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# taz.de -- Selbstversuch Kuschelparty: Berühr mich!
> Bei Kuschelpartys treffen sich Fremde, um Nähe zu spüren. Unser Autor
> kommt mit Fluchtgedanken – und verharrt schließlich in
> Löffelchenstellung.
Bild: Komm kuscheln, Unbekannter! Teilnehmer einer Kuschelparty in Hamburg
Vier Hände wandern über meinen Körper. Über meine Unterschenkel, meinen
Bauch, über die Schultern, durch die Haare und den Hals hinab. Ich liege
mit verbundenen Augen auf der Matratze und weiß nicht, wem diese Hände
gehören. Frau oder Mann, alt oder jung, dick oder dünn? Wer lässt seine
Hand gerade auf die Innenseite meines Oberschenkels gleiten? Im Hintergrund
meditative Musik, Räucherstäbchengeruch – und immer wieder diese weiche
weibliche Stimme: „Spürt diese Wärme, spürt euren Atem und die Hände.“
Fluchtgedanken.
Drei Stunden zuvor. „Habe Mut, du selbst zu sein“, steht auf dem gelben
Schild am Eingang des kleinen Neubaus der MUT-Fabrik im Leipziger Osten.
Ich muss erst einmal Mut aufbringen, um durch die Tür zu gehen, denn
drinnen warten fremde Menschen darauf, miteinander – und mit mir – zu
kuscheln. Wir werden begrüßt, zahlen 20 Euro, und ziehen unsere Schuhe aus.
Zwölf Matratzen, mit dunkelroten Laken bezogen, bedecken den braunen
Laminatboden. Stehlampen, Palmen, Regale. Darin Kissen, Decken, Kerzen. Es
ist stickig. Wir sind 24 Menschen, zwölf Männer und zwölf Frauen, die
jüngsten Mitte 20, der älteste um die 70. Jogginghosen, Fleece, Leinen. Wir
hocken auf den Matratzen, noch Abstand haltend zu den Nachbarn. Den fremden
Körpern.
Smita und Sabine begrüßen uns zur Kuschelparty. „Berührt zu werden ist ein
menschliches Grundbedürfnis“, sagt Smita. „Schön, dass ihr den Mut habt, …
diesem geschützten Raum zu experimentieren“, sagt Sabine. Beide sind
Tantramasseurinnen und um die 40. Ein Stoffigel kreist. Wer ihn in den
Händen hält, stellt sich vor. Vorname, Gefühlslage („aufgeregt“, „müd…
„angespannt“) und ob man zum ersten Mal hier ist. Kein Alter, kein Beruf,
keine Motive. Neben mir sind noch acht andere Neulinge. Skeptisch sind sie.
## Nein-Sagen lernen
Die Matratzen werden an die Wände gelehnt. Zur Auflockerung sollen wir
tanzen. Also tanzen wir. Jeder für sich. Es läuft „Happy“ von Pharrell
Williams. Manche trippeln nur auf der Stelle – ich auch. Draußen scheint
die Sonntagmittagssonne, drinnen tanzen 24 Menschen. Hilde fällt mir sofort
auf. Sie heißt in Wirklichkeit anders, so wie alle anderen Teilnehmerinnen
und Teilnehmer der Kuschelparty. Hilde hat kurzes graues Haar. Sie ist zum
ersten Mal hier und eine, mit der ich beim Kaffee gerne über das Leben und
die Liebe reden würde. Mit ihr will ich kuscheln. Andere hüpfen,
ausgelassen. Björn etwa. Schwarze Stoffhose, schmutziges T-Shirt, Eso-Typ.
Er schießt durch den Raum, fällt, steht wieder auf. Ich wippe weiter und
schwitze und will nicht mit Björn kuscheln.
„Bildet Paare“, sagt Smita. Ich lächele Hilde an. Sie lächelt zurück. Wir
reichen uns die Hände. Noch wird nicht gekuschelt, sondern gespiegelt.
Nachmachen, was der andere vormacht, „in Kontakt treten“, sagt Smita. Wir
haben Spaß. In die Knie. Mit den Händen durch die Haare, abklatschen,
drehen, an den Ohren ziehen. Partnertausch. Mit Maik klappt das Spiegeln
nicht so gut. Er guckt verbissen. Ich stelle mir vor, wie er auf
Mittelaltermärkten Scheingefechte mit Holzschwert austrägt und Honigwein
aus einem Horn trinkt. Seine ambitionierten Verrenkungen strengen mich an.
Behutsam werden die ersten Berührungen vorbereitet. Mit geschlossenen Augen
stehe ich in der Mitte, Hände werden auf meinen Körper gelegt. Ich soll
Nein sagen oder Ja, je nachdem, ob es sich gut anfühlt. Fremde Hände auf
dem Körper, das ist nichts, was man im Alltag erleben will. Schon zufällige
Berührungen in der U-Bahn stressen mich. Und jetzt das.
Die nächste Eskalationsstufe: sich blind hingeben. Ich liege also mit
verbundenen Augen am Boden und spüre vier Hände auf mir, die streicheln,
kneten, massieren. Als ich mit dem Streicheln dran bin, die Augenbinde
abgelegt habe, arbeite ich mich an den Unterschenkeln von Maik ab,
ausgerechnet. Feste Waden hat er. Immerhin.
## Kuschelknäuel
Nebenan liegt Björn auf dem Rücken. Eine junge Frau und ein älterer Mann
bearbeiten seinen Körper. Unter Björns dünner Hose zeichnet sich deutlich
sein steifer Penis ab. Irritierte Blicke. Eine Erektion sei nicht schlimm,
sagt Smita am nächsten Tag am Telefon. Auch Lust zu haben sei in Ordnung.
„Sie wird bei uns aber nicht ausgelebt.“ Für Smita sind Kuschelpartys vor
allem ein Experimentierfeld. Wie stelle ich Nähe her, wie trete ich in
Kontakt zu anderen? „Manche beginnen zu weinen“, sagt sie. „Weil sie ihre
Sehnsucht spüren, so angenommen zu werden, wie sie sind. Bedingungslose
Nähe zu erfahren. Oder weil sie daran denken, dass ihnen diese Nähe als
Kind gefehlt hat.“ Bei uns weint niemand.
Die Kuschelzeit beginnt, auf die alle hier warten. Mir graut vor ihr.
Erneut: Fluchtgedanken. Wir stellen uns in einen Kreis, legen Augenbinden
an, fassen einander bei den Händen. Smita sorgt dafür, dass sich der Kreis
zu einer Spirale formt und wir uns in der Mitte treffen. Ich spüre Körper,
vor, neben, hinter mir. „Jetzt können eure Hände die Umgebung erforschen“,
sagt Smita. Hände, die mich am Hintern berühren, die über die Brust
streicheln. Es wird eng, es riecht nach Schweiß. Die ersten gleiten zu
Boden. Ich schiebe die Augenbinde hoch. Kuschelknäuel. Ich klammere mich an
Doris, freundliche Ausstrahlung. Oder hat sie mich ausgesucht?
Wir landen auf dem Boden, ich löffele sie von hinten, lege meinen Arm um
sie, den sie beständig streichelt. Die nächsten eineinhalb Stunden verharre
ich in dieser Position. Doris wirkt ausgehungert, liebesbedürftig. Wohlig
drückt sie ihren Körper an meinen. Kurz habe ich Mitleid. Ich sehe in die
Gesichter. Alle wirken zufrieden. Eigentlich doch nicht: bedauernswert.
„Warum die Leute zu uns kommen, wissen wir nicht“, sagt Smita später am
Telefon. Mitleid sei unnötig, „denn wer hat kuscheln nicht nötig?“.
Die Kuschelzeit geht vorbei, es läuft ein Song von Ich + Ich. Smita und
Sabine haben Mühe, die Gruppen aufzulösen. In der Feedbackrunde drückt
Doris den Plüschigel an sich. „Ich habe die Zeit sehr genossen, die innigen
Berührungen meines Partners. Ich hatte Angst, dass er geht. Aber er ist
geblieben“.
Ein letztes Gruppenkuscheln. Dann hetze ich aus dem Raum. Doris kommt
hinterher. „Ich wollte mich herzlich bei dir bedanken.“ Wir umarmen uns.
Von Menschen, für die Berührungen eine Qual sind, und neuen Forschungen,
was das Hormon Oxytoxin damit zu tun hat, lesen Sie in der Titelgeschichte
„Die unterkuschelte Gesellschaft“ in der [1][taz.am wochenende vom 31.
April/1. Mai 2016].
29 Apr 2016
## LINKS
[1] /Ausgabe-vom-304/152016/!162237/
## AUTOREN
Paul Wrusch
## TAGS
Körper
Kuscheln
Selbsthilfe
Sex
Hosen runter
Stiftung Warentest
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