# taz.de -- Döppekooche zum Martinstag: E rischtisch kläi Kunstwerk | |
> Zum Martinstag essen Rheinländer:innen gern Döppekooche. Das Amalgam | |
> aus Kartoffeln, Speck, Zwiebeln, Gewürzen und Fett hat eine besondere | |
> Eigenschaft: Es stiftet Frieden. | |
Bild: Ein prachtvolles Exemplar des Döppekooches oder Dibbelabbes | |
Wir sogen dieses Bild der jungen schönen Gänsevögel tief in unsere Seele | |
ein. „Mich befällt ein Anflug von Zärtlichkeit, wenn ich mir eins dieser | |
Tiere im Bräter vorstelle“, sagte ich. „Du bist brutal“, antwortete sie. | |
„Na hör mal, auch du hast schon verspielte Ferkelchen und verschmuste | |
Rinder weggeputzt, als seien sie Gemüse“, sagte ich. „Dein Kochtopf erhebt | |
die armen Vögi aber nicht in den Adelsstand“, sagte sie. Darüber kann man | |
durchaus geteilter Meinung sein. | |
Der „Meertesdaach“ stand vor der Tür. So wird in Andernach, wo ich | |
aufgewachsen bin, der [1][Martinstag] am 11. November genannt. Meine | |
damalige Freundin und ich waren gerade am Laufen. Das machten wir | |
gelegentlich, wenn uns die Motivation packte, damit unsere Hüften nicht | |
allzu vertrauenswürdig daherschwabbelten. Die Bilder wollten mir nicht mehr | |
aus dem Kopf. | |
Klar, die Bedingungen der eleganten, sportlichen Viecher waren die besten | |
und einem Opfertier durchaus angemessen. Sie hatten eine Menge freien | |
Auslauf, einen klaren Tümpel und offensichtlich waren sie im Begriff, zu | |
einem prächtigen Braten heranzuwachsen. Aber, um ehrlich zu sein, ist so | |
ein Tier unpraktisch. Trotz Maronenfüllung und dicker Soße zu klein für | |
sechs bis acht zu stopfende Mäuler. Im Backofen ist zu wenig Platz für ein | |
zweites und teuer ist so ein Vieh auch noch. Hinzu kommt, dass ich einen | |
Augenblick lang ein latent schlechtes Gewissen hatte, weil die Seele des | |
Tieres, das ich schon persönlich begrüßt hatte, still und leise dem Bräter | |
entwichen wäre. Das brachte mich zum Nachdenken. So kamen wir auf die | |
Kartoffeln. | |
Sie sind sehr günstig. Daher glaube ich, dass man sich ihnen häufig nur mit | |
Nachlässigkeit widmet. Dabei kann ich mir meine Küche ohne [2][Kartoffeln] | |
gar nicht vorstellen. Auch war man mit ihnen immer erfinderisch im Ersinnen | |
neuer Genüsse. Sie sind als Pellkartoffeln, nur mit Butter und ein wenig | |
Salz, schon eine Köstlichkeit, aber auch als belgische Fritten, | |
Zwetschgenknödel mit in Butter geschwenkten Semmelbröseln oder Pommes | |
dauphine. In Herings Lexikon der Küche gibt es über 100 verschiedene | |
Zubereitungsarten. Diese Variationsmöglichkeiten! | |
## Im Ofen gegart und mit Äppelschmeer | |
Kein Wunder, dass es auch die Kartoffel war, die dem Rheinländer zu einem | |
Gericht verhalf, das gut zubereitet eine Köstlichkeit ersten Ranges ist und | |
eigentlich unter Denkmalschutz gehört. Dieser Eckpfeiler rheinischer | |
Gourmandise nennt sich Döppekooche. Das ist, wie man in Andernach sagen | |
würde, e rischtisch kläi Kunstwerk aus geriebenen Kartoffeln, Speck, | |
Zwiebeln, Gewürzen und einer Menge Fett. Er wird gerne als Alternative zur | |
Martinsgans zubereitet, im Ofen gegart und mit Äppelschmeer, also Apfelmus, | |
serviert. Das ist ziemlich preiswert und erfüllt seinen Zweck genauso wie | |
ein prächtiger Gänsebraten. | |
Wie jede andere Köstlichkeit, die zu Festtagen gereicht wird, hat der | |
Döppekooche nämlich vor allem die Aufgabe, Frieden zu stiften. Das kann er. | |
Unter seinem Diktat werden alle weich, friedlich, sanftmütig und | |
nachsichtig miteinander. Und wenn die erste Schläfrigkeit vorüber ist, kann | |
man sich auch wieder den wichtigen Dingen widmen. Den Erzählungen und | |
Anekdoten, dem Gesang und dem Wein. Übrigens passt ein halbtrockener Weißer | |
hervorragend dazu, genauso wie Federweißer. Natürlich geht auch Bier. | |
## Im Saarland sagt man Dibbelabbes | |
Viele Regionen und Volksgruppen haben eine eigene Variation des | |
Döppekoochens. Im Saarland heißt er Dibbelabbes. Juden reichen die | |
Kartoffelkugel auch zum Schabbat, denn man kann ihn auch am Vortag | |
zubereiten und kalt essen. Und außerdem vegetarisch, ganz ohne totes Tier. | |
Schmeckt immer noch hervorragend. In Westfalen gibt es Potthucke. Das Wort | |
kommt daher, dass, wenn man ihn nicht ordentlich zubereitet, auch schnell | |
was von der Masse unten im Bräter kleben bleibt. Das ist dann das, was | |
unten im Pott hockt. Frank-Walter Steinmeier hat sich ihm zu Ehren sogar | |
ein paar Worte aus den Rippen geleiert, für ein Büchlein, das sich den | |
kulinarischen Freuden Westfalens zuwendet. Das habe ich mir aber nicht | |
gekauft, weil es mich nicht interessiert. | |
Was mich interessiert, sind die [3][Gänse], die vielleicht überleben. Deren | |
Muskeln vielleicht die Chance bekommen, hart und ungenießbar zu werden und | |
einen natürlichen Schutz bieten vor den Fresssäcken dieser Welt. Ich werde | |
nach dem diesjährigen Döppekooche und dem Wein noch eine Müslischüssel voll | |
Mousse au Chocolat futtern und Haselnussschnaps trinken. Und dann dämmere | |
ich weg, während ich mir vorstelle, wie die Gänse freigelassen wurden. Sie | |
sind so groß, dass sie mich tragen können. Wir fliegen gemeinsam Richtung | |
Sonnenuntergang. | |
6 Nov 2022 | |
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## AUTOREN | |
Clemens Sarholz | |
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