| # taz.de -- Amsterdam geht gegen Prostitution vor: Neuer Wind fürs Rotlichtvie… | |
| > Amsterdam will Prostitution aus dem Zentrum verbannen. Das ist umstritten | |
| > – und für Sexarbeiter*innen hat sich schon jetzt viel | |
| > verschlechtert. | |
| Bild: Sex-Arbeiter:innen protestieren gegen frühere Schliesszeiten der Fenster… | |
| Amsterdam taz | Manchmal fällt er sofort ins Auge, der neue Wind, der durch | |
| das Viertel weht. Die Schilder etwa, auf denen „No smoking cannabis in | |
| public“ steht. Dass im Rotlichtbezirk Amsterdams seit April nicht mehr auf | |
| der Straße gekifft werden darf, war in internationalen Medien ein großes | |
| Thema. Meist las man, dass es „auf den Wallen“, wie das Viertel hier | |
| genannt wird, zu laut, dreckig und gefährlich sei; ein härterer Ansatz in | |
| puncto weiche Drogen schien der logische Schritt. | |
| Viel mehr merkt man kaum vom neuen Wind. Jedenfalls, wenn man nicht Laura, | |
| Monica oder Valentina heißt und auf den Wallen anschafft. Diese drei | |
| Sexarbeiterinnen berichteten kürzlich in der Lokalzeitung Het Parool, ihr | |
| Gewerbe sei viel unsicherer geworden, seit – ebenfalls ab April- die | |
| Fensterbordelle früher schließen müssen. Um drei Uhr endet nun eine | |
| Wochenendnachtschicht statt wie bisher um sechs. Auch die Gastronomie hat | |
| nun kürzere Öffnungszeiten. All dies soll helfen, die notorisch | |
| überlaufenen, lauten und oft vollgekotzten Wallen zu befrieden und den | |
| [1][Partytourismus] einzudämmen. Hoffte man im Stadthaus. | |
| Was die Bordellzeiten angeht, ging der Schuss nach hinten los. Denn die | |
| besagten Frauen, die von Bedrohungen, Beschimpfungen, sexueller Nötigung | |
| durch aggressive Kunden berichteten, sind keine Einzelfälle. Ein Anruf bei | |
| Pim van Burk bestätigt das. 24 Fenster vermietet er selber, 6 weitere | |
| verwaltet er. „Creating safe and high-quality workspaces for sexworkers“, | |
| lautet seine Twitter-Signatur. „Leute, die sich für [2][Sexarbeit] | |
| entscheiden, haben das Recht auf einen sicheren Arbeitsplatz“, sagt er. | |
| Van Burk nennt sich selbst einen Daten-Nerd. Vor einiger Zeit hatte er eine | |
| Vermutung: bei schlechtem Wetter und wenig potentiellen Kunden könnten | |
| Prostituierte mehr Aggressionen ausgesetzt sein, weil sie des Umsatzes | |
| wegen auch bedrohlich wirkende Männer eher herein ließen. Diese Annahme | |
| lässt sich auch auf die neuen Öffnungszeiten übertragen. Also führt er nun | |
| Buch über entsprechende Vorfälle. Das Ergebnis: „Körperliche und verbale | |
| Gewalt haben um 47 % zugenommen, verglichen mit den sechs Monaten vorher.“ | |
| ## Vor Ort entspannt | |
| Wer an einem Juniabend durch das Viertel streift, sieht von all dem nichts. | |
| Eine Familie aus Texas will das „Las Vegas von Europa“ erkunden, so der | |
| Sohn. Von den einschränkenden Maßnahmen wissen sie nichts. Eine Straße | |
| weiter knipsen sich Touristen neben der „Belle“-Statue mit der Aufschrift: | |
| „Respect [3][sex workers] all over the world.“ | |
| Für Michel Held und Lucienna Bolhoeve gehört dieser Respekt zum Alltag. Die | |
| beiden Mittfünfziger sitzen in der Abendsonne vor ihrem Haus. „Wir leben | |
| hier alle zusammen, auch Obdachlose und Sexarbeiter:innen“, sagt Michel. Es | |
| ist der alte, oft beschworene Geist des einstigen Hafen-Viertels. | |
| „Prostitution gibt es hier schon seit dem 16. Jahrhundert“, sagt Lucienna. | |
| Obschon sie der Müll und das aggressive Verhalten mancher Besucher störe, | |
| habe sie noch nie Probleme gehabt mit Leuten, die auf der Straße kifften | |
| oder Bordellen, die die ganze Nacht offen seien. | |
| Für Phoebe Marsh, die im Prostitution Information Center an der Oude Kerk | |
| arbeitet, haben die kürzeren Öffnungszeiten ein klares Ziel: „Den Job in | |
| den Fenstern so schwierig zu machen, dass Sexarbeiter:innen darum | |
| betteln, im ‚Erotischen Zentrum‘ zu arbeiten.“ Das Zentrum ist ein Plan v… | |
| Bürgermeisterin Femke Halsema: fernab der Innenstadt sollen dort 100 der | |
| 249 Sex-Arbeitsplätze entstehen. Bisher scheitert die Standortsuche an | |
| protestierenden Anwohner:innen. | |
| Phoebe Marsh verweist darauf, dass kurz vor der Einführung der neuen | |
| Öffnungszeiten schon die Zimmermiete erhöht wurde, was den Druck auf die | |
| Sexarbeiter:innen verstärkt hätte, die nun in kürzerer Zeit noch mehr | |
| Geld verdienen müssten. „Wir sind gar nicht gegen das Zentrum, wir brauchen | |
| mehr Arbeitsplätze. Aber nicht als Alternative zum Rotlichtbezirk. Und sie | |
| sollten sichtbar sein! Es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen | |
| Sichtbarkeit und Sicherheit.“ | |
| 26 Jun 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Tobias Müller | |
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