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# taz.de -- Sexualisierte Gewalt der Hamas: Kampf um Anerkennung des Horrors
> Die Hamas wollte am 7. Oktober gezielt Frauen schänden. Israel kämpft um
> internationale Anerkennung dieser Taten. Warum ist das so schwer?
Bild: Shari Mendes in einem Kühlcontainer in einer Militärbasis nahe Tel Aviv…
Berlin taz | Als Shari Mendes am 8. Oktober, einen Tag nach dem [1][Angriff
der palästinensischen Terrorgruppe Hamas auf Israel], an der Militärbasis
Shura eintrifft, südöstlich von Tel Aviv gelegen, stapeln sich bereits die
Leichensäcke mit Ermordeten. Von Minute zu Minute, so beschreibt sie es der
taz, werden es mehr. Kühlautos werden angefordert, um die immense Anzahl an
Toten zu beherbergen. „Es war wie eine Horrorshow“, sagt sie.
Vergangene Woche war Mendes mit einer israelischen Delegation sowie der
Frauenrechtlerin und Unternehmerin Sheryl Sandberg nach Berlin gereist, um
auf Einladung des Auswärtigen Amts [2][über die Gewalt der Hamas gegen
Frauen] zu berichten. Mendes ist Architektin und gehört zu einer
Reserveeinheit von Frauen, die in Kriegssituationen verstorbene Soldatinnen
identifiziert und zur Bestattung vorbereitet.
Nach dem Massaker der Hamas-Terroristen soll sich ihre Einheit um die
Leichen getöteter Frauen kümmern. Mendes entfernt den blutverschmierten
Schmuck der Frauen, säubert ihn, um ihn den Angehörigen zurückzugeben.
Manchmal legt sie nur ein Tuch über die Frauen, gibt ihnen, so sagt sie,
den Respekt zurück, der ihnen durch die erlebte Gewalt genommen wurde.
Macht aus den Frauen wieder Subjekte. Eine unbegreifliche Situation nennt
sie das, was sie erlebt hat.
Im Krieg, sagt Mendes, träfen die Toten langsam ein. Es gebe Zeit, sich um
jeden einzelnen zu kümmern. Nach dem 7. Oktober sei das System der Armee
aber zunächst überfordert gewesen. Die Helfer hätten in
24-Stunden-Schichten gearbeitet, in Zelten auf der Militärbasis
übernachtet, nicht weit entfernt von den Leichen. Anders sei die Arbeit
nicht zu bewältigen gewesen. Mendes habe das an New York nach dem
islamistischen Anschlag vom 11. September 2001 erinnert.
## Ermittlungen werden Jahre andauern
Mendes erzählt vom Grauen, das sie gesehen hat: Von Frauen, denen mehrfach
ins Gesicht geschossen worden ist. In die Augen, in die Nase. Von
Gesichtern, die blutüberströmt waren, so stark, dass sie kaum noch zu
erkennen waren. Von Frauen mit verbrannten Gliedmaßen. Von Frauen, die fast
immer leicht bekleidet, deren Unterwäsche voller Blut war. Frauen, denen in
die Brust, in die Vagina geschossen worden war. Frauen, denen das Becken
gebrochen worden war. Frauen, die Spuren von brutalster Vergewaltigung, von
Folter aufwiesen.
Seit dem 7. Oktober hat die israelische Polizei Tausende solcher Beweise
gesichert. Sie hat Videos ausgewertet, meist selbst von den
Hamas-Terroristen mit Bodycams aufgenommen und ins Internet gestellt. Sie
hat forensische Untersuchungen unternommen, Zeugenaussagen gesammelt,
Überlebende und freigelassene Geiseln befragt, festgenommene Terroristen
der Hamas verhört. Die Ermittlungen dauern weiter an. Sie könnten, das
teilt die Polizei immer wieder mit, noch Jahre andauern.
Vier Monate nach dem Massaker lässt sich dennoch bereits ein Bild dessen
zeichnen, was am 7. Oktober passierte – und wie diese Taten intendiert
waren. „Sexualisierte Gewalt war ein systematisch geplanter Teil der
Attacke“, sagt Mirit Ben Mayor, Oberkommissarin und Kommunikationsleiterin
der israelischen Polizei. Teile der vorläufigen Ergebnisse ihrer
Untersuchungen stellte sie in Berlin vor. Ähnlich wie Mendes spricht sie
von Verstümmlungen und Vergewaltigung von Frauen, die sie an über 20 Orten
in Israel feststellen konnten. Von Körpern, die kaum noch zu erkennen
waren. Menschlichen Überresten, die zum Teil nicht mehr zugeordnet werden
konnten. Und sie erzählt von Terroristen der Hamas, die in ihren Verhören
keine Reue zeigten und die zugaben, nach Israel geschickt worden zu sein,
um die Frauen „zu beschmutzen“, sie zu vergewaltigen.
## Heilung passiert im eigenen Tempo
Doch auch wenn die bisherigen Ermittlungen unzählige Beweise sichern
konnten, solche, die darauf hindeuten, dass sich die Gewalt vom 7. Oktober
auch gezielt gegen Israelinnen richteten und der Staat Israel auf diese
Weise gedemütigt werden sollte, haben Frauenrechtsorganisationen diese
spezifische Gewalt noch nicht ausreichend verurteilt – so die Kritik aus
Israel. Über zwei Monate versäumten es allein die Vereinten Nationen und
ihre Frauenrechtsorganisation UN Women, die Taten anzuerkennen. Erst Mitte
vergangener Woche reiste die Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen für
sexuelle Gewalt in Konflikten, Pramila Patten, nach Israel. Sie forderte,
115 Tage nach dem Massaker, Opfer und Zeugen auf, nicht mehr zu schweigen.
In Fällen von sexualisierter Gewalt herrscht oft eine Erwartungshaltung,
die Betroffenen mögen doch sprechen, ihre Geschichten öffentlich teilen –
und somit Beweise liefern. Doch ob und wann jemand nach einem extremen
Trauma in der Lage ist über das Erlebte zu sprechen, ist ungewiss. Manchmal
könne es Monate, gar Jahre dauern, sagt Sharon Gal Van-Raalte der taz. Sie
ist Psychologin und Expertin für extremes Trauma und sexuellen Missbrauch.
Seit dem Hamas-Angriff betreut sie die Überlebenden des Kibbuz Kfar Aza.
Selbst für Gal Van-Raalte, eine erfahrene Traumaspezialistin, ist das
Massaker eine einzigartige und überfordernde Erfahrung. Wer sich mit
sexuellen Traumata befasst, sieht die Betroffenen meist nicht unmittelbar
nach der Tat. Gibt es sonst ein Protokoll dafür, wie in Traumatherapien mit
den Klienten umgegangen werde, mussten Psychologen wie Gal Van-Raalte nun
improvisieren.
Die öffentlichen Aufforderungen danach, Betroffene mögen Zeugnis ablegen
über die erlebten Gewalttaten, irritieren sie. „Die Überlebenden sind weit
davon entfernt, Traumata zu verarbeiten“, sagt sie. Die Betroffenen müssten
niemanden überzeugen. Sondern: „Sie müssen heilen. Und sie müssen das in
ihrem eigenen Tempo tun.“ Ob und wie lange der Heilungsprozess dauert
werde, hänge auch davon ab, wie sicher sich die Menschen fühlten. Die nur
zögerlichen Verurteilungen internationaler Organisationen hätten Einfluss,
der nicht unterschätzt werden dürfe, erklärt Gal Van-Raalte: „Frauen, die
sehen, dass die Welt anzweifelt, dass das, was ihnen widerfahren ist,
jemals passiert ist, sind tief verunsichert. Woher sollen sie die Kraft
nehmen, über ihr Trauma zu sprechen?“
## Überlebende sind körperlich und seelisch verwundet
Hinzu kommt: Sich einzig auf das Trauma zu fokussieren, auf die Gewalt,
greift zu kurz und wird der Realität nicht gerecht. Denn es ist nicht nur
das Trauma an sich, mit dem die Überlebenden in Israel nun umgehen müssen.
„Ihr gesamtes Leben wurde zerstört“, sagt Gal Van-Raalte. Menschen mussten
ihre Wohnorte verlassen, da sie zerstört wurden. Sie wurden in Hotels
evakuiert und sind dort mit vielen ihnen fremden Menschen auf engem Raum
untergebracht. Sie können ihre Berufe nicht weiterführen, haben keine
finanziellen Einnahmen. Es ist ungewiss, ob die Betroffenen jemals in ihre
Kibbuzim zurückkehren werden, ob die Gemeinschaften überleben. „Ein solches
massives kollektives Trauma wie am 7. Oktober haben wir Experten noch nie
erlebt“, sagt Gal Van-Raalte.
Die Psychologin erzählt von Überlebenden, die körperlich, aber auch
seelisch verwundet sind, die sich verraten fühlen, tief verunsichert sind,
die unter Schock stehen. Noch Tage nach dem 7. Oktober trug ein Bewohner
von Kfar Aza Tag und Nacht sein Gewehr bei sich, sagt Gal Van-Raalte. Er
konnte es nicht ablegen, hatte Angst, dass die Terroristen jederzeit
zurückkehren würden. Es brauchte viele Gespräche, bis er sich davon
überzeugen ließ, in Sicherheit zu sein, das Gewehr ablegen zu können.
Shari Mendes und Sharon Gal Van-Raalte verweisen auf die Resilienz des
israelischen Volkes. Auf ein Land, das als Antwort auf das extreme Trauma,
die Shoa, entstanden ist. Mit einer Einschränkung: „Meine Großmutter, eine
Holocaustüberlebende, war resilient. Sie starb mit 94. Ich habe sie immer
gefragt: Was ist dein Geheimnis? Sie antwortete: Harte Arbeit. Über ihr
Trauma hat sie mit uns, ihrer Familie, aber nie gesprochen, sie wollte uns
nicht belasten“, sagt Gal Van-Raalte.
Es gibt kein Versprechen darauf, dass die abscheulichen Gräueltaten vom 7.
Oktober jemals durch die Betroffenen selbst weitergegeben werden können.
Doch ohne die internationale Anerkennung dieser Gewalt, speziell der gegen
israelische Frauen, wird es wenig Hoffnung geben.
8 Feb 2024
## LINKS
[1] /Essay-zum-Angriff-der-Hamas/!5967960
[2] /Gewalt-an-Frauen/!5972451
## AUTOREN
Erica Zingher
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