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# taz.de -- Expertin über Frauenhass und Rassismus: „Feminismus als Feindbil…
> Besonders Frauen haben in den letzten Wochen rechtsextreme Drohungen,
> unterzeichnet mit NSU 2.0, bekommen. Das ist kein Zufall, sagt Eike
> Sanders.
Bild: Werden von Rechtsextremen bedroht: Janine Wissler, Martina Renner und İd…
taz: Frau Sanders, kürzlich haben mehrere Frauen wie die Rechtsanwältin
Seda Başay-Yıldız, die linken Politikerinnen Janine Wissler und Martina
Renner oder [1][die Comedian İdil Baydar Drohbriefe erhalten], die mit NSU
2.0 unterzeichnet wurden. Was eint diese Adressatinnen?
Eike Sanders: Sie werden angesprochen, weil sie Frauen sind. Sie werden als
Frauen adressiert. Es handelt sich um Frauen, die Rollen einnehmen, die
ihnen das patriarchale und rassistische System nicht zugesteht, sie werden
als besondere Bedrohung für das weiße Deutschland empfunden. Frauen wie
diese können eine Öffnung der Gesellschaft herbeiführen. Und sie verkörpern
diese gesellschaftliche Öffnung bereits.
Wie würden Sie das Verhältnis zwischen Antifeminismus und Rechtsextremismus
beschreiben?
Zu rechten Weltbildern gehört eine binäre Geschlechterordnung, die
Hierarchisierung von Männern und Frauen, klassische Rollenzuschreibungen.
Die extreme Rechte lehnt Grenzverwischungen ab. Das bedeutet, dass auch
beim Thema Geschlecht Uneindeutigkeiten wie Diversität oder fließende
Kategorien abgelehnt werden. Feminismus stellt binäre Ordnungen infrage,
und der (Queer-)Feminismus hat viel erreicht, was mit klassischen
Rollenzuschreibungen bricht. Also wird der Feminismus als Containerbegriff
entleert und in ein Feindbild umfunktioniert.
Können Sie das erklären?
Feminismus wird zu einer Bedrohung aufgeblasen und verschwörungsideologisch
aufgeladen: Es wird gesagt, Frauen seien an den gesellschaftlichen
Schalthebeln und würden Männern ihre Rechte wegnehmen oder wir würden in
einem Matriarchat leben. Dem Feminismus wird damit mehr Macht
zugeschrieben, als er eigentlich hat. Zudem haben Rechtsextremismus und
Antifeminismus ähnliche Funktionsweisen: Die Verbindung von Größenwahn und
Verfolgungswahn mit der Idee der männlichen Selbstaufopferung.
Haben die [2][rechten Anschläge von Halle] und Hanau, die von Christchurch,
Toronto und Utøya, aber auch rechtsextreme Drohbriefe im Antifeminismus
also einen gemeinsamen ideologischen Kern?
Sie haben viele gemeinsame Kerne, aber ja, der Antifeminismus ist einer
davon. Der Täter von Halle hat sinngemäß gesagt: Der Feminismus ist schuld
an einer niedrigen Geburtenrate im Westen, das führt zur Massenimmigration,
und die Wurzeln aller Probleme ist der Jude. Wenn wir auf
rechtsterroristische Taten des letzten Jahrzehnts schauen und die Manifeste
lesen, finden wir diese Konstellation mit unterschiedlichen Gewichtungen
wieder. Antifeminismus, Antisemitismus und Rassismus funktionieren
unterschiedlich, was die damit einhergehende Ausgrenzung, Zuschreibungen
und den Vernichtungswillen angeht. Aber diese drei Komponenten spielen im
Welterklärungsmodell der Rechten zusammen, bedingen sich gegenseitig und
bestärken sich. Obwohl Antifeminismus da schon immer eine Rolle gespielt
hat, ist die Betrachtung von Antifeminismus im Rechtsextremismus eine
Leerstelle geblieben.
Wie meinen Sie das?
Das 1500-seitige Manifest von Breivik, dem Attentäter von Oslo und Utøya,
wurde zum Beispiel als antimuslimisch und rassistisch bewertet. Das stimmt
zwar, aber schon auf der ersten Seite steht etwas über Feminismus, über 100
Seiten handeln ganz explizit vom Feminismus und propagieren eine
Wiederherstellung des Patriarchats. Obwohl es wenige terroristische Taten
gibt, die sich explizit gegen Frauen richten, wählen Rechtsterroristen
häufig Feindgruppen aufgrund von geschlechtlichen oder sexuellen
Orientierungen.
Zum Beispiel?
1999 hat David Copeland bei seinen Bombenanschlägen in London auch eine
Schwulenbar angegriffen. Oder das Attentat von Montréal 1989, eines der
wenigen, das sich explizit gegen Feministinnen richtete. Selbst da musste
30 Jahre lang gerungen werden, bis dieser Angriff auf einer Gedenktafel als
antifeministisch bezeichnet wurde. Das ist ein Kampf um Wahrnehmung von
Unterdrückungsverhältnissen.
Wie sinnvoll ist eine Trennung von rechtsextremer und antifeministischer
Gewalt überhaupt?
Die Mails vom NSU 2.0 werden vermutlich in der statistischen
Kriminalerfassung als rechte Taten eingestuft, nicht aber als Gewalt gegen
Frauen. Das wäre eine andere Statistik. Diese Statistiken sind bisher nicht
miteinander verbunden. So wie ein rechter Täter, der seine Partnerin
bedroht, nicht in der Statistik über Rechte auftritt, sondern bei Gewalt
gegen Frauen, werden die Mails des NSU 2.0 nicht in der Statistik über
Gewalt gegen Frauen sichtbar sein.
Was hat das für Konsequenzen?
Wenn ich mir historische und aktuelle neonazistische Pamphlete anschaue
oder Hassbriefe und Mails wie die des NSU 2.0, sind meistens
sexualisierende Komponenten sichtbar, sobald es um Frauen oder LGBTI geht.
Trotzdem fällt diese geschlechtliche Komponente meist weg, die Tat gilt
einfach als Gewalt gegen politische Gegner*innen.
Wieso ist dieser Zusammenhang wichtig?
US-amerikanische Studien zeigen, dass die Täter der beiden Kategorien sich
oft überschneiden. Rechte Attentäter, aber auch oder Amokläufer oder
Terroristen, die dem politischen Islamismus zugerechnet werden, haben
häufig eine Vorgeschichte als Täter häuslicher oder sexualisierter Gewalt.
Das heißt: Sie waren der Polizei bekannt im Zusammenhang mit diesen Taten,
deren politischer Hintergrund aber nicht hinterfragt wurde, weil sie als
privat eingestuft werden. Es ist davon auszugehen, dass vergangene
antifeministische Taten gar nicht im öffentlichen Bewusstsein sind, weil
wir diesen Zusammenhang bisher nicht ausreichend analytisch verfolgt haben.
Dass rechtsextreme Netzwerke antifeministisch sind, ist nicht neu. Haben
wir es [3][beim NSU 2.0] dennoch mit einer neuen Qualität von
Antifeminismus zu tun?
Zumindest spielt sich der beim NSU 2.0 auf einem sehr gefährlichen Niveau
ab. Die Bedrohung kommt aus der Polizei, einer bewaffneten Institution, die
Macht hat. Und obwohl Antifeminismus in extrem rechten Ideologien nicht neu
ist, hat sich dennoch etwas getan: Antifeminismus ist zu einem offensiveren
Politikfeld geworden. Früher wurde Geschlecht höchstens thematisiert, wenn
rechte Gruppierungen sagten: Nationalismus ist auch Frauensache. Heute
finden wir das Thema Gender als Feindbild im gesamten rechten und teilweise
auch im konservativen Spektrum. Es wird damit Politik gemacht. Das wurde
sichtbar bei den Protesten gegen Lehrpläne in Baden-Württemberg, in denen
sexuelle Vielfalt thematisiert werden sollte.
Wieso wird in der Gesellschaft trotzdem so wenig über die antifeministische
Dimension von Rechtsextremismus diskutiert?
Antifeminismus beruht auf einer patriarchalen Gesellschaft, in der zum
Beispiel die systematischen Dimensionen von Gewalt gegen Frauen
privatisiert werden. Es wird beispielsweise nicht von Femiziden gesprochen,
sondern von Eifersuchtsdramen. Das verschleiert die alltägliche breite
Basis und zeigt, wie gefährlich Antifeminismus ist.
Antifeminismus hat also auch jenseits rechtsextremer Kreise eine breite
Basis?
Antifeminismus ist nicht nur ein Phänomen der Incels (Involuntary Celibate,
unfreiwilliges Zölibat, bezeichnet heterosexuelle Männer, die unfreiwillig
keine sexuellen Beziehungen haben, Anm. d. Red.). Wenn wir uns Manifeste
oder Drohmails anschauen, sehen wir, dass es sich meist um sehr rechte
männliche Täter handelt. Diese haben ein Bild von einer vermeintlich
gestörten patriarchalen Ordnung. Und die Gesellschaft vermittelt ihnen,
dass sie irgendwie recht haben. Wenn rechte Männer aus diesem Weltbild die
Motivation zur Tat ableiten, fühlen sich in ihrer Männlichkeit als Krieger
und Helden berufen, einen vermeintlich natürlichen Zustand
wiederherzustellen. Vorstellungen von Feminismus und Gender als Feinbilder
kommen schließlich nicht aus der extremen Rechten. Die kommen aus
konservativen Kreisen.
Das Feindbild Gender, wie wir es heute kennen, hat seinen wichtigsten
Schritt in die Öffentlichkeit 2006 [4][durch einen Text über
„Gender-Mainstreaming“ von Volker Zastrow in der FAZ] gemacht. Wenn wir uns
bewusst machen, dass Täter sich diese Ideen nicht aus dem eigenen Kopf
holen, sondern sie aus der Gesellschaft nehmen und zuspitzen, wird klar:
Antifeministische Diskurse können zu Taten führen. Sie ermöglichen Tätern,
ihre Tat zur Vollstreckung eines imaginierten Volkswillens zu machen.
24 Jul 2020
## LINKS
[1] /Comedian-dil-Baydar-ueber-Morddrohungen/!5694869
[2] /Prozess-zu-Anschlag-in-Halle/!5695684
[3] /Innenausschuss-zu-NSU-20-Drohschreiben/!5695710
[4] https://www.faz.net/aktuell/politik/gender-mainstreaming-politische-geschle…
## AUTOREN
Simon Sales Prado
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