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# taz.de -- Profikuschlerin im Porträt: Die Anfasserin
> Elisa Meyer bietet Kuscheln gegen Bezahlung an. Manche verwechseln das
> mit Prostitution. Dabei geht es bei der Profikuschlerin um Zärtlichkeit.
Bild: Kuschelt mit Menschen, aber auch mit Kuscheltieren: Elisa Meyer in ihrer …
Vor der Tür der Kuschelpraxis in Leipzig-Gohlis wartet eine Frau. Ihre
Gesichtszüge sind entspannt, sie lächelt in der Nachmittagssonne. Eine
andere Frau, kurze Haare, Pumphosen und Schal, kommt aus dem Altbau. Die
beiden umarmen und streicheln sich über den Kopf, bis ein Taxi vor ihnen
hält. Die Frauen haben gerade an einem Berührungsworkshop teilgenommen,
zwei Tage lang. Sie sagen, sie fühlten sich entspannt und erschöpft.
Elisa Meyer geht es ebenso. Die 36-Jährige gebürtige Luxemburgerin sitzt im
Schneidersitz auf der Couch. Sie redet langsam, ihre Augen sind schläfrig,
sie trägt einen Pyjama. Meyer zeigt den Seminarraum ihrer Praxis:
[1][Kuscheltiere], eine Wolke ist dabei und auch ein Regenbogen, bilden
einen Kreis auf den Matratzen, die auf dem Boden liegen. Dass in diesem
Raum kollektiv gekuschelt wurde, liegt noch in der Luft. Nach und nach
öffnet Elisa Meyer alle Fenster, eine frische Brise kommt rein. Dann zeigt
sie das für Kuschelstunden zu zweit eingerichtete gelbe Zimmer mit
Doppelbett.
Allen Wünschen beim bezahlten Kuscheln nachzugehen, sei allerdings nicht
möglich. Küssen oder geküsst werden beispielsweise, ist bei Elisa Meyer, so
wie bei allen Profikuschler*innen, nicht erlaubt. Auf dem Tisch im
Warteraum stehen die Regeln einer Kuschelsession und der Preis: 70 Euro.
Daneben liegen Bonbons, Meyers erstes Buch „Berührungshunger“, eine
Taschentücherbox mit dem Schriftzug „love“, außerdem: eine Zeichnung mit
„Tabuzonen“. Rot markiert sind die Körperteile, die beim Kuscheln nicht
infrage kommen. Meyer mag die kindliche Figur auf dem schon zerknitterten
Papier. Sie hat sie gemalt, als sie anfing eine professionelle Kuschlerin
zu sein.
Über ihren Weg und ihren Alltag hat Elisa Meyer im Workshop erzählt. Und
sie hat Berührungstechniken gezeigt, als Modell dafür stand ihr Freund zur
Verfügung. „Vier Stunden lang wurde er von mir gekuschelt“, sagt Meyer und
lächelt ihn an. Ihren Partner stört nicht, dass sie beruflich mit anderen
kuschelt. „Er hat mich so kennengelernt und fand das interessant.“
## Kuscheln ist eine „absichtlose Berührung“
Allerdings kommt ihre Arbeit nicht bei allen gut an. Wenn Meyer erzählt,
dass sie fürs Kuscheln bezahlt wird, wird sie oft skeptisch angeschaut.
„Hä, bist du Prostituierte?“, fragen die Leute. „Sie finden es
außergewöhnlich, für Intimität Geld zu verlangen'‘, sagt Elisa Meyer. „…
sie bedeutet das dann gleich Sexarbeit, weil sie nichts anderes kennen.“
Doch im Gegensatz zu sexueller Berührung gehöre das Kuscheln, zusammen mit
der Massage, zu den „absichtslosen Berührungen“; es geht um Zärtlichkeit
und Wärme.
Studiert hat Meyer Germanistik und Philosophie. Ihre Doktorarbeit schrieb
sie zum Thema leibliche Identität und Tastsinn in der Literatur, dabei fing
sie an, zu Körpertherapien zu recherchieren, und erfuhr so vom
professionellen Kuscheln. 2016 lernte sie ebendieses in den USA und in
England, wo diese Methode schon zum Trend geworden war.
Nach ihrer Ausbildung begann Meyer in Wien als Profikuschlerin zu arbeiten,
dann zog sie nach Leipzig und zwar wegen Martin Grunwald. Der hat das
Haptik-Forschungslabor an der Medizinischen Fakultät der Universität
Leipzig gegründet und ein Buch darüber geschrieben, warum der Mensch ohne
Berührung nicht leben kann: „Homo hapticus.“ Meyer wollte mehr von ihm
lernen. 2021 eröffnet sie schließlich ihr eigenes Kuschelkabinett. In ihrer
Freizeit begleitet sie außerdem sterbende Menschen. Bei ihnen gehe es vor
allem darum, Hände zu halten.
„Ich bin wie eine Tankstelle fürs Kuscheln'', sagt Elisa Meyer, doch müsse
man damit auch vorsichtig sein. Am Anfang hatte sie Angst, einen
„Kuschel-Burn-out“ zu erleben. Jeden Tag mit drei oder vier Menschen zu
kuscheln, sei zu viel. „Am Ende war ich leer“. Sie habe gelernt, ihre
eigene Kapazitätsgrenze zu erkennen: „Bis fünf Kund*innen pro Woche, mit
Pausen dazwischen, ist okay“. Mit zusätzlichen Workshops, Vorträgen [2][und
Kuschelpartys] kommt sie über die Runden. Was sie auch aus der Erfahrung
lernte: Freund*innen oder Bekannte als Kund*innen aufzunehmen, das geht
nicht. „Mit ihnen kuschele ich lieber nach Feierabend.“
## Wenn Regeln gebrochen werden, ist der Spaß vorbei
All dieses Wissen gibt Elisa Meyer auch weiter, an die Menschen, die sie
als Profikuschler*innen ausbildet; mittlerweile mehr als zwanzig
bundesweit. Ein Beruf, der nicht für alle geeignet ist: Freude an Berührung
sollte man mitbringen, „auch wenn man persönlich das Gegenüber
unsympathisch findet“, sagt Meyer. „Wenn die Person sich an die Regeln
hält, nicht unhygienisch oder übergriffig wird, dann muss man ihr das
geben, wofür sie bezahlt hat.“ Bei alldem spielen Weltanschauungen,
politische Meinungen oder auch das Aussehen der Menschen keine Rolle. Nur,
wenn Regeln gebrochen werden, dann ist der Spaß vorbei.
Gekuschelt wird ausschließlich bekleidet, die „Tabuzonen“ (wie Brüste oder
Mund) dürfen nicht angefasst werden. Sollte die Kuschlerin merken, dass ein
Treffen „in die falsche Richtung geht“, bricht sie es ab, redet darüber,
wechselt die Position. „Einmal tief Luft holen und von vorne anfangen“,
sagt sie.
Siebzig Prozent der Kund*innen sind Männer und die „haben auch Angst, bei
mir etwas Falsches zu machen“. Bei ihnen erklärt Meyer alles ausführlicher,
„weil schneller die traditionellen Rollenbilder dazwischenfunken“. Dann
verrät der Kunde oder die Kundin, warum er da sei. „Wir machen es uns
gemütlich und fangen langsam mit Händchenhalten und Plaudern an.“ Als
Nächstes schlägt der Kunde eine Kuschelposition vor und entspannt sich.
„Ich kraule dann den Kopf oder den Rücken, bis wir irgendwann in den Flow
kommen.“
Im Park oder im Kino hat Elisa Meyer auch schon beruflich gekuschelt. Doch
viele Kund*innen verheimlichen ihren Kuscheltermin. „Sie schämen sich
darüber oder haben Angst, stigmatisiert zu werden.“
## Noch nicht von den Krankenkassen anerkannt
Es sei also nicht das Schwierigste an ihrer Arbeit, Regeln einzuhalten,
sondern „nicht immer helfen zu können“, sagt Meyer. „Wenn Kund*innen
leiden, Schmerzen empfinden oder mir erzählen, dass sie keine Lust am Leben
haben, da fällt es mir schwer, es auszuhalten. Viele Stammkund*innen
sind einsam oder depressiv.“ Sie kann aber nicht einen Schalter betätigen
und den Menschen geht es wieder gut. Genau wie Kuscheln keine
Psychotherapie ersetzen kann – „doch es kann sie ergänzen“. Meyer wünsc…
sich, dass zukünftig die Krankenkassen das Kuscheln als Therapie erkennen
und die Kosten übernehmen. Wäre die Gesellschaft mehr auf Kuscheln
eingestellt, gäbe es weniger Sucht und Angststörungen, glaubt sie.
„Das absichtslose Kuscheln ist wie eine eigene kleine Welt, in der ich das
Gefühl der Einsamkeit, meine Unsicherheit und die Scham für meinen Körper
hinter mir lassen und ein bisschen mehr Selbstsicherheit gewinnen kann“,
lautet ein Eintrag in Meyers Gästebuch. Eine Frau schreibt, länger als
zwanzig Jahre auf den Moment gewartet zu haben, „endlich'‘ umarmt zu
werden.
Geht es beim Kuscheln also um die Ausschüttung von Oxytocin, also von
Glückshormonen, oder um die Illusion, nicht einsam zu sein? „Um beides“,
antwortet Elisa Meyer. Dass Kinder, die keinen physischen Kontakt zu den
Eltern haben, konfliktanfälliger sind, sei mit vielen Studien zu belegen.
Meyer hatte Glück: „Bis heute kuschele ich gerne mit meiner Mutter, wenn
sie mich besucht.“
So wie mit ihrer Mutter kuschelt, kuschelt Elisa Meyer auch am liebsten mit
ihren Kund*innen: in der „Wiege“. „Ich halte meine Kund*innen gerne wie
Babys im Arm.“ Die meisten schlafen dabei ein.
3 Oct 2022
## LINKS
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## AUTOREN
Luciana Ferrando
## TAGS
Kuscheln
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