| # taz.de -- Flüchtlinge in Hamburg: Die da vorn, wir da hinten | |
| > Der Bau einer Flüchtlingsunterkunft in Blankenese verzögert sich, ein | |
| > Anwohner hat Klage eingereicht. Das Heim im Nobelviertel könnte | |
| > Symbolwert haben. | |
| Bild: Die Gegner der Unterkunft wohnten „weiter hinten“, sagt Anwohner Albr… | |
| HAMBURG taz | Viel zu sehen gibt es nicht im Björnsonweg. Hohe Hecken | |
| umschließen die Reihenhäuser auf der einen Seite, auf der anderen liegt der | |
| Wald. Am Ende der Straße werden die Abstände zwischen den Häusern größer, | |
| die Hecken dichter. „24 Stunden Videoüberwachung“ steht auf einem Schild, | |
| in einem Garten weht eine Deutschlandfahne. Nur der Bauzaun am Straßenrand | |
| passt hier nicht ins Bild. | |
| Eigentlich sollte auf der anliegenden Grünfläche am Waldrand eine | |
| Flüchtlingsunterkunft für 192 Bewohner stehen. Doch seit mehr als zwei | |
| Jahren wehren sich ein paar Nachbarn gegen den Bau. Einer hat nun Mitte | |
| Januar Klage vor dem Verwaltungsgericht eingereicht und einstweiligen | |
| Rechtsschutz beantragt. Das heißt: Für mindestens zwei Monate sind die | |
| Bauarbeiten gestoppt – so lange, bis das Gericht über den | |
| Rechtsschutzantrag entschieden hat. | |
| Es ist nicht die erste Verzögerung. Als Bauarbeiter im Frühjahr Bäume auf | |
| dem Platz fällen wollten, parkten die Nachbarn das Gelände zu. Im Sommer | |
| wurde das Bauprojekt schon einmal im Eilverfahren gestoppt, weil ein | |
| Anwohner die Baugenehmigung angefochten hatte. | |
| ## Mit Flüchtlingskindern gespielt | |
| Albrecht Hauter macht so etwas wütend. Der pensionierte Lehrer, 75 Jahre, | |
| Cordhose, Wollpulli, freundliches Gesicht, wohnt seit 27 Jahren am | |
| Björnsonweg. Gegen Flüchtlinge als neue Nachbarn hätte er nichts | |
| einzuwenden, sagt er. Zumal ein Heim hier gar nicht so neu wäre: Bis 2008 | |
| gab es bereits eines. Fast zwanzig Jahre stand die Unterkunft auf eben | |
| jener Grünfläche, die seither brach liegt und nun wieder bebaut werden | |
| soll. | |
| Gab es damals Probleme? „Ach was, nein.“ Hauter macht eine wegwerfende | |
| Handbewegung. Ein paar Anwohner hätten sich über Lärm oder Gerüche aus der | |
| Unterkunft beschwert, nicht oft, „aber so etwas kommt unter Nachbarn eben | |
| vor“. | |
| Er erinnert sich gut an diese Zeit: „Die Flüchtlinge haben eine | |
| Lebendigkeit ins Viertel gebracht, auch heute würde die Gegend von einer | |
| Unterkunft profitieren“, sagt er. Beide Söhne hätten damals mit | |
| Flüchtlingskindern gespielt. „Ohne den engen Kontakt zu anderen Kulturen | |
| wären meine Kinder nicht so weltoffen, wie sie es heute sind“, sagt Hauter. | |
| ## Keine Berührungspunkte | |
| Die Argumente der Unterkunftsgegner, die sich nun offiziell auf den | |
| Naturschutz berufen, unter vorgehaltener Hand aber Sicherheitsbedenken | |
| äußern, hält er allesamt für „vorgeschoben“. Flüchtlinge auch in den | |
| Hamburger Elbvororten aufzunehmen, sei eine „politische Notwendigkeit“. | |
| Trotzdem möchte Hauter lieber nicht darüber spekulieren, was seine Nachbarn | |
| zum Protest gegen die Unterkunft bewegt. Klar sei: An „seinem“ Ende der | |
| Straße, dort, wo die Nachbarn in bunten Reihenhäuschen eng nebeneinander | |
| wohnen, habe man nichts gegen die Unterkunft. Da hingen schon mal Refugees | |
| Welcome-Fahnen vom Balkon. | |
| Die Gegner aber, die wohnten „weiter hinten“ – in den schicken Neubauten, | |
| die in den letzten paar Jahren für viel Geld aus dem Boden gestampft | |
| wurden. Zwei gegensätzliche Pole, die entlang einer Straße verlaufen. | |
| Berührungspunkte gibt es nicht. | |
| Eine Nachbarschaftsversammlung im Sommer 2015, in der es um die neue | |
| Unterkunft gehen sollte, endete im Streit. „Da wurden viele Vorurteile | |
| hervorgeholt, es ging um Schmutz, Kriminalität, Drogenhandel, den die | |
| Flüchtlinge angeblich mitbringen“, sagt Hauter. | |
| ## Wurstfabrikant ist „Strippenzieher“ | |
| Zur Versammlung aufgerufen hatte ein Unternehmer, Spross einer Elmshorner | |
| Wurstfabrikanten-Familie, heute Geschäftsführer eines Hamburger | |
| Fleischfabrikanten. Einige Nachbarn und Flüchtlingshelfer sehen in ihm bis | |
| heute den „Strippenzieher“ im Streit um die Unterkunft. Kommentieren möchte | |
| der Unternehmer die Vorwürfe auf Anfrage der taz nicht, die Diskussion sei | |
| „von den Medien hochgekocht worden“, sagt er. | |
| Dass der Streit um die Unterkunft auf juristischem Weg ausgefochten wird, | |
| ärgert auch Helga Rodenbeck. Seit 1992 engagiert sich die 66-Jährige in der | |
| Flüchtlingshilfe, damals gründete sie den Hilfsverein „Runder Tisch | |
| Blankenese“. „So eine heftige Ablehnung gegen Flüchtlinge gab es hier noch | |
| nie, ich bin fassungslos“, sagt sie. Für die „Zugezogenen“, die nun den … | |
| des Stadtteils beschädigen würden, schäme sie sich. Immer wieder betont die | |
| Sozialarbeiterin, das Bild vom „reichen Pöbel“, der seinen Wohlstand nicht | |
| teilen wolle, werde den Blankenesern nicht gerecht. | |
| Ob in der Flüchtlingsunterkunft im drei Kilometer entfernten Sülldorf, wo | |
| sie heute arbeitet, oder im früheren Heim am Björnsonweg – stets sei das | |
| Maß an Hilfsbereitschaft im Stadtteil groß gewesen. 200 Freiwillige zählt | |
| der „Runde Tisch“, auch „sehr, sehr reiche Menschen“ kämen mit großen | |
| Ladungen an Lebensmitteln vorbei. Hilfsangebote für die Unterkunft am | |
| Björnsonweg gebe es bereits zuhauf. | |
| ## Drohanrufe von Unterkunftsgegnern | |
| Aber spiegelt diese Solidarität die Stimmung in dem Elbvorort wieder? | |
| Zumindest haben die helfenden Bürger keine Scheu, öffentlich aufzutreten. | |
| Die Gegner der Unterkunft „verkriechen sich“, wie Rodenbeck sagt. In jedem | |
| Fall ist die Stimmung heute wohl deutlich polarisierter als noch vor | |
| zwanzig Jahren. | |
| Drei Drohanrufe hat die Sozialarbeiterin zuletzt erhalten, sie solle | |
| „besser aufpassen“, hieß es. Doch sie lasse sich keine Angst machen, sagt | |
| Rodenbeck. Sie will lieber eine Vision umsetzen: Mit einem „Bunten Haus“, | |
| einer offenen Begegnungsstätte für Flüchtlinge und Blankeneser, will sie | |
| die streitenden Parteien, neue und alte Bewohner zusammenbringen. Noch | |
| sucht sie Räume für das Projekt. | |
| Um die Gegner der Unterkunft am Björnsonweg zum Kommen zu bewegen, wollen | |
| die Helfer vom »Runden Tisch« Verschwiegenheit bei den Treffen garantieren: | |
| „Wir wollen hier ja niemanden bloßstellen.“ Zwangloses Kaffeetrinken | |
| zwischen Geflüchteten und denen, die lieber klagen, als eine Straße mit | |
| ihnen zu teilen – kann das gelingen? Rodenbeck glaubt an die Idee: „Mit | |
| jeder Begegnung schwinden Ängste und Vorurteile“, sagt sie. | |
| 21 Jan 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Annika Lasarzik | |
| ## TAGS | |
| Hamburg | |
| Blankenese | |
| Flüchtlinge | |
| Unterkunft | |
| Protest | |
| Blankenese | |
| Flüchtlingshilfe | |
| Erstaufnahme | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| Blankenese | |
| Blankenese | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Sozialwohnungen für Hamburg-Blankenese: Krieg den Palästen | |
| Die Anwohner*innenproteste gegen eine Flüchtlingsunterkunft in | |
| Blankenese erregten 2016 Aufsehen. Nun werden dort Sozialwohnungen gebaut. | |
| Gut so. | |
| Ombudsfrau in der Flüchtlingshilfe: Hilfe für die Flüchtlingshelfer | |
| Ex-Diakonin Annegrethe Stoltenberg wird sich als neue Ombudsfrau in Zukunft | |
| um Probleme und Streitigkeiten in der Hamburger Flüchtlingshilfe kümmern | |
| „Lager Horst abschaffen!“: In Isolation | |
| Die BewohnerInnen der Flüchtlingseinrichtung in Nostorf/Horst protestieren: | |
| Sie seien fast komplett vom Verkehr abgeschnitten. | |
| Baustopp in Reichenviertel aufgehoben: Doch Flüchtlingsheim in Blankenese | |
| Oberverwaltungsgericht hebt den Baustopp für Mini-Siedlung in Hamburger | |
| Edel-Stadtteil auf. Bäume dürfen gerodet werden. | |
| Die Wahrheit: In der letzten Idylle | |
| Im Hamburger Vorort Blankenese rüstet sich ein Verbitterungsmilieu der | |
| allerhöchsten Gehaltsklasse zur zweiten Runde im Flüchtlings-Streit. | |
| Blankenese Chainsaw Massacre: Kahlschlag bleibt aus | |
| Nachdem Anwohner in Blankenese den Bau einer Flüchtlingsunterkunft | |
| blockierten, kamen Linke – mit Sägen im Gepäck | |
| Flüchtlingsunterkunft in Blankenese: Wenn Schnösel auf öko machen | |
| Im Elbvorort Blankenese haben Anwohner handgreiflich den Bau eines | |
| Flüchtlingsheims gestoppt. Schlimm, finden andere Hamburger. Zu Recht? | |
| Militanz in Hamburgs Reichenviertel: Geländegängig gegen Flüchtlinge | |
| Anwohner blockieren mit ihren Autos Baumfällungen für den Bau eines | |
| Flüchtlingsheims. Sie erwirken gerichtlich einen kurzfristigen Baustopp. |