# taz.de -- Feine Eierspeisen: Eier! Wir brauchen Eier | |
> Seit seiner Kindheit liebt unser Autor Eier. Aus diesen lassen sich | |
> raffinierte Kreationen zubereiten, welche auch die Partnerin zum Erzählen | |
> anregen. | |
Bild: Eine geniale Idee der Evolution, dieses Ei | |
Am Anfang war das Ei. Oder war es die Henne? Oder war es die hungrige | |
Teresa, die schlecht gelaunt vom Schichtdienst kam? Das weiß ich alles | |
nicht. Aber wenn man hungrig ist, sollte man etwas essen. Zumindest da | |
sind wir uns einig. Unsere Meinungsverschiedenheiten betreffen eine | |
grundsätzliche Einstellung. Isst man lieber das Huhn, oder lieber das Ei? | |
Und: Wer steht am Herd? | |
Weil Teresa Vegetarierin ist, bestimmt sie, was auf dem Speiseplan steht. | |
Und weil sie gerade von der Arbeit kommt, stehe ich am Herd. Ich kann das | |
sowieso besser. Dabei lautet unser Küchengrundsatz: Wer kocht, bestimmt wie | |
es schmeckt. Da hat der andere nichts zu kamellen! Als Nichtkoch hat man | |
kein Recht, über die Zubereitung, fehlendes Salz, zu viel oder zu wenig | |
Säure, fehlenden Majoran oder zu viel Knoblauch zu meckern. | |
Diesmal also Ei. Jedoch kein gewöhnliches Spiegel- oder Rührei. Nicht | |
falsch verstehen! Beide Gerichte sind seitenlange Abhandlungen wert. Ich | |
könnte stundenlang von Spiegelei schwärmen, das man in Butter gebraten hat, | |
sodass es eine leicht braune Kruste bekommt. Dann ist es der perfekte | |
Ersatz für Kassler, wenn man Lust hat auf Sauerkraut und Kartoffelbrei. | |
Oder von Rührei mit nichts als Butter und einer Prise Salz in der Pfanne | |
bei niedriger Hitze gestockt, sodass die Butter in das Ei eingebacken wird, | |
mit Brot oder Brötchen. Ich finde das herrlich. Und auch Teresa findet das | |
nicht schlecht. Aber nicht schlecht ist nun mal noch nicht gut. Also gibt | |
es heute einen französischen Eiklassiker. | |
Ich lege los. Schneide Zwiebeln und Knoblauch und dünste sie mit Olivenöl | |
in der Pfanne an. Dann kommen feine Paprikastreifen, auch Juliennes | |
genannt, dazu. Wenn auch die ein bisschen Konsistenz verloren haben, lösche | |
ich alles mit einem Schuss Wein ab und gebe Dosentomaten, einen Spritzer | |
Zitrone und zwei Teelöffel Paprikapulver dran. Schließlich würze ich mit | |
Salz und Pfeffer und bedenke natürlich auch die alte Hausfrauenweisheit: An | |
alles Süße ein Spur Salz, an alles Deftige eine Spur Zucker. Das rundet das | |
Essen ab. | |
In einer Pfanne lasse ich alles bei niedriger bis mittlerer Hitze etwa 30 | |
Minuten reduzieren. Und dann Eier drauf, bis sie gestockt sind. Außerdem | |
Baguette in Olivenöl, Butter und Knoblauch anrösten, bis es goldbraun ist | |
und duftet. | |
Als Teresa den ersten Bissen nimmt, ist mit ihr noch nicht viel anzufangen. | |
Da spricht noch die pure magenleere Garstigkeit aus ihr, oder wie man es | |
heute nennt: Sie ist „hangry“. Und das ist nicht böse gemeint. Ich werde | |
auch so, wenn ich zu lange hungrig bin. Das zehrt nicht nur an den Hüften, | |
sondern auch am Gemüt. | |
Aber schon bald ist die Stufe „gut“ erreicht. „Ist das Shakshuka?“, fra… | |
sie mich. „Nein“, sage ich, „das französische Pendant, Oeufs Piperade.�… | |
schmeckt genauso und wird im Grunde auch gleich zubereitet, hat aber den | |
schöneren Namen. | |
„Wie war die Arbeit? Leben noch alle Kinder?“, frage ich. | |
„Haha.“ | |
Teresa [1][ist Hebamme] und eine großartige Erzählerin. Sie berichtet von | |
Blut, Schweiß und Tränen. Vierfüßlerstand hier, das Bindungshormon Oxytocin | |
da, – und dann ist da so ein kleiner Babybuddha der kräht und sabbert und | |
schreit und alle sind glücklich. Ich spüre es so langsam wieder, die Liebe | |
als Quelle ihrer Worte ist zurückgekehrt, das ist schön anzusehen. Und | |
deshalb verliere ich mich kurz in Gedanken, obwohl sie immer noch am | |
Erzählen ist. | |
Seitdem ich ein kleines Kind war, bin ich großer Fan von Eiern. Wenn es | |
Samstagmorgens [2][unser großes Frühstück gab], habe ich mich häufig um die | |
Frühstückseier gekümmert. Und dabei habe ich es immer einzurichten gewusst, | |
mir ein „Ersatzei“ zuzubereiten, falls irgendwas mit dem Ersten nicht | |
stimmen würde. Und so ist es bis heute geblieben. Ich liebe Eier, wenn sie | |
pochiert sind, um meinen Kaiserschmarrn fluffig zu machen oder Spargelsuppe | |
zu verfeinern, ich liebe sie hartgekocht in der „Grie Soß“ oder auch als | |
Eiersalat, mit sehr feingeschnittenen Zwiebeln, ganz wenig Essig und Öl, | |
Salz und Pfeffer, oder aber mit gekochten Artischocken und einer selbst | |
gemachten Mayonnaise, die auch wieder mit Eiern gemacht wird. | |
Diese Vielfalt! Aus Eiern schlüpfen Küken. Und das ist nicht die einzige | |
schöpferische Kraft dieser genialen Idee der Evolution. Eier wurden | |
jahrhundertelang in der Malerei benutzt, um Pigmente zu binden. Boticellis | |
„Geburt der Venus“? Pigmente mit Eigelb und Öl auf Leinwand! Und auch | |
andere alte Meister wie Leonardo da Vinci und Rembrandt van Rijn haben Eier | |
für ihre Bilder benutzt. | |
Und weil ich dafür gerade wieder meine Begeisterung entdeckt hatte, habe | |
ich mich Anfang Januar recht häufig an Eierspeisen versucht. An einem | |
dieser Abende saßen Teresa, mein Bruder Til und ich am Esstisch und aßen | |
Oeufs Cocotte. Dafür werden Zwiebeln und Knoblauch in Butter gedünstet, bis | |
sie etwas Farbe bekommen, ablöschen mit Weißwein und noch ein wenig | |
reduzieren. Salz, Pfeffer, eine Prise Zucker vielleicht und ein bisschen | |
Sahne dran, sodass sie „schlotzig“ werden, wie Til sagt. Die Zwiebeln | |
werden in einer Tasse oder im Ramekin portioniert, zwei Eier, ein bisschen | |
Sahne und Frischkäse drauf. Ich benutze am liebsten den der Marke | |
„Boursin“. Die Tasse mit einem Unterteller abdecken und in ein Wasserbad | |
stellen, bis die gewünscht Konsistenz erreicht ist. Ich mag es gerne noch | |
ein bisschen glibberig, so wie Franzosen ihr Frühstücksei essen, andere | |
mögen das nicht. Zum Schluss mit ein wenig Schnittlauch garnieren und, wie | |
das Oeuf Piperade, mit angeröstetem Baguette essen. | |
## Geschichten aus dem Kreißsaal | |
Der erste Hunger war vorüber und Teresa begann, Geschichten aus dem | |
Kreißsaal zu erzählen. Diesmal ging es um den Geburtsprozess. „Alles hilft, | |
[3][was Oxytocin ausschüttet].“ Die einen wollen mit ihrem Partner kuscheln | |
oder sich den Nacken kraulen lassen, andere masturbieren. Das ist kein | |
Witz. | |
Teresas trockener Humor, in Kombination mit einem vollen Bauch und Alkohol | |
ist eine Oase in der Wüste der Unwissenheit. Mit ihren Erzählungen weiht | |
sie uns ein in die große Welt der Geburtshilfe. Und was hat das mit den | |
Eiern zu tun? Nichts, aber vielleicht helfen Hebammen einem ja dabei | |
herauszufinden, ob die Henne oder das Ei zuerst dagewesen ist. Teresa ist | |
überzeugt, dass es das Ei sein muss. Ihre Version der Geschichte: Ein Huhn | |
war ursprünglich mal ein T-Rex. T-Rexe haben Eier gelegt. Die Evolution hat | |
den Rest getan. Irgendwann ist das erste Huhn geschlüpft. End of story. | |
Und weil sie sich mit Eierstöcken, Geburten und so weiter auskennt, glaube | |
ich ihr. Und zum Oxytocin gibt es auch noch eine Geschichte: Wir haben | |
Anfang Januar und draußen minus zehn Grad und unsere Heizung ist | |
ausgefallen. Ich sitze ziemlich dick eingepackt im Homeoffice und warte zum | |
vierten Mal diese Woche auf den Techniker. Wer zittert, kann nicht gut | |
denken, geschweige denn schreiben. Ich sehe meinen Atem und Teresa hat | |
keine Lust, am Abend in ein arschkaltes Haus zu kommen. Deshalb geht’s in | |
die Küche und ich koche, was das Zeug hält. Vier Gasherdfelder und ein Ofen | |
liefern eine Menge Watt. | |
Dafür gibt es ein Omelette Arnold Bennett mit pochiertem Schellfisch. Nur | |
weil Fisch nicht als sonderlich intelligent gilt, halte ich es zwar für | |
falsch, ihn zum Gemüse zu erklären – aber da ich Fleisch esse, halte ich | |
lieber meine Klappe. Denn bei Fisch macht Teresa gelegentlich eine Ausnahme | |
mit ihrem Vegetarismus. Den Fisch pochiere ich in heißer Milch, mit | |
Knoblauch, einer geviertelten Schalotte und Thymian etwa 6 bis 7 Minuten. | |
Danach siebe ich die Milch ab und füge sie langsam einer Mehlschwitze | |
hinzu, die ich mit etwas Butter und Mehl ansetze. | |
Wenn alles glattgerührt ist, kommt eine gute Handvoll Gruyère dran. Ich | |
schmecke die Soße mit einem Eigelb, einer Prise Salz, Zucker und Pfeffer ab | |
und wärme den Ofen vor. 180 Grad Umluft. In einer Schüssel verquirle ich | |
ein paar Eier mit ein bisschen Salz und zerlassener Butter zum Rührei. Wenn | |
es in der Pfanne gerade zu stocken beginnt, wird das Ganze in eine | |
Auflaufform gefüllt, darauf kommen Schnittlauch, der Fisch und nochmal eine | |
gute Hand Gruyère, sowie die Mehlschwitze. Dann lässt man es so lange im | |
Ofen, bis es goldgelb gebacken wurde. | |
Nach dem Essen können wir in der Küche wieder ohne Jacke sitzen. Ich kann | |
wieder denken und wir haben einen Plan für die Nacht: alle Körnerkissen in | |
die Mikrowelle, Wärmflaschen auffüllen und ins Bett legen. Dann kriechen | |
wir dazu und wärmen uns aneinander. Das Bett ist ein Ofen. Und so, wie wir | |
da liegen, spüre ich Oxytocin in uns und die schlechte Laune schmilzt dahin | |
wie Eiswürfel. Zufrieden schlafen wir ein. | |
Am Tag darauf kam ein neuer Techniker. Er fand das Problem: In der Heizung | |
lag ein toter Vogel. Wir hoffen, er hatte gerade nicht gebrütet. | |
3 Mar 2024 | |
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## AUTOREN | |
Clemens Sarholz | |
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