| # taz.de -- Anne Helm über NSU 2.0 und Neukölln: „Ich bin eine Reizfigur f�… | |
| > Anne Helm ist neue Chefin der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. | |
| > Im Interview spricht sie über ihre Schulzeit, Nazi-Drohungen und die | |
| > Zukunft von R2G. | |
| Bild: „Wir ruhen uns auf dem Mietendeckel nicht aus“, sagt Anne Helm, Polit… | |
| taz: Frau Helm, als neue Fraktionschefin der Linken wollen Sie sicher über | |
| Ihre politischen Anliegen sprechen. Derzeit stehen Sie aber bundesweit im | |
| Fokus, weil Sie von Rechten bedroht werden. Stört es Sie sehr, wenn wir | |
| jetzt dennoch damit anfangen? | |
| Anne Helm: Ja. Aber wir können das trotzdem gern machen. Natürlich sind die | |
| Drohungen nervenzehrend und rauben Energie. Aber das Thema | |
| Rechtsextremismus ist ja gleichzeitig ein politischer Schwerpunkt von mir. | |
| Ich gehe davon aus, dass das auch der Grund ist, warum ich im Fokus von | |
| Rechten und rechtsterroristischen Strukturen stehe. | |
| Wie ist denn die aktuelle Bedrohungslage? | |
| Das Landeskriminalamt sagt, dass sich mit den [1][NSU-2.0-Drohschreiben] | |
| nichts an der Situation geändert hat. Ich muss davon ausgehen, dass | |
| diejenigen, die mir diese E-Mails schreiben, Kontakte zu Personen haben, | |
| die auch persönliche Observationen in Berlin betreiben – auch in meinem | |
| Wohnumfeld. Aber das ist auch nicht neu für mich, aber natürlich belastend. | |
| Die Drohmails kommen alle paar Nächte. Ich schaue morgens direkt, ob wieder | |
| was reingekommen ist. | |
| Was ist Ihre Erklärung dafür, dass vor allem öffentlich bekannte Frauen zur | |
| Zielscheibe werden? | |
| Aus den E-Mails geht sowohl ein ideologischer Antifeminismus, als auch ganz | |
| direkte Frauenfeindlichkeit hervor. Frauen haben im völkischen Weltbild dem | |
| Volkserhalt zu dienen. Meinungsstarke Frauen stehen diesem Weltbild | |
| entgegen. Neonazis sehen Migrantinnen zudem als Gefahr für den Erhalt eines | |
| imaginierten Volkskörpers. Wir betroffenen Frauen müssen herhalten für | |
| sexualisierte Gewaltfantasien, die die Täter in ihren Formulierungen gern | |
| Geflüchtete oder People of Colour ausführen lassen. Diese Kombination von | |
| Rassismus und Sexismus erleben engagierte Frauen ganz oft. | |
| In verschiedenen Fällen wurden Daten von hessischen Polizeicomputern | |
| benutzt, um Informationen über Betroffene herauszufinden. Inwiefern ist das | |
| auch in Berlin Thema? | |
| Datenabfischung aus Polizeicomputern oder auch das Durchstechen von | |
| Informationen an rechte bis rechtsterroristische Kreise müsste noch mal | |
| größer behandelt werden. In Berlin hatten wir mehrere ähnliche Fälle. | |
| Schlaglichter fielen darauf aber immer nur, wenn etwas herauskam: Wir | |
| hatten Drohschreiben von Polizisten in die linke Szene oder zuletzt den | |
| Fall eines Polizisten, der mutmaßlich Informationen an eine Chatgruppe | |
| weitergab, in der auch einer der Hauptverdächtigen der rechten | |
| Anschlagsserie in Neukölln war. Wir müssen das Problem mal strukturiert | |
| anschauen und uns vorlegen lassen, wie bei der Polizeidatenbank Poliks | |
| überhaupt die Kontrollmechanismen sind und welche Möglichkeiten zum | |
| Missbrauch es dort gibt. | |
| Sollte der Generalbundesanwalt zum Komplex NSU 2.0 ermitteln? | |
| Laut hessischem LKA sind mehrere Bundesländer betroffen und es sollen | |
| mehrere Täter sein – wir haben es also mit einem Netzwerk zu tun. Die | |
| Staatsanwaltschaft in Hessen hat den Generalbundesanwalt dazu aufgefordert, | |
| den Fall zu übernehmen. Es ist nicht nachvollziehbar, warum der sich nicht | |
| zuständig fühlt. | |
| Wurde Polizeiwissen auch benutzt, um Sie zu bedrohen? | |
| Meine persönlichen Daten aus dem Drohschreiben kommen nicht von | |
| Polizeicomputern. Diese Art von Informationen sind nicht in solchen | |
| Systemen hinterlegt. Das haben sie wohl eher aus Observationen meines | |
| Wohnumfelds. | |
| Inwiefern? | |
| Es gab schon früher Situationen, wo sich morgens zwei mir bekannte Neonazis | |
| an der Bushaltestelle links und rechts neben mich gesetzt haben und mir | |
| ruhig gesagt haben, dass sie wissen, in welchen Bus ich einsteige und wohin | |
| ich zur Arbeit fahre. Sie haben mich wissen lassen, dass sie ein | |
| Bewegungsprofil von mir erstellen. Außerdem wurde mein Briefkasten mal | |
| aufgesprengt und Post geklaut. Das wurde von der Polizei aber nicht | |
| politisch bewertet, sondern nur als Sachbeschädigung und Diebstahl. Das | |
| gehört alles zu den Einschüchterungstaktiken, die ganz gezielt gegen | |
| politisch Aktive in Neukölln gerichtet sind. | |
| Fühlen Sie sich von der Polizei ausreichend informiert und beschützt? | |
| Mir geht es sicherlich besser als Betroffenen in Hessen, bei denen es | |
| überhaupt kein Sicherheitsgefühl mehr gegenüber der Polizei gibt. Ich bin | |
| auch in einer anderen Situation als Menschen, die Morddrohungen an ihre | |
| Familienmitglieder erhalten. Aber klar ist da ein Misstrauen. Erst recht, | |
| wenn sich das Gefühl aufdrängt, dass das Vertrauen der Polizisten in die | |
| hessischen Kollegen teilweise selbst gering ist. Deswegen wurde mir | |
| empfohlen, meine Telefonnummer nicht in der Anzeige wegen des | |
| Drohschreibens anzugeben. | |
| Wie bewerten Sie die Ermittlungen der Polizei zum Neukölln-Komplex? | |
| Mindestens sind sehr viele Ermittlungsansätze verpasst worden. Es gibt aber | |
| auch Polizeibeamte, die das frustrierend finden. Der Zwischenbericht der | |
| Ermittlungsgruppe Fokus, die eingesetzt worden ist, um alles noch mal | |
| aufzurollen, war hauptsächlich ein Tätigkeitsnachweis. Das ärgert mich | |
| sehr. Es sind dann etwa Verbindungen zum Terroristen von Halle oder zum | |
| Mörder von Lübcke überprüft worden, um aufzuschreiben, dass man keine | |
| Verbindungen gefunden hat. Danach hat aber auch niemand gefragt. | |
| Wonach denn? | |
| Nach Verbindungen zu anderen Neonazi-Strukturen, die für Betroffene und | |
| Beobachterinnen auf der Hand liegen, aber nicht überprüft wurden. Es gab | |
| etwa keine Untersuchungen von Verbindungen zu Anschlägen auf | |
| Asylunterkünfte oder andere Taten, die wir dem Komplex zuordnen. Zudem muss | |
| mindestens die auch öffentlich debattierte Situation aufgearbeitet werden, | |
| in der man hätte zugreifen können und es dann doch nicht getan hat. Der | |
| nicht verhinderte Anschlag auf Ferat Kocak war Versagen auf ganzer Linie. | |
| Braucht es zur Aufklärung einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss? | |
| Ich glaube, es braucht so oder so externe Revision der Polizei. Aber man | |
| sollte hier vorsichtig sein mit den Erwartungen: Ein Untersuchungsausschuss | |
| kann keine polizeilichen Ermittlungen übernehmen. Aber er kann beleuchten, | |
| ob es ein strukturelles Problem bei der Polizei gibt und warum | |
| Ermittlungsansätze verpasst worden sind. Das kann man der Polizei nicht | |
| selbst überlassen. Und dafür fordern wir einen Untersuchungsausschuss oder | |
| als ersten Schritt zumindest einen Sonderermittler. | |
| Wieso ist es so schwierig, in Deutschland eine ehrliche Debatte über | |
| Probleme bei der Polizei zu führen? | |
| Legitime Kritik wird immer als Angriff auf die Institution gewertet. Das | |
| halte ich für einen Fehler. Gerade zur Rechtfertigung der Institution und | |
| um das Vertrauen wiederherzustellen, wäre es notwendig, solche | |
| strukturellen Probleme aufzuarbeiten. Immerhin gibt es ja mittlerweile auch | |
| aus der sogenannten Polizeifamilie Stimmen, die strukturelle Diskussionen | |
| einfordern – vom Bund deutscher Kriminalbeamter zum Beispiel. | |
| Gibt es ein strukturelles Rassismusproblem in der Polizei? | |
| Ja, selbstverständlich gibt es ein strukturelles Rassismusproblem in der | |
| Polizei. Und das ist nicht die einzige Institution, in der das so ist. Und | |
| da war nach der Selbstenttarnung des NSU der Stand der gesellschaftlichen | |
| Debatte schon mal sehr viel weiter. Aber damals wurden daraus die falschen | |
| Schlüsse gezogen – etwa indem die Ermittlungsbehörden noch mehr Kompetenzen | |
| erhalten haben. | |
| Hat die Bedrohungslage für Sie mit der Bomber-Harris-Protestaktion 2014 | |
| begonnen, bei der sie dem britischen Luftwaffengeneral für die | |
| Bombardierung Dresdens mit einem Schriftzug auf ihrem nackten Oberkörper | |
| dankten? | |
| Nein, das gab es schon vorher. Aber es hat stark zugenommen. Seitdem bin | |
| ich im deutschsprachigen Raum eine Reizfigur in rechten Netzwerken. Aber | |
| für die Neuköllner Nazi-Clique hat es auch davor schon gereicht, dass ich | |
| mich vor Ort engagiert habe. Die haben mich seit 2011 auf dem Schirm, wie | |
| Feindeslisten zeigen. Auch vor der Aktion in Dresden kannte ich | |
| rechtsmotivierte antifeministische Angriffe, Veröffentlichungen von | |
| privaten Informationen sowie koordinierte rechte Shitstorms. | |
| Wie gehen Sie damit um, dass diese Aktion immer wieder von Rechten für | |
| koordinierte Shitstorms hervorgekramt wird – wie zum Beispiel zuletzt vom | |
| AfD-Fraktionschef Georg Pazderski? | |
| Es gehört eben zu meiner Biografie. Im Umgang damit habe ich viel über | |
| politische Kommunikation gelernt. Die Aktion sollte provozieren und | |
| wahrgenommen werden. Wir wollten dem Geschichtsrevisionismus der damaligen | |
| Nazi-Demo in Dresden ein deutliches Zeichen entgegensetzen und klarmachen, | |
| wer die Opfer dieses Krieges und wer die Täter waren. Aber ich habe | |
| gelernt, dass man nicht kontrollieren kann, in welchem Kontext etwas | |
| gelesen wird – und dass antifaschistische Gedenkpolitik nicht zynisch sein | |
| sollte. | |
| Sie sind in Südneukölln, in Britz zur Schule gegangen. Nazis sind dort seit | |
| Jahren präsent. War das damals auch schon so? | |
| Ja. Die Nazi-Clique in Britz und Rudow kenne ich schon lange. Einer der | |
| Hauptverdächtigen der rechten Anschlagsserie kenne ich noch von damals: Wir | |
| haben uns als Schülerinnen die Gesichter von denen eingeprägt, um uns | |
| selbst zu schützen. Das ist wie auf dem Dorf: Man muss die örtlichen | |
| Nazi-Strukturen kennen, um sich zu schützen und im Zweifelsfall erkennen zu | |
| können, wer gefährlich ist. | |
| Hat Antifaschismus Sie politisiert? | |
| Ja, aber meine Perspektive darauf war eher Ungleichheit: Ich habe erlebt, | |
| wie von Rassismus betroffene Klassenkameradinnen schlechtere Chancen hatten | |
| als ich, obwohl sie bessere Noten hatten. Vielen Mädchen, mit denen ich | |
| befreundet war, wurde zu Hause eingebläut, nicht wütend sein zu dürfen und | |
| nie zu fordernd zu sein. Sie sollten sich zurückhalten, auch wenn sie | |
| Rassismus erfahren. Das hat mich extrem geprägt. | |
| Nun aber mal genug von Rassismus und Nazis: Was sind die zentralen Dinge, | |
| die die Linke noch in dieser Legislatur erreichen will? | |
| Uns geht es primär darum, Investitionen zu sichern. Man darf der Krise | |
| nicht hinterhersparen. Das ist die Lehre, die wir als Partei aus den | |
| letzten Krisen gezogen haben. Gerade jetzt müssen wir investieren, allein | |
| um den Arbeitsmarkt und die öffentliche Infrastruktur zu sichern und um sie | |
| für die Zukunft krisensicher zu machen. | |
| Das alles klingt ja jetzt nicht nach großen Visionen oder | |
| Leuchtturmprojekten. | |
| Ja, das klingt vielleicht ein bisschen dröge. Und das sind vielleicht nicht | |
| die Lieblingsprojekte, mit denen wir gerne werben würden. Aber es ist | |
| entscheidend. Jetzt darf auf keinen Fall zulasten der sozialen | |
| Sicherungssysteme gespart werden, damit nicht die Menschen, die am ärgsten | |
| von der Krise betroffen sind, diejenigen sind, die am Ende die Zeche | |
| zahlen. | |
| Ziehen SPD und Grüne da mit? | |
| Ich glaube, wir werden diesen Kampf gemeinsam führen. Hier sind die | |
| Konfrontationslinien anders gelagert: Als Parlamentarier und | |
| Haushaltsgesetzgeber müssen wir uns mit der Senatsverwaltung für Finanzen | |
| auseinandersetzen. Aber das werden wir. Wir haben als Parlament die Hoheit | |
| über den Haushalt. Ohne die Linke wäre dieser Kampf wahrscheinlich unter | |
| ganz anderen Voraussetzungen zu führen. Das ist die höchste Priorität für | |
| uns im Moment und auch die grundsätzliche Debatte in dieser Stadt. | |
| In was für einer Gesellschaft möchten Sie leben, was ist Ihre politische | |
| Utopie? | |
| In einer Gesellschaft, in der Menschen emanzipiert von sozialen und | |
| ökonomischen Zwängen leben können. Wo sie eine tatsächliche | |
| Entscheidungsfreiheit haben, was ihre Lebensentwürfe sind. Zum Beispiel, | |
| wie und wo sie arbeiten, ob sie Familien gründen wollen. Das ist in der | |
| Realität gerade nicht der Fall. | |
| Verbessert Rot-Rot-Grün etwas daran? | |
| Wir müssen Voraussetzungen schaffen, unter denen das möglich ist. Ich habe | |
| dann meinen Job gemacht, wenn es den Menschen besser geht und sie mehr | |
| Handlungsspielräume haben. Ganz konkret: Wenn Menschen aus einer beengenden | |
| Lebenssituation oder einer gewalttätigen Partnerschaft nicht rauskommen, | |
| weil sie es sich nicht leisten können, auszuziehen und versuchen müssen, | |
| den zehn Jahre alten Mietvertrag zu halten, ist das ein unerträglicher | |
| Zustand. Wenn wir die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Menschen sich | |
| freier entscheiden können, unter welchen Umständen sie leben wollen, dann | |
| haben wir was richtig gemacht. | |
| Kommt Ihre Utopie ohne Schlagwörter wie etwa Sozialismus aus? | |
| Das habe ich ja gerade versucht. Aber es gibt Vordenker und Ideen, auf die | |
| wir uns beziehen, und dazu gehören selbstverständlich auch Sozialistinnen | |
| und Sozialisten, auf deren Schultern wir stehen. | |
| Wollten Sie eigentlich schon immer Politikerin werden? | |
| Nein. Nein! | |
| Wie kam es dann dazu? | |
| Das kam erst beim Machen. Politisch war ich schon sehr früh. Aber ohne die | |
| Piratenpartei, bei der ich das Gefühl hatte, Teil einer Bewegung zu sein, | |
| mit der man tatsächlich etwas erreichen kann, wäre ich nicht in die | |
| Parteipolitik gegangen. Als ich dann aber in der Kommunalpolitik in | |
| Neukölln war, habe ich gemerkt, dass mich der parlamentarische Rahmen mehr | |
| interessiert hat, als ich dachte. Der erste Aha-Moment war, als wir auf | |
| Bezirksebene Milieuschutzgebiete eingeführt haben. Das war ein langer, | |
| zäher Kampf, den ich damals schon gemeinsam mit der Linken im Bezirk | |
| geführt habe, aber als es geschafft war, haben wir eine reale Verbesserung | |
| für die Nachbarschaft erreicht. Das war einfach ein gutes Gefühl. | |
| Als Synchronsprecherin waren Sie gut im Geschäft, nun sind sie | |
| Fraktionsvorsitzende. Fällt es Ihnen schwer, ihre Arbeit aufzugeben? | |
| Über den Sommer muss ich noch ein paar Serien vernünftig zum Abschluss | |
| bringen. Ich liebe diesen Job und werde ihn vermissen, weil er | |
| abwechslungsreich ist und Spaß macht. Man kann als Synchronsprecherin sehr | |
| emotional sein, was man in der Politik lieber nicht sein sollte. Deswegen | |
| war das immer ein guter Ausgleich. | |
| Wie gut hat Sie das Synchronsprechen darauf vorbereitet, als Politikerin | |
| Reden zu halten? | |
| Leute sagen mir, dass ich eine schöne Stimme habe, aber ansonsten | |
| erstaunlich wenig. Es ist etwas ganz anderes, eigene Überzeugungen auf | |
| einer Demo oder im Parlament zu artikulieren. Was ich aber gelernt habe, | |
| ist zuhören und verstehen, wie Menschen Bedürfnisse artikulieren. Diese | |
| Nuancen wahrzunehmen ist ein großer Teil der Arbeit als Synchronsprecherin. | |
| Wie war es, im Alter von neun Jahren ein „Schweinchen namens Babe“ zu | |
| sprechen? | |
| Das war natürlich geil. Das war ein sehr süßer Film. Da hatte ich auch, | |
| anders als sonst, wo ich versuche, der Originalschauspielerin möglichst | |
| nahe zu kommen, sehr viel kreative Freiheit. Im australischen Original wird | |
| Babe von einer erwachsenen Frau und nicht von einem Kind gesprochen. Die | |
| Mimik des Schweins war auch nicht übermäßig computeranimiert, es war | |
| größtenteils einfach nur ein Schwein. Insofern hat die Stimme eine ganze | |
| Menge vom Charakter dieser Figur ausgemacht. | |
| Sie sind die ersten Jahre in Treptow aufgewachsen, nach der Wende dann in | |
| Neukölln. Ist diese Ost-West-Vergangenheit irgendwie wichtig für Sie? | |
| Das ist biografisch prägend. Meine Mutter war Buchhändlerin und erlebte in | |
| ihrem Freundeskreis zahlreiche staatliche Repressionen. Insofern gab es | |
| eine große Skepsis, Vorbehalte und Verletzungen gegenüber der Partei – auch | |
| wenn wir ein linker Haushalt waren. Entsprechend war es für mich zunächst | |
| nicht naheliegend, zur Linken zu gehen, obwohl ich linke Ideen und Ziele | |
| hatte. Ebenso sind mir Erfahrungen von Menschen bewusst, die nach der Wende | |
| das Gefühl hatten, dass ihre Lebensleistung nicht anerkannt wird. Sie | |
| mussten erleben, dass das, was gestern richtig war, auf einmal falsch ist, | |
| und hatten keine Zukunftsperspektiven mehr. Auch kenne ich etwa das Konzept | |
| Hausfrau überhaupt nicht – mit dieser Option bin ich einfach nicht | |
| aufgewachsen. | |
| Die Piraten hatten ein besonderes Demokratieverständnis. Sie und Carsten | |
| Schatz sind von der bisherigen Fraktionsführung als Nachfolger auserkoren | |
| worden. Können Sie die Kritik daran nachvollziehen? | |
| Kann ich, aber ich glaube das Gegenteil wäre ihnen auch zum Vorwurf gemacht | |
| worden. Gerade in dieser schwierigen Lage, mitten in der Pandemie, war es | |
| verantwortungsvoll, Vorschläge zu machen, wie es weitergeht. In der | |
| Kommunikation ist da ein bisschen was schiefgegangen, was sich im | |
| Nachhinein schwierig heilen lässt. Aber die Fraktion zeichnet offenen | |
| Austausch und Miteinander aus, das werden wir fortsetzen. | |
| Haben Sie beide sich selber beworben? | |
| Wir sind angesprochen worden und auch ziemlich kurzfristig. | |
| Sie sind am Ende [2][mit 16:9 Stimmen gewählt] worden. War das eine | |
| Enttäuschung? | |
| Nein, das interpretiere ich nicht so. Ich hatte eine Gegenkandidatin, und | |
| das Ergebnis ist klar genug, dass ich eine Unterstützung habe. Ich verstehe | |
| auch, dass ich nicht von allen Vorschussvertrauen bekomme, schließlich war | |
| es auch nicht die naheliegendste Option, dass ich in meiner ersten | |
| Legislaturperiode so einen Job übernehme. Damit kann ich umgehen. | |
| Bislang waren Sie Sprecherin für Strategien gegen Rechts und Medien. Müssen | |
| Sie als Fraktionsvorsitzende jetzt Generalistin sein? | |
| Ja. Ich versuche mir gerade in allen Bereichen einen Überblick zu | |
| verschaffen. Wir treffen gerade möglichst viele relevante Akteure in der | |
| Stadt, ich lasse mich aus den Fachbereichen beraten und schaue, welche | |
| Entscheidungen anstehen. Niemand erwartet von mir, dass ich eine | |
| Spezialistin in jedem Gebiet werde, aber die großen Linien müssen stimmen. | |
| Gelingt es Ihnen als junge Fraktionsvorsitzende, sich gegen die | |
| Schwergewichte aus der Regierung oder den erfahrenden anderen | |
| Fraktionschefs durchzusetzen? | |
| Es erwartet niemand, dass Carsten Schatz und ich Udo Wolf und Carola Bluhm | |
| ersetzen oder im gleichen Stil weitermachen. Wir sind andere Personen. Ich | |
| wundere mich aber über die Frage, ob ich mich durchsetzungsfähig in der | |
| Koalition fühle, weil ich das gar nicht als Problem sehe. Ich fühle mich | |
| durchaus gewappnet, auf Augenhöhe mitzureden. | |
| Wie ist das Verhältnis zu den Fraktionsvorsitzenden der SPD und Grünen? | |
| Ganz gut. Das ist eine vernünftige Arbeitsatmosphäre. Wir haben uns auch | |
| erst mal Zeit für eine Kurzklausur genommen. Uns ist auch bewusst, dass es | |
| bald in den Vorwahlkampf geht und das Bedürfnis, sich abzugrenzen, steigen | |
| wird. Aber es ist auch klar, dass wir ein gemeinsames Zeugnis ausgestellt | |
| bekommen. Deswegen kann sich niemand freuen, wenn eine Senatorin oder ein | |
| Senator mit einem Projekt scheitert. | |
| Und nach der Wahl soll es mit R2G weitergehen? | |
| Ich glaube, dass wir unsere Arbeit fortsetzen müssen. Interessant wird, wie | |
| sich die Koalition verändern wird. Selbstverständlich haben wir den | |
| Anspruch, den Regierenden Bürgermeister zu stellen. Das ist das, wofür wir | |
| kämpfen werden. | |
| Wird es zum Knackpunkt bei der Wahl, ob der Mietendeckel bis dahin noch | |
| besteht? | |
| Das ist ein relevanter Punkt. Der Mietendeckel ist ein Stimmungsbarometer | |
| für linke Mehrheiten in dieser Stadt, gesellschaftlich und parlamentarisch. | |
| Aber man darf nicht alles nur auf diese eine Karte setzen. Der Deckel ist | |
| erst mal eine Verschnaufpause, um Handlungsspielräume zu gewinnen. Wir | |
| ruhen uns auf dem Mietendeckel nicht aus: Andere Instrumente zur | |
| Regulierung des Mietmarktes, auch bei Gewerbemieten, müssen wir trotzdem | |
| vorantreiben. Eines davon kann auch die Vergesellschaftung großer | |
| Wohnungskonzerne sein. Sollte der Mietendeckel nur in Teilen halten, wird | |
| sich die Debatte ohnehin stärker darauf fokussieren, und das auch zu Recht. | |
| Damit ist man auf einer ganz anderen Gesprächsebene über die Frage, wie ein | |
| fairer Mietmarkt aussieht. | |
| 1 Aug 2020 | |
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