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# taz.de -- Die richtige Kartoffel: Speckig, cremig, moorblank
> Sie werden oft nur „mehlig“ oder „festkochend“ genannt, dabei können
> Kartoffeln so viel mehr sein. Ein Besuch auf dem Münchner
> Viktualienmarkt.
Bild: Manche sind erdfarben, andere glänzen goldgelb: Kartoffeln am Viktualien…
Blau und lila leuchtet es im Wintergrau. Kartoffeln in allen Formen und
Größen liegen in Holzkisten unter der gelb-weiß-gestreiften Markise, manche
sind staubig und erdfarben, andere glänzen gelblich. Sie tragen Namen wie
Vitelotte, Bamberger Hörnchen oder La Ratte d’Ardèche. Im Gegensatz zum
Supermarkt, wo ihre Individualität auf mehlig, vorwiegend festkochend oder
festkochend beschränkt ist, wird die Kartoffel am Stand „Caspar Plautz“ auf
dem Münchener Viktualienmarkt als vielseitiges und edles Lebensmittel
präsentiert.
Dominik Klier, 34, und Theo Lindinger, 35, verkaufen hier seit fünf Jahren
Kartoffeln. Von Dienstag bis Samstag, ein Fulltimejob. Ihr Marktstand ist
gleichzeitig ein Imbiss mit warmer Küche. Während einer Pause am
benachbarten Kaffeestand erzählt Lindinger, wie sie zur Kartoffel kamen –
„wobei sie eher zu uns gekommen ist“. Denn Vorkenntnisse in der Gastronomie
oder dem Lebensmittelhandel hatten die beiden vorher kaum. Lindinger ist
gelernter Goldschmied und Klier Soziologe. Fans von gutem Essen waren sie
allerdings schon immer.
Die Geschichte des [1][„Caspar Plautz“] beginnt im südfranzösischen
Saint-Jean-de-Laur. Dort kochten Lindinger und Klier im Juni 2017 für knapp
tausend Besucher eines Musikfestivals ein Drei-Gänge-Menü. Dabei sei nicht
alles perfekt gelaufen, erzählt Lindinger, aber funktioniert habe ihre
kulinarische Zusammenarbeit trotzdem. „Wir haben dann vage überlegt,
gemeinsam etwas in die Richtung zu machen. Aber einen konkreten Plan gab es
nicht.“
Als kurz darauf ein alter Bekannter seinen Kartoffelstand am
[2][Viktualienmarkt] wegen eines Bandscheibenvorfalls aufgab, überlegten
Lindinger und Klier nicht lange. Sie übernahmen den Stand.
Doch die Marktregularien sind strikt: Weiterhin müssen hier Kartoffeln
verkauft werden. Und im angeschlossenen Imbiss sind ausschließlich
Ofenkartoffeln erlaubt – keine Pommes, keine Kartoffelpuffer, kein Püree.
Am Anfang machte ihnen diese Auflage Sorgen. „Ofenkartoffeln, allein das
Wort ist schon so mau“, sagt Lindinger. „Irgendwie klingt es wie eine
Feigenblatt-Vegetarierbeilage in einem Steakhaus.“ Mittlerweile stehen auf
der Karte Ofenkartoffeln mit Shakshuka oder Kürbis-Kichererbsen-Curry und
an den Bistrotischen drängen sich Menschen dicht an dicht vor dampfenden
Tellern. Das Konzept geht offenbar auf.
Bei der Frage, welche Kartoffelsorte in der kalten Übergangszeit am besten
schmeckt, kommt Theo Lindinger in Fahrt. Das hänge natürlich davon ab, was
man kochen wolle. „Aber ein immer verlässlicher Favorit ist die Allians.
Eine sehr speckige, ganz festfleischige, sehr schmackhafte Sorte aus dem
Ampermoos. Toll für Kartoffelsalate.“
Lindinger zählt weiter auf: „Die Sieglinde kommt aus dem Donaumoos in der
Nähe von Ingolstadt. Heißt auch nicht umsonst so.“ Sie werde in schwer
moorigen Boden angebaut, habe deswegen einen hohen Fett- und Mineralgehalt.
„Das fettige Schimmern ist ein Qualitätsmerkmal, ‚moorblank‘ nennt man
das.“
Die teuerste Kartoffel, die sie verkaufen, wächst am Atlantik, auf der Île
de Noirmoutier, einer Insel an der Küste der Normandie. Die
Salzwiesenkartoffel La Bonnotte düngen die französischen Bauern mit Algen
und Seetang. „Sie schmeckt natürlich salzig und ist super cremig. Wer sie
verkaufen will, muss an einer Versteigerung teilnehmen.“ Die „Königin der
Kartoffeln“ werde nur im Frühling verkauft. „Im letzten Jahr für ungefähr
9,50 Euro das Kilo.“
Auch aus Frankreich: die Juliette des Sables aus der Bretagne. „Passt gut
zu Fisch, aber auch lecker mit Rosmarin und Mandarinenschale im Ofen. Wird
super crispy.“ Dann gibt es noch die Rote Emmalie („innen rot, schmeckt
maronenartig“) und das Bamberger Hörnchen („wird seit dem 17. Jahrhundert
angebaut, toll zu dunklem Fleisch, Pilzen und Wacholder“). Lindinger könnte
stundenlang so weitermachen. „Weltweit gibt es knapp 6.000 Kartoffelsorten,
hundert davon haben wir jährlich im Angebot.“
Lindingers Lieblingsgericht aus Kartoffeln stammt aus seiner Kindheit: die
Schupfnudeln mit Apfelsauerkraut seiner Mutter Irmi. „Ich empfehle dafür
die Agria, eine Biokartoffel, die vorwiegend fest bis mehlig ist, mit
schöner Textur und kräftigem Gelb.“ Die Kartoffeln werden im Ofen kurz
angegart und mit Hartweizen und Ei zu einem Teig geknetet, dann die Nudeln
geformt, in heißem Wasser gekocht und in Butterschmalz angebraten.
Das Rezept ist eines von vielen in dem Kochbuch, das die beiden 2019
gemeinsam mit ihrem Koch Kay Uwe Hoppe herausgegeben haben. In „Rezepte mit
Kartoffeln“ wird außerdem erklärt, was es mit dem Namen ihres Standes auf
sich hat: Caspar Plautz war ein österreichischer Benediktinerabt, der schon
1621 ein Kartoffelkochbuch veröffentlichte. Was heute unspektakulär klingt,
war seinerzeit exotisch. Denn genau wie Tomaten und Paprika kam auch die
Kartoffel im Zuge der europäischen Conquista Südamerikas in die deutsche
Küche.
Mit der Münchener Restaurant- und Kulturszene sind Dominik Klier und Theo
Lindinger gut vernetzt: Alle sieben Tage wählt ein anderer Gastronom die
„Kartoffel der Woche“ aus und kocht mit ihr ein Gericht. Das wird dann auf
Instagram perfekt in Szene gesetzt. Etwa die Ofenkartoffel mit einer
Rinderschulter-Tajine und einem Dressing aus Salzzitrone und Buchweizen.
Erdige Orangennuancen mit einem Stängel Dill, angerichtet auf einer
tannengrünen Tischdecke. 14.000 Follower interessiert das.
Sogar Mixtapes haben die Kartoffelhändler einigen ihrer Lieblingssorten
gewidmet. Aber wie hört sich eine Kartoffel typischerweise an – womöglich
deutsch? Auf der Spotify-Playlist „Andengold“ dominieren zumindest
englische Titel. Die Sorte beschreiben Klier und Lindinger als „crispy,
gehaltvoll, sehr aromatisch und wohltuend wärmend“, die 117 Songs sind eine
wilde Mischung, deren Konzept sich der Zuhörer dann doch irgendwie selbst
erschließen muss.
Vom New-Wave-Klassiker „Blue Monday“ von New Order („Sag mir, wie es sich
anfühlt, wenn dein Herz kalt wird“) geht es vom grauen Manchester der 80er
Jahre ins warme Texas, wo Trini Lopez singt: Lass die Ketten von meinem
Herzen / Baby, lass mich gehen / Lass die Ketten von meinem Herzen / Denn
du liebst mich nicht mehr. Man könnte die „Andengold“ also durchaus als
Helferin bei Liebeskummer deuten. Vielleicht ist auch das die heimliche
Stärke der Kartoffel: Wenn das Herz mal wieder bricht, stell dir Kartoffeln
auf den Tisch.
20 Mar 2023
## LINKS
[1] https://www.casparplautz.de/
[2] https://www.viktualienmarkt-muenchen.de/
## AUTOREN
Jannis Holl
## TAGS
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