen.“
So landete sie an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg und
fasste als Frau für alle Fälle schon während des Studiums Fuß im
Schauspielhaus: 2013 sprang sie spontan in Katie Mitchells Inszenierung
„Alles weitere kennen Sie aus dem Kino“ und 2014 in Johan Simons
„Neger“-Inszenierung ein, die im Vorfeld nicht besonders reflektierte
Kritik von antirassistischen Gruppierungen hervorgerufen hatte.
Angst zu spielen hatte sie nicht: „Ich bin ja zwei Wochen vor der Premiere
eingesprungen und habe mir eigentlich nur den Text reingekloppt und mich
reingeschmissen“, sagt sie. „Außerdem, wenn du einen Helm aufhast und das
Publikum noch nicht mal dein Gesicht sieht, ist das sowieso ein geschützter
Raum.“ Ihr Mut wurde belohnt: Ihre Gastrollen ermöglichten Winter ein
Engagement am Schauspielhaus, ohne dass sie durch die Theater zum
Vorsprechen tingeln musste.
„Ich habe da auch viel Glück gehabt“, räumt sie ein, und das Unprätenti�…
nimmt man ihr ab. Vielleicht ist es ihre Offenheit, gepaart damit, keine
Furcht vor einer Haltung zu haben, die ihren steilen Aufstieg begründet.
Mit den gängigen Verweisen auf Ironie und Meta-Ebenen jedenfalls kann sie
wenig anfangen:
„Ich finde, Ironie ist immer so ungefährlich, weil sie Auslegungssache
ist.“ Damit müsse man sehr vorsichtig umgehen. „Wenn der Spieler schon so
einen großen Abstand zu der Sache hat, von der er spricht, wie soll dann
der Zuschauer da reinkommen und sich nicht denken: Wenn es dir egal ist,
warum sollte es mir dann nicht egal sein?“
Komik sei da eher ihr Ausdrucksmittel. Sie selbst sieht gern Theater, „das
nicht erst durch einen Interpretationsfilter geht, etwas, was man nicht
rational erfasst, sondern eine sofortige Reaktion hervorruft“. Als Beispiel
dafür nennt sie das 2005 in Frankfurt gegründete Tanzensemble „The Forsythe
Company“, das seit 2015 unter dem Namen „Dresden Frankfurt Dance Company“
auftritt – was insofern erstaunlich ist, als der Gründer und Choreograf
William Forsythe für intellektuelle Performances bekannt wurde und von der
Presse gar als „Kaiser der Dekonstruktion“ bezeichnet wurde.
## Schiss vorm Film
Doch für Theorie scheint sich Winter nicht besonders zu interessieren. Das
Handeln und vor allem das Spielen ist es, das sie interessiert. Eine
Traumrolle habe sie nicht: „Das liegt schon daran, dass ich nicht so
bewandert bin in der Dramenliteratur. Ich vergesse Sachen schnell, auch
wenn ich ein Buch gelesen habe. Und eine Rolle erschließe ich mir nicht
durchs Lesen, ich muss das immer ausprobieren.“
Sie interessiere sich für alle möglichen Spielweisen, sagt Gala Winter, und
überhaupt denke sie nie weiter als maximal eine Woche. „So bauen sich auch
nicht so hohe Erwartungshaltungen auf. Man hat keine Angst, jemandem nicht
gerecht zu werden, und macht einfach los.“
Aber klar, zwei renommierte Preise hintereinander, das baut auch bei Gala
Winter Druck auf: „Man fängt an, darüber nachzudenken, wozu Preise
überhaupt da sind, ob das gerechtfertigt ist, wer einem die geben möchte
und ob man das jetzt noch mal beweisen muss? Aber andererseits: Ich bin ja
nicht der einzige Mensch auf der Welt, dem das passiert.“
Vor einer Sache hat sie dann aber doch ein bisschen Bammel: Bei aller
schauspielerischen Erfahrung hat sie immer nur auf einer Bühne, noch nie
vor einer Kamera gestanden. „Ich habe total Schiss davor, einen Film zu
drehen“, bekennt sie. Auf einer Bühne wisse sie, wie man sich bewegen
müsse, schon allein durch die Interaktion mit dem Publikum.
„Aber beim Film würde ich mir denken: Warum soll ich hier als Einzige so
tun, als ob alle anderen nicht da wären? Außerdem kann man vor der Kamera
nichts verstecken. Die merkt sofort, wenn einem etwas an der Rolle nicht
ganz klar ist.“ Aber natürlich: Den Film möchte sie als nächstes
ausprobieren.
Hat jemand, der praktisch schon sein ganzes Leben lang auf der Bühne
verbringt, eigentlich Interessen außerhalb des Theaters? „Das ist gar nicht
so einfach“, gibt Winter zu. Sie gehe gern auf Punkkonzerte: „Die Bands an
sich sind mir egal, ich richte mich nach den Namen, ‚Kacke und Arsch‘ oder
„Ausgekotzt und trotzdem gut'“.
Sie schätzt das Hamburger Punk-Urgestein Jens Rachut. „Im Vergleich zum
Theater, wo immer alles mit Sinn aufgeladen wird, ist das eine große
Erleichterung und ein wichtiger Kontrast“, findet sie. Im Punk-Duktus würde
man zu Winters Souveränität vielleicht eher sagen: einfach voll auf die
Neune. Ein Bühnenerlebnis ist das in jedem Fall.
18 Oct 2016
## AUTOREN
Hanna Klimpe
## TAGS
Deutsches Schauspielhaus
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German Angst
Theater
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