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# taz.de -- Löhne in der Textilindustrie: 14 Cent mehr sichern Existenz
> Schon ein geringer Lohnaufschlag könnte für Beschäftigte in Südasien viel
> bewirken. Händler wie KiK wehren sich gegen eine Initiative.
Bild: Unterbezahlt: Textilarbeiterin im indischen Bundesstaat Tamil Nadu
Berlin taz | Die Idee klingt super. Mit nur 14 Eurocent Preisaufschlag pro
T-Shirt könnten die ArbeiterInnen einer indischen Textilfabrik
existenzsichernde Löhne erhalten. Sie liegen um gut 50 Prozent über dem
gegenwärtigen Niveau. Das hat die britische Firma Continental Clothing
gemeinsam mit der Unternehmensberatung BSD berechnet – und verlangt von
ihren Käufern einen entsprechend höheren Preis.
Das ist eine Herausforderung für konventionelle Hersteller. Der Verein Fair
Fashion Network, ein Zusammenschluss ethisch orientierter Firmen, sammelt
Unterschriften. Einige tausend Unterzeichner sprechen sich dafür aus, dass
auch die Beschäftigten der Zulieferbetriebe von Konzernen wie H&M und KiK
höhere Löhne bekommen.
ArbeiterInnen in Indien, Bangladesch und anderen Ländern der
Textilproduktion erhalten oft nur Gehälter zwischen 50 und 100 Euro pro
Monat, die sich an staatlichen Mindestlöhnen orientieren. Diese decken
meist nur die Grundbedürfnisse wie Essen und Unterkunft ab. Eine
existenzsichernde Bezahlung müsste viel höher sein, damit Beschäftigte sich
etwa medizinisch behandeln lassen und ihre Kinder zur Schule schicken
können.
Der deutsche Textildiscounter KiK hält nichts von der 14-Cent-Idee.
„Verkaufspreise wie die von KiK beruhen auf einer sehr straffen
Kalkulation“, teilt die Pressestelle mit. „Jede zusätzliche Erhöhung des
Einkaufspreises muss daher entweder dadurch abgefedert werden, dass alle
Anbieter ihre Preise erhöhen und die Mehrkosten damit an die Verbraucher
weiterreichen oder dass an anderer Stelle eingespart wird.“ Das Unternehmen
fürchtet Wettbewerbsnachteile und geringere Gewinne, wenn es einseitig die
Löhne anhebt.
KiK sieht zwei Wege, um die Bezahlung zu verbessern. Die Regierungen,
Gewerkschaften und Zulieferfirmen in den Produktionsländern müssten dafür
sorgen, dass dort die Mindestlöhne steigen. Außerdem sollten die Zulieferer
die Kosten pro Kleidungsstück verringern. Dann könnten die Arbeiterinnen
auch mehr Geld bekommen.
## Fortbildung für Verhandler
Der schwedische Textilhändler H&M argumentiert ähnlich. „Unsere Rolle als
Marke und Käufer besteht nicht darin, die Lohnhöhe festzusetzen“, schreibt
die Pressestelle. Allerdings hat sich das Unternehmen ein weitreichendes
Programm verordnet, das auf der „Methode des fairen Lohns“ basiert. Dabei
hilft der Konzern seinen Zulieferern, die Arbeitsabläufe zu verbessern. Mit
Fortbildungsmaßnahmen unterstützt H&M außerdem die Beschäftigten und
Gewerkschaften. Das soll sie in die Lage versetzen, mit den Zulieferfirmen
bessere Verdienste auszuhandeln.
H&M hat als offizielle Unternehmenspolitik verkündet, dass die
Beschäftigten der „strategischen Zulieferer“ ab 2018 existenzsichernde
Löhne bekommen. Mittlerweile werden knapp 150 Produktionsstätten weltweit
umgestellt.
Auch der Hamburger Einzelhändler Tchibo plädiert für den „systemischen
Ansatz“. Zusammen mit 14 weiteren internationalen Textilverkäufern,
unter anderem Esprit, H&M, Primark und Tesco, hat man sich in der
„Initiative on living wages“ (Initiative für Existenzlohn)
zusammengeschlossen.
Mit dem globalen Gewerkschaftsbund Industriall besteht eine Kooperation.
„Unser Ziel ist es, Kollektivverhandlungen zwischen den Sozialpartnern in
den Produktionsländern zu ermöglichen“, sagt Nanda Bergstein von Tchibo.
„Der große Vorteil: Höhere Löhne gelten dann für alle Marktteilnehmer.“
## Mehr Fairness als Werbeargument
Der Unterschied der beiden Ansätze besteht darin, dass eine Firma wie
Continental Clothing höhere Löhne und Preise bei Kunden durchsetzen will,
die an fairen Bedingungen interessiert sind. Mehr noch: Die Argumente für
den höheren Preis dienen als Werbebotschaft, um den Verkauf anzukurbeln.
Konventionelle Unternehmen dagegen scheuen Preisaufschläge, weil sie
fürchten, dass Konkurrenten billiger anbieten. Höhere Löhne lassen sich
unter dieser Voraussetzung nur realisieren, wenn alle Händler sie zahlen –
daher die Betonung der Rolle der Gewerkschaften und Regierungen. Ein
Nachteil dieser Strategie besteht darin, dass die Beschäftigten vieler
Textilfabriken nicht frei verhandeln können.
22 Jul 2016
## AUTOREN
Hannes Koch
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