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# taz.de -- Kinderarbeit in Brasilien: Razzia enthüllt moderne Sklaverei
> Das Modelabel Brooksfield Donna soll NäherInnen ausgebeutet haben.
> Konservative in Brasiliens Kongress blockieren die Verfolgung solcher
> Fälle.
Bild: In Ketten: AktivistInnen protestierten schon 2011 in São Paulo gegen mod…
Rio de Janeiro taz | Fünf BolivianerInnen, eine von ihnen erst 14 Jahre
alt, saßen vor den Nähmaschinen, als die Kontrolleure des brasilianischen
Arbeitsministeriums unangekündigt durch die Tür traten. Der
schwarz-weiß-grau gemusterte Stoff, den ein Bolivianer gerade zuschnitt,
kleidet im Katalog der Modefirma Brooksfield Donna ein schickes Model.
Hier, in einem armen Vorort der Industriemetropole São Paulo, bearbeiteten
die MigrantInnen aus dem Nachbarland die Stoffe unter ausbeuterischen
Bedingungen, die in Brasilien unter dem Begriff „sklavereiähnliche Arbeit“
ein Strafbestand sind.
Zwölf Stunden, sieben Tage die Woche schufteten sie. Die kleine Werkstatt
war bis zur Razzia im Mai zugleich ihr Zuhause. Es gab keine
Sicherheitsvorkehrungen, überall lagen Stoffballen herum, die
Stromversorgung war prekär und der einzige Ausgang immer zugeschlossen.
Inmitten der Unordnung lebten zwei kleine Kinder der Näherinnen.
Die BolivianerInnen sind leider kein Einzelfall. Die Statistik ist
erschreckend: Allein 2015 haben Inspekteure des brasilianischen
Arbeitsministeriums über 1.000 Menschen aus sklavereiähnlichen Zuständen
befreit. Seit 1995 waren es weit mehr als 50.000.
Das Arbeitsministerium erstattete in diesem Fall Anzeige gegen die
Modefirma und forderte die nachträgliche Zahlung der Sozialversicherung der
illegal Beschäftigten. Erschwerend kommt der Delikt der Kinderarbeit hinzu:
Aufgrund der besonderen Gefahren für Minderjährige gehört Nähen zu den
„schlimmsten Formen von Kinderarbeit“, die Brasilien bis 2016 komplett
abschaffen wollte.
## Der Hersteller kassiert das Hundertfache
Der Modeproduzent streitet alles ab: Die Vorwürfe seien unbegründet –
obwohl die Stücke in der Werkstatt Aufnäher mit dem Schriftzug „Brooksfield
Donna“ trugen. Umgerechnet knapp 1,50 Euro bekämen die NäherInnen für ein
Kleid, hat die Organisation Reporter Brasil recherchiert, die in ganz
Brasilien Fälle von sklavereiähnlicher Arbeit aufdeckt. Der Hersteller
kassiert dafür das Hundertfache.
Im Strafgesetzbuch Brasiliens sind sklavereiähnliche Zustände klar
definiert und sollen mit hohen Geldstrafen und Freiheitsentzug bis zu acht
Jahren für die Arbeitgeber geahndet werden. Werden Arbeiter befreit, haben
sie Anspruch auf staatliche Unterstützung, die aber oft nicht umfassend
gewährt wird.
Die Annahme, solche Zustände kämen vor allem in der Landwirtschaft in
abgelegenen Gegenden vor, stimmt nicht mehr. Drei von fünf der 2015
aufgedeckten Fälle ereigneten sich in urbanen Gebieten. Die Textilindustrie
und das Baugewerbe stehen ganz oben in der Statistik. Brasilien hat im
Kampf gegen die moderne Sklaverei einiges getan. Nach Meinung von
Staatsanwältin Ana Carolina Roman ist die Gesetzgebung ausreichend – doch
es mangele an der Umsetzung.
Besserung ist nicht in Sicht, im Gegenteil. Konservative Unternehmerkreise
und die Agrarlobby haben ihren Einfluss im Kongress ausgebaut und hoffen
darauf, unter der jetzt konservativen Übergangsregierung von Präsident
Michel Temer die Reglementierung von Arbeitsverhältnissen zu verwässern.
Sie haben ein Gesetzesprojekt auf den Weg gebracht, das die Verfolgung von
sklavereiähnlicher Arbeit erheblich erschweren würde. Das zentrale
Argument: Da Ausbeutung im Strafgesetzbuch nicht genau definiert sei, dürfe
dies keine Bestrafung nach sich ziehen.
4 Jul 2016
## AUTOREN
Andreas Behn
## TAGS
Brasilien
Kinderarbeit
Michel Temer
Textilindustrie
Menschenrechte
Brasilien
Wirtschaft
Moderne Sklaverei
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Bolivien
Schwerpunkt Flucht
Stiftung Warentest
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