# taz.de -- Die Wahrheit: Gefährlicher Flausch | |
> Kinderarbeit heute: Wie die Stiftung Warentest Kuscheltiere testet und | |
> die Qualitätskontrolle tierähnlicher Textilobjekte verschärft. | |
Bild: Auf den ersten Blick sind Flauschis zum Kuscheln bestens geeignet. | |
Sie sind die besten Freunde der Kinder und für viele auch die einzigen: | |
Kuscheltiere. Glaubt man der Stiftung Warentest, sind die Plüschkameraden | |
jedoch alles andere als harmlos. Nicht robust genug für Kinderhände und | |
belastet mit zahllosen Schadstoffen, lautete kürzlich das dramatische | |
Testurteil. | |
21 von 30 Kandidaten fielen mit einem Mangelhaft durch und sind demnach | |
nicht einmal zum Verzehr geeignet. Doch wie werden Produkte getestet, die | |
so viel mehr sind als bloß fabrikmäßig zusammengenähte Giftlumpen? Nämlich | |
richtige Familienmitglieder mit eigenen Namen, eigenen Kuschelbedürfnissen | |
und eigenen Karzinogenen. | |
In den Labors der Stiftung Warentest hat man bereits die nächste Runde der | |
Qualitätskontrolle tierähnlicher Textilobjekte „eingeläutet“, wie es im | |
Branchenjargon heißt. Dabei wird so seriös und gründlich gearbeitet, wie | |
man es von der Traditionsorganisation erwartet: Etwa 40 Kinder im Alter | |
zwischen zwei und neun Jahren purzeln auf dem Teppichboden der großen Halle | |
herum, in der die Kuscheltiere auf Watteherz und Holzwollenieren geprüft | |
werden. Diese sogenannten Ersttester entscheiden maßgeblich über die | |
Bewertung. Bekommt ein Kind Ausschlag oder wächst ihm ein zweiter Kopf, | |
wird sein Plüschgefährte automatisch um eine Note herabgestuft. | |
## Zuteilung per Zufallsprinzip | |
Frederik schleift eine große Schildkröte hinter sich her. „Das ist Dörthe�… | |
stellt er sie vor. „So heißen Schildkröten in Englisch.“ Jedes Kind konnte | |
anfangs seinen Favoriten im Katalog auswählen und bekam dann per | |
Zufallsprinzip ein anderes Modell zugeteilt, um Realbedingungen zu | |
simulieren. | |
Frederik ist trotzdem zufrieden: „Mein Onkel hat eine Schildkröte. | |
Schildkröten sind die coolsten Tiere“, schwärmt er. „Sie dürfen den ganz… | |
Tag herumliegen und bewegen sich nur zum Fressen. Mein Onkel ist | |
Matratzentester, das will ich später auch werden.“ Etwas träge schlurft | |
Frederik zur Cafeteria und holt zweimal Pommes rotweiß. Eine Portion bietet | |
er Dörthe an, die will aber nicht, also schmatzt er beide weg. „Kein | |
Futterneid, Note eins“, notiert Frederik im Bewertungsbogen. | |
Zwei Dutzend Stationen sind dort aufgeführt, die nacheinander durchlaufen | |
werden müssen. Angefangen mit Optik, Haptik und Kuschelverhalten geht es | |
über verschiedene Charakterprüfungen, Sozialexperimente und Mutproben hin | |
zu detaillierter Materialanalyse und Metakritik. Überwacht und reguliert | |
wird das Ganze selbstverständlich von Erwachsenen, die sich auf ihre | |
wissenschaftliche Distanz einiges einbilden. | |
„Die Emotionen der Kinder rechnen wir später mit eiskaltem Blick wieder | |
heraus“, erläutert Testleiterin Vera Beck das Verfahren. „Trotzdem können | |
wir auf die Hilfe der Kids nicht verzichten. Wir wissen einfach nicht, wie | |
man mit diesen Dingern spielt.“ | |
## Blutdurst und Brutalität | |
Nebenan ist derweil ein handfester Streit ausgebrochen. Martina attackiert | |
mit ihrem Tiger das Schaf von Tim, ein Schafbein hängt nur noch am seidenen | |
Faden. Tim weint und rennt zur Kuscheltierapotheke, um Pflaster für das | |
verletzte Tier zu holen. „Bei Spitzenprädatoren erwarten Kunden eine | |
angemessene Kampfleistung“, informiert Beck über den Untersuchungszweck der | |
Auseinandersetzung. „Blutdurst und Brutalität überzeugen bei diesem Modell | |
jedoch nicht, das war höchstens ‚ausreichend‘.“ | |
In der Kuschelecke liegt derweil Sofia selig auf ihrem sitzsackgroßen | |
Teddy, von dem ein starker chemischer Geruch ausgeht. „Hallooooo“, grüßt | |
sie mit sanfter Stimme. „Mein Bäri kann fliegen, huiiii …“ Selbstvergess… | |
strahlt Sofia in die Deckenbeleuchtung, während uns langsam schummrig wird. | |
Das Testergebnis fällt entsprechend aus: Der Teddy sei ideal für Kinder, | |
deren lebhaftes Wesen von der Umgebung als störend empfunden werde, heißt | |
es später im Bericht. „Ich will mein Bäri niiiiie wieder hergeben!“, ist | |
Sofia dennoch überzeugt. | |
Die emotionale Bindung der Kleinen an ihre haarigen Lieblinge ist ein | |
wichtiges Kriterium für die Güte der Schmuseviecher. „Meinem Goldi kann ich | |
einfach alles erzählen“, berichtet Gil über seinen kleinen pelzigen Hund. | |
„Wir haben keine Geheimnisse voreinander, er hört mir immer zu. Eigentlich | |
ist er der Einzige, der mir überhaupt zuhört.“ | |
## Metakritik mit der Häckselmaschine | |
Nach der Abgabe einiger Haarproben und Belastungstests der Nähte geht es | |
zur letzten Station, der Metakritik. „Dann wollen wir mal“, sagt | |
Testleiterin Beck und pflückt Gil seinen Knuddelkumpel aus dem Arm. | |
„Schauen wir, was die Häckselmaschine zum Gesamtkonzept sagt.“ Mit einem | |
Wusch verschwindet Goldi im Trichter, auf der anderen Seite landet Flaum | |
auf einem großen Flauschhaufen. „Ein Satz mit x, aber leider auch | |
hochgiftig und stark suchterzeugend, das war wohl nix“, lacht Beck und | |
zwinkert Gil zu. „Den kriegen wir schon wieder ganz, wir melden uns dann | |
einfach bei dir. Der nächste bitte!“ | |
So wie Goldi ergeht es den meisten der getesteten „Freunde auf Zeit“, wie | |
Beck sie nennt. „Eltern sollten sich überlegen, ob sie ihren Kindern nicht | |
statt eines Tiers aus Plüsch ein lebendiges schenken“, mahnt Beck | |
angesichts der besorgniserregenden Testergebnisse. „Denn so viel ist | |
sicher: Kuscheltiere sind keine Weihnachtsgeschenke!“ | |
4 Dec 2015 | |
## AUTOREN | |
Valentin Witt | |
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