# taz.de -- Prozess zum Attentat auf Synagoge: Das Grinsen des Angeklagten | |
> Am zweiten Verhandlungstag gegen den Halle-Attentäter haben die | |
> Opferanwält:innen das Wort. Der Beschuldigte will den Prozess weiter als | |
> Bühne nutzen. | |
Bild: Am zweiten Prozesstag vor dem LG Magdeburg. Opfern und Angehörigen steht… | |
MAGDEBURG taz | Der zweite Tag des [1][Prozesses] wegen des | |
rechtsextremistischen Attentats von Halle im Landgericht Magdeburg beginnt | |
pünktlich. Nachdem am ersten Prozesstag die offenen Fragen der Richterin | |
Ursula Mertens dem Angeklagten viel Raum gaben, seine Ideologie | |
darzustellen, ist für den zweiten Verhandlungstag die Befragung durch die | |
Bundesanwaltschaft und die 24 ausgewiesenen Opferanwält:innen anberaumt. | |
Zunächst wird das Video gezeigt, mit dem der Täter sein Handeln ins | |
Internet übertrug. Es zeigt, wie er [2][am 9. Oktober vergangenen Jahres] | |
während des jüdischen Feiertags Jom Kippur versuchte, sich mit selbst | |
gebauten Waffen Zugang zur Synagoge in Halle zu verschaffen. Als das | |
misslang, erschoss er die Passantin Jana L. und den Dönerimbiss-Kunden | |
Kevin S. Mehrere Personen wurden verletzt. | |
Einige Nebenkläger:innen schließen die Augen, manche weinen, andere | |
verlassen den Raum. „Ich würde gern die Aufmerksamkeit auf das Grinsen des | |
Angeklagten richten“, sagt einer der Anwälte. Es ist der Wunsch der Opfer, | |
dass dem Täter [3][medial keine Bühne] geboten wird. Denn ebendies sei sein | |
Ziel – mit dem Video wie dem Prozess. | |
Trotz der Videodokumentation haben die Opfer und der Bundesanwalt viele | |
Fragen. War es Vorsatz, dass der Täter auf der Flucht einen Schwarzen Mann | |
anfuhr? Was ist mit dem Angriff auf ein Paar, das ihm nicht sein Auto | |
übergeben wollte? Wie radikalisierte er sich? Die Nebenkläger:innen wollen, | |
dass die Tat in einen Kontext gesetzt und erklärt wird, wie es so weit | |
kommen konnte. | |
## Der Angeklagte will „seine Leute“ schützen | |
Bis 2015 sei er selbst „nicht so politisch“ gewesen, sagt der Beschuldigte. | |
Und auch danach habe er kaum mit Menschen im realen Leben über Politik | |
gesprochen. In seiner Familie habe er sich nicht rassistisch und | |
antisemitisch geäußert. Im Internet hingegen sei dies anders. Wo genau er | |
sich dort radikalisiert habe, wolle er nicht sagen, um „seine Leute“ zu | |
schützen. | |
Die Opferanwält:innen Kristin Pietrzyk und Alexander Hoffmann bestehen | |
darauf, dass der Angeklagte ihre Fragen konkret beantwortet. Sie wollen ihm | |
keinen Raum geben, seine kruden Theorien vorzutragen. Gleichzeitig versucht | |
Hoffmann, diese zu entlarven: „Wann hat Ihnen ein Ausländer den Job | |
weggenommen? Welchen Job, von dem Sie geträumt haben, haben Sie nicht | |
bekommen“, fragt er. Er wird laut: „Sie haben doch gar nichts Nützliches | |
gemacht, aber stattdessen sagen Sie, Ausländer nehmen Ihnen die | |
Arbeitsplätze weg.“ Der Angeklagte weigert sich, die Fragen der | |
Anwält:innen zu beantworten. | |
Noch bevor die Opferanwälte am Nachmittag Fragen stellen, befragt die | |
Verteidigung den Angeklagten. Anders als am Vortag behauptet dieser nun, | |
nicht gewusst zu haben, ob sich Menschen in der Synagoge befanden. Als | |
Pietrzyk darauf hinweist, stellt die Verteidigung einen Antrag auf | |
Protokollierung der Aussagen des Täters. | |
Um kurz nach eins verkündet Richterin Mertens die Ablehnung des Antrags: | |
„Es kommt nicht auf den Wortlaut an, sondern auf dessen Sinngehalt im | |
Kontext der Aussage des Angeklagten“, heißt es. Nichts davon lässt einen | |
Zweifel an einem vorsätzlichen rechtsextremistischen Terroranschlag. Nach | |
dem Angriff auf die Synagoge habe er vorgehabt, ein muslimisches Zentrum | |
oder „andere Orte“ anzugreifen. Nur der angeschossene Autoreifen habe ihn | |
daran gehindert. | |
## Ideologisch gefestigt | |
Der ursprüngliche Plan sei es gewesen, eine Moschee anzugreifen, gibt der | |
Angeklagte im Laufe des Tages zu. Er lacht, schildert munter seine Taten, | |
verstellt seine Stimme, macht Witze, fällt Anwält:innen ins Wort. Er stellt | |
persönliche Gegenfragen und spricht von einem Kampf gegen Juden und | |
Muslime. Ob dieser nun beendet sei? Kein Kommentar. | |
Der Prozesstag läuft zäh. Das Gericht arbeitet sich an der ideologischen | |
Motivation des Täters, der Rekonstruktion der Tat und deren Vorbereitung, | |
einer möglichen Mitwisser:innenschaft der Eltern und Details der selbst | |
gebauten Waffen ab. Und es geht um die größere Frage, die Bundesanwalt | |
Lohse im Laufe des Tages, an den Täter gerichtet, wie folgt formuliert: | |
„Sie werden eines Tages sterben. Ich werde eines Tages sterben. Alle, die | |
hier sind, werden eines Tages sterben. Folgt daraus nicht, dass wir | |
unabhängig von Religion und Hautfarbe alle gleich sind?“ | |
Der zweite Verhandlungstag beweist: Von dem ideologisch gefestigten Täter | |
ist ein solches Eingeständnis nicht zu erwarten. Doch es ist ebendiese | |
Frage, deren Nachhall sich ein Großteil der Anwesenden wünscht. | |
Anmerkung der Redaktion: Bei der Redaktionskonferenz der taz wurde am | |
Mittwoch die Frage lange diskutiert, ob der Name des Täters genannt werden | |
sollte. Einige plädierten für, andere gegen die Namensnennung. Einige | |
AutorInnen haben den Täter in ihren Texten benannt, bei diesem Text hat die | |
Autorin darauf verzichtet. Es ist etwas in Bewegung geraten. Die Redaktion | |
wird sich mit ExpertInnen und Betroffenen beraten, um dann eine generelle | |
Linie für die taz zu finden. | |
22 Jul 2020 | |
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## AUTOREN | |
Pia Stendera | |
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