| # taz.de -- Julia Korbik über Schwesternschaft: Ist Feminismus aus der Zeit ge… | |
| > Rassismus, Antisemitismus, Transfeindlichkeit – die Frauenbewegung ist so | |
| > zerstritten wie selten. Autorin Julia Korbik fordert radikale | |
| > Schwesterlichkeit. | |
| Bild: Geschlossen feministisch, bei allen Unterschieden: hier eine Demo zum Fra… | |
| wochentaz: Frau Korbik, in Deutschland ist es still geworden um den | |
| Feminismus, gleichzeitig ist die Bewegung zerstritten wie selten zuvor. Nun | |
| erscheint Ihr Buch „Schwestern“, in dem Sie die „Macht des weiblichen | |
| Kollektivs“ beschwören. Ist das nicht aus der Zeit gefallen? | |
| Julia Korbik: Absolut nicht, auch wenn der Begriff Schwesterlichkeit etwas | |
| altmodisch klingt. Aber das weibliche Kollektiv ist hochaktuell, wenn wir | |
| beispielsweise an die #MeToo-Bewegung denken oder die Debatten um sexuelle | |
| Gewalt, die von Rammstein und Sänger Till Lindemann ausgegangen sein soll. | |
| Hier zeigt sich eine große Solidarität gegenüber betroffenen Frauen – und | |
| darum geht es bei der Frage der Schwesterlichkeit, bei der Macht des | |
| weiblichen Kollektivs. | |
| Sie bezeichnen Sisterhood, Schwesterlichkeit, als radikales Konzept. Was | |
| ist daran radikal? | |
| Schwesterlichkeit ist ein Zeichen politischer Solidarität. Das heißt aber | |
| nicht, dass Frauen, nur weil sie Frauen sind, automatisch mit anderen | |
| Frauen solidarisch sein müssen. Das Konzept der Schwesterlichkeit verbindet | |
| sie nicht aufgrund ihres Geschlechts, sondern weil sie das gleiche Ziel | |
| eint: Gleichberechtigung. | |
| Beim Hamas-Überfall auf Israel am 7. Oktober hat dieses Konzept offenbar | |
| versagt. Zumindest schweigen Feministinnen in Deutschland, wenn es um | |
| Solidarität mit den vergewaltigen, entführten Jüdinnen geht. | |
| Viele Feministinnen wussten offenbar nicht, wie sie reagieren sollen, es | |
| fehlte an Empathie gegenüber betroffenen Jüdinnen. Selbst internationale | |
| Organisationen, beispielsweise UN Women, haben bis heute nur verhalten | |
| reagiert. | |
| Was ist Schwesterlichkeit da wert? | |
| Hier zeigt sich deutlich, dass Schwesterlichkeit kompliziert und nicht | |
| automatisch gegeben ist, sondern immer wieder geschaffen werden muss. Ich | |
| selbst bin immer davon ausgegangen, dass sich die feministische Bewegung | |
| darauf geeinigt hatte, dass jede von sexualisierter Gewalt Betroffene | |
| Solidarität verdient, egal wer sie ist, egal woher sie kommt. [1][Das gilt | |
| seit dem 7. Oktober offenbar nicht mehr]. | |
| Israelinnen sind dadurch Frauen zweiter Klasse. | |
| So könnte man das sehen. Man muss aber auch sagen, dass die | |
| Vergewaltigungen bekannt wurden, als Israel bereits in Gaza war, zu einer | |
| Zeit also, als die schrecklichen Bilder mit den unzähligen | |
| palästinensischen zivilen Opfern überaus wirkmächtig waren. | |
| Feministinnen wird vorgeworfen, dass sich hinter ihrem Schweigen | |
| Antisemitismus verbirgt. | |
| Der Feminismus hat sich in den vergangenen Jahren stark mit Rassismus | |
| auseinandergesetzt, also mit der Frage, wie weit sich weiße Feministinnen | |
| trotz ihres politischen Anspruchs der Gemeinschaftlichkeit rassistisch | |
| verhalten. Das ist richtig und wichtig. Darüber ist die Auseinandersetzung | |
| mit Antisemitismus wohl vergessen worden. | |
| Wie kann das sein? | |
| Viele Menschen glauben, sie seien nicht antisemitisch und haben daher das | |
| Thema zur Seite geschoben. Jetzt müssen wir erkennen, auch in der | |
| feministischen Szene: Das war ein Trugschluss. | |
| Haben Sie sich zum Hamas-Überfall geäußert? | |
| Ja, in einem Radiointerview, aber ich nehme mich aus der Kritik absolut | |
| nicht aus. Mir ist in diesen Wochen klar geworden, dass der deutsche | |
| Feminismus viel stärker darüber debattieren muss, wie antisemitisch er ist. | |
| Unabhängig davon schließt es sich für mich überhaupt nicht aus, Israels | |
| Einmarsch in Gaza heftig zu kritisieren und sich gleichzeitig an die Seite | |
| der Hamas-Opfer zu stellen. | |
| Der deutsche Feminismus gilt vielen als zu weiß, akademisch, elitär. | |
| Viele Frauen of Color sind schon lange im deutschen Feminismus aktiv, nur | |
| hat man ihnen keine sonderlich wichtige Rolle innerhalb der Bewegung | |
| zugestanden. Dadurch waren sie gezwungen, sich in eigenen Gruppen | |
| zusammenfinden. Das hat sich in den vergangenen Jahren etwas geändert, | |
| mittlerweile sitzen mehr Frauen of Color beispielsweise in Talkshows, | |
| feministische Stimmen sind heute diverser als früher. | |
| Zugleich ist von Sprechverboten die Rede. Was würden Sie tun, wenn Sie auf | |
| einer Veranstaltung von Women of Color nicht reden dürften? | |
| Ich würde das akzeptieren und vermutlich schweigen. | |
| Das ginge dann allerdings auf Kosten des Dialogs, den Sie in Ihrem Buch | |
| anregen. | |
| Ich würde nach der Veranstaltung versuchen, mit den Frauen ins Gespräch zu | |
| kommen. | |
| Nun wird Frauen von jeher nachgesagt, eher gegeneinander zu kämpfen, statt | |
| solidarisch zu sein. Begriffe wie „Stutenbissigkeit“ und „Zickenkrieg“ | |
| sprechen für sich. | |
| Das wird Frauen seit Jahrhunderten zugeschrieben. Ich glaube aber nicht, | |
| dass Frauen von Natur aus andere Frauen bekämpfen. | |
| Ich beobachte aber, dass Frauen an der Spitze nicht selten andere Frauen | |
| wegbeißen. | |
| Frauen in Toppositionen haben keine Tradition, sie sind tatsächlich | |
| vielfach allein unter Männern und in patriarchalen Strukturen, das allein | |
| ist hart genug. Wenn einer Frau zusätzlich suggeriert wird, dass sie es als | |
| eine der wenigen bis nach oben geschafft hat, wird sie verständlicherweise | |
| alles dafür tun, dort auch zu bleiben. | |
| Schwesterlich ist das nicht. | |
| Manche Frauen, die sich gegen Männer durchsetzen müssen, passen sich an die | |
| männliche Unternehmenskultur an. Daher braucht es ja auch diese berühmte | |
| kritische Masse an Frauen, die weitere Frauen nachziehen und die | |
| Unternehmenskultur grundsätzlich ändern. Es gehört allerdings einiges dazu, | |
| sich als einzige Frau an der Spitze gegen etablierte Führungsstrukturen zu | |
| stellen und zu sagen: Mir ist es wichtig, andere Frauen zu fördern. | |
| Männer machen das offenbar anders. | |
| Männer begreifen sich mehr als Gruppe, als Boys Club, der füreinander | |
| einsteht. Frauen tun das eher nicht. Das hatte schon die französische | |
| Feministin Simone de Beauvoir erkannt und gesagt: „Frauen sagen nicht | |
| ‚wir‘.“ | |
| Warum ist es so schwer, „wir“ zu sagen? | |
| Frauen sind keine homogene Gruppe, sondern so divers, wie die Welt nun mal | |
| ist: jung, alt, mit Kindern, ohne Kinder, heterosexuell, queer, mit und | |
| ohne Erwerbsarbeit, und, und, und. Angesichts dieser Vielfalt steht die | |
| Frage im Raum, ob man überhaupt dieses Wir beschwören kann. Von Männern | |
| würde man im Übrigen diese Einigkeit gar nicht erwarten. | |
| Es gibt sogar Frauen, die über prominente Feministinnen herziehen und sie | |
| fertigmachen: zu schön, zu jung, zu erfolgreich. | |
| Das hat mit Neid und Eifersucht zu tun, wovor Frauen natürlich nicht gefeit | |
| sind. Warum sollten sie auch? Der Anspruch an den Feminismus, an Frauen ist | |
| komplett überzogen: Vom Feminismus als Bewegung wird sehr viel stärker als | |
| von anderen sozialpolitischen Bewegungen erwartet, dass er ohne innere | |
| Kämpfe auskommt. Das ist Quatsch. Unabhängig davon würde ich mir wünschen, | |
| dass Feministinnen öfter miteinander ins Gespräch kommen statt sich | |
| gegenseitig öffentlich auf X anzugehen. | |
| Beim Selbstbestimmungsgesetz stehen sich zwei feministische Gruppen | |
| gegenüber: Die einen, die [2][nichts gegen trans Personen etwa in einer | |
| Frauensauna haben], und die anderen, die eine solche Öffnung verbieten | |
| wollen, weil in ihren Augen eine trans Frau ein Mann ist, der in | |
| Frauenräume vordringt. | |
| Das sind zwei fundamental unterschiedliche Haltungen, das stimmt, und ich | |
| halte es tatsächlich für schwierig, dass hier die Kontrahent:innen | |
| miteinander ins Gespräch kommen können. | |
| An dieser Stelle müssen wir auch über Alice Schwarzer reden, die sich | |
| [3][gegen das Gesetz ausspricht]. | |
| Hier ist Alice Schwarzer leider stehen geblieben. Früher hat sie sich | |
| durchaus für trans Frauen eingesetzt, als diese in Frauenhäusern nicht | |
| willkommen waren. Jetzt hat sie ihre Position komplett gewechselt: Früher | |
| waren trans Personen in ihren Augen Menschen mit einer psychischen Störung, | |
| heute findet sie, „Transgender“ sei ein Kult, dem sich auch Kinder beugen | |
| müssten. | |
| Schwarzer hat keine Verdienste? | |
| Doch, doch. Für die feministische Bewegung in den 1970er und 1980er Jahre | |
| war Alice Schwarzer überaus wichtig. Mit ihren Erfolgen beim Kampf für | |
| Abtreibung, Frauenrechte, beim Aufdecken patriarchaler Strukturen in der | |
| Gesellschaft hat sie ihre feste Rolle, die ihr trotz aller Kritik heute | |
| niemand streitig machen kann. | |
| Nun setzt sie sich mit Sahra Wagenknecht für Verhandlungen mit Russland | |
| ein, betritt ein umstrittenes Feld. [4][Verspielt sie gerade ihre | |
| feministischen Meriten]? | |
| Die verspielt sie schon länger, beispielsweise bei Fragen wie Prostitution | |
| oder Kopftuch. Es geht gar nicht darum zu sagen, dass sie speziell bei | |
| diesen beiden Themen falsch liegt. Beide Themen werden kontrovers | |
| diskutiert, das ist auch gut so. Das Problem ist, dass Alice Schwarzer ihre | |
| Meinung dazu hat, dass sie recht behalten und am liebsten Prostitution und | |
| Kopftuch verbieten will. | |
| Was ist falsch daran? | |
| Das Weltbild von Alice Schwarzer ist in Schwarz-Weiß geteilt, die Welt ist | |
| aber grau, also vielschichtig und kompliziert. Verbote sind selten eine | |
| Lösung. Ihrer Argumentation, egal bei welchem Thema, fehlen oft die | |
| Nuancen, so als gäbe es für ein Problem nur eine einzige Lösung. | |
| Die sie ihrer Meinung nach hat. | |
| So ungefähr. Störend ist zudem, dass sie jüngeren Feministinnen oft | |
| gönnerhaft begegnet, so nach dem Motto: Ich geb dir mal einen Tipp, was | |
| richtig ist. Auf dieser Grundlage kommt man mit ihr nicht ins Gespräch. Und | |
| das ist misslich, denn ein solches Verhalten ist alles andere als | |
| schwesterlich. | |
| 21 Feb 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Simone Schmollack | |
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