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# taz.de -- Die Wahrheit: In der letzten Idylle
> Im Hamburger Vorort Blankenese rüstet sich ein Verbitterungsmilieu der
> allerhöchsten Gehaltsklasse zur zweiten Runde im Flüchtlings-Streit.
Bild: Von Sorge zerfressen, innerlich leer, doch reich wie Stein – und dann a…
Die Blankeneser Nobelwutbürger haben ihrem Hausgott Mammon mit einem
Brandopfer in kleinen unsortierten Scheinen gedankt, denn vorerst hat er
sie vor den Flüchtlingen bewahrt. Ein willfähriges Gericht ließ jüngst
einen vorläufigen Baustopp für Unterkünfte verhängen. Nun scheint die
kleine reiche Welt an der Elbe wieder in Ordnung.
Die Fassaden der Villen nicken einander hochmütig zu, Bedienstete huschen
beflissen durch Straßen und über Anwesen. Weit und breit ist kein einziger
Flaschensammler zu sehen, denn Champagner wird ohne Pfand verkauft.
Blankenese ist das Habitat der reichen Bürger Hamburgs, aber auch der
superreichen. Modefürst Karl Lagerfeld wurde hier geboren. Edelhumorist
Otto Waalkes schreibt noch heute dort an seinem goldenen Schreibtisch jedes
Jahr die gleichen Witze.
## Klimpernde Münzspringbrunnen
Doch auch Sonne und klimpernde Münzspringbrunnen vor jedem Haus können die
dunklen Wolken über den Köpfen der Anwohner nicht verdecken. Ein
Flüchtlingsheim ausgerechnet hier, wo den Leuten das Geld zu den Ohren
herauskommt. Auf eine solche Idee kann nur ein krankes Verwaltungshirn mit
erbärmlichem BAT-Gehalt kommen. Wie sollen sie den Anblick dieser
verlotterten, moralisch grundverkommenen Gesäßantlitze ertragen? Die
Flüchtlinge, versteht sich.
Viele in Blankenese sind der Meinung, bestimmte Milieus passten einfach
nicht zueinander – die des gediegenen hanseatischen Geldadels hier und die
der Elendsbevölkerung im Rest der Welt. Auch Hannelore Breckwoldt, letzte
Erbin in einer jahrhundertelangen Linie von Erben, ist dieser Meinung.
„Wenn uns schon das innerstädtische Harvestehude so grotesk arm erscheint,
wie sollen wir uns dann erst an echte Armut gewöhnen?“, fasst sie die
Bedenken der Pfeffersäcke und -säckinnen zusammen. „Außerdem will so ein
Syrer seine Umgebung doch erst mal verwüsten, um sich wohlzufühlen.
Aufräumen dürfen dann andere, wir natürlich“, sie schnappt nach Luft,
„nicht, aber unser Personal!“ Rassismus lehnt die Breckwoldt zugleich
strikt ab und erzählt, dass sie ihren nubischen Kammerdiener sogar
gelegentlich auf dem Bettvorleger übernachten lasse.
## Auf der Flucht erschossen
Neun Holzpavillons sollen im weitläufigen Blankenese errichtet werden, um
ganze 192 Flüchtlinge zu beherbergen. Dass dafür jedoch ein unschuldiges
Waldstück gerodet werden muss, wollen viele Anwohner erst recht nicht
hinnehmen. Als er von den Plänen erfuhr, habe ihm ganz schlimm die Flinte
gejuckt, erzählt Giselmar Siegbrand Freiherr von Schulensee. Er sei nämlich
ein großer Naturfreund: „Überzeugen Sie sich davon gerne selbst in meiner
reichhaltigen Trophäensammlung. Alles selbst auf der Flucht erschossen.“
Nun befürchtet er, bei der sonntäglichen Pirsch durch den Forst im Affekt
versehentlich auch auf das natürliche Fluchtverhalten von Flüchtenden zu
reagieren, das könne von beiden Seiten nicht gewollt sein, wenngleich ihm
so ein kapitaler Levantiner noch in der Sammlung fehle. Ein Neonazi sei er
aber ganz bestimmt nicht, betont von Schulensee stolz, sondern ein
waschechter Original-Nazi aus Tradition. Schon sein Großvater habe NSDAP
gewählt. Mit einem strammen „Waidmannsheilhitler!“ verabschiedet er sich.
## Rustikale Methoden
Doch nicht alle Blankeneser sind im Umgang mit den Fremden so weltgewandt
und selbstsicher, einige konsultierten hilfesuchend Experten. So etwa
Rodulfo Leyendecker, der sich im Freistaat Sachsen Rat holte. „Natürlich
sind diese Ostmenschen Kretins und Kommunisten, in der
Flüchtlingsbekämpfung allerdings überraschend einfallsreich“, berichtet der
hochgewachsene junge Mann in Steppjacke und Segelschuhen.
Von einem asylkritischen Pyromanen aus Clausnitz sei er auf die zwar etwas
rustikale, aber sehr wirksame Temperaturmethode aufmerksam gemacht worden.
„Dass unsere Unterkünfte aus Holz gebaut werden sollen, ist da sicher kein
Nachteil“, zwinkert er uns zu.
Er müsse jetzt aber dringend weiter zur örtlichen Trinkhalle „Le Grand
Cru“, hochprozentigen Schnaps und Feuerzeuge kaufen. Leider sei er
mittlerweile Alkoholiker und starker Raucher, lächelt der sportlich
wirkende Asket. Der Gedanke an Ausländer in seiner Umgebung habe ihn eben
in die Sucht getrieben. Auch das ist Lebensrealität in Blankenese: ein
Savoir-vivre voller Genüsse, aber doch auch eine Welt im Ennui.
## Zerfressen von Sorge
Hannelore Breckwoldt kann davon ein trauriges Lied singen. Ihre Villa ist
stilvoll eingerichtet, an den Wänden hängen ihre teuren Geldscheine – alles
wertvolle Originale.
Doch innerlich sei sie leer, zerfressen von der Sorge um ihren Besitz. „Was
ist, wenn die Räfutschis hier einfallen, und die Selbstschussanlage klemmt?
Oder wenn ein höheres Gericht den Baustopp entgegen allen Opfergaben
aufhebt?“ Gerade in dieser drängenden Frage fühlt sich die Breckwoldt von
Regierung und Gesellschaft alleingelassen.
12 Apr 2016
## AUTOREN
Valentin Witt
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