# taz.de -- Nebenklägerin über Halle-Attentäter: „Ich fühle mich kämpfer… | |
> Am Dienstag wird der Prozess zum Nazi-Attentat von Halle fortgesetzt. | |
> Christina Feist hofft auf weniger rhetorische Freiräume für den | |
> Angeklagten. | |
Bild: Nebenklägerin im Prozess gegen den rechtsextremen Attentäter von Halle:… | |
taz: Frau Feist, Sie waren am 9. Oktober 2019, dem Tag des | |
[1][rechtsextremistischen Terroranschlags] von Halle, in der Synagoge, die | |
der Täter zu stürmen versuchte. Im [2][gerade begonnenen Prozess] treten | |
Sie als Nebenklägerin auf, an diesem Dienstag wird er fortgesetzt. Wie | |
haben Sie die ersten beiden Prozesstage erlebt? | |
Christina Feist: Der Vormittag des ersten Prozesstages war extrem schwierig | |
für mich, besonders, als der Täter hereingeführt wurde. Ich war einfach | |
angespannt. Die zweite Hälfte ging es mir um ein Vielfaches besser, | |
emotional und mental. Das ist auch ein bisschen der Tatsache geschuldet, | |
dass er mir inhaltlich nichts Neues erzählt hat. Alle | |
Verschwörungstheorien, die man vertreten kann, vertritt er. Insofern | |
interessiert es mich auch nicht. Es ist ein Hintergrundrauschen. | |
Geht Ihnen nicht nahe, was der Täter von sich gibt? | |
Es gibt akustische Probleme im Gerichtssaal, deshalb tragen wir Kopfhörer, | |
durch die eine deutschsprachige Übertragung läuft. Das hat psychologisch | |
den Effekt, dass noch mal eine gewisse Distanz entsteht. Ich bin jedoch | |
erstaunt darüber, dass er doch so berechnend ist. Daraus ergibt sich, dass | |
er nicht ganz so dumm sein kann, wie ich dachte. Ich dachte, dass da um | |
einiges weniger Informationen, Planung und Intelligenz dahinterstecken. Das | |
hat mich erst mal erschreckt. Am zweiten Tag habe ich mich dann | |
widerstandsfähig und fast schon kämpferisch gefühlt. | |
Zu Beginn des zweiten Prozesstages wurde die Videoaufzeichnung der Tat im | |
Saal gezeigt. Hat sich Ihr Kampfgeist dabei gehalten? | |
Das Video hat mich extrem mitgenommen. Ich habe das zum ersten Mal gesehen, | |
und ich möchte es auch nie wieder sehen. Es war trotzdem wichtig, es bis | |
zum Ende anzusehen. In dem Moment, als das Video zu Ende war, habe ich zu | |
meiner Begleitperson gesagt, sie muss mich jetzt rausbringen. Ich habe | |
einfach einen Moment gebraucht, in dem ich meine Emotionen wirklich frei | |
zulassen konnte, ohne dass es ein junges Publikum und den Täter gibt, die | |
das sehen. | |
Seit letztem Mittwoch stellen die Generalbundesanwaltschaft, die | |
Verteidigung und schließlich auch die Anwält:innen von Ihnen und anderen | |
Nebenkläger:innen die Fragen. | |
Ja, das fühlt sich ein bisschen mehr an, als würde es jetzt in Richtung | |
Schlagabtausch losgehen. Das finde ich einfach inhaltlich wesentlich | |
spannender. Die Aussagen des Täters sind weniger interessant. Aber seine | |
Reaktionen – wie er spricht, wie er formuliert und auch seine Mimik zu | |
sehen – finde ich sehr interessant. | |
Der erste Prozesstag musste aufgrund organisatorischer Probleme später | |
starten, der zweite etwas früher, weil einer der Verteidiger des Täters | |
einen Anschlusstermin wahrnehmen wollte. Ist es vielleicht gut, dass die | |
Tage sich nicht in die Länge ziehen? | |
Am Ende der beiden ersten Prozesstage ging es mir gut. Ich bin sehr müde, | |
aber das ist schon der Normalzustand. Ich fand es einerseits eher schade, | |
dass es erst mal nicht weiterging und wir aufhören mussten. Andererseits | |
empfand ich es wie einen Witz, dass wir so früh Schluss gemacht haben, | |
damit der Verteidiger sein Taxi bekommt. Dass darauf wirklich Rücksicht | |
genommen wird, vor allem wenn ich bedenke, was bisher schon alles nicht | |
berücksichtigt wurde. | |
Niemand weiß, wie lange diese Gerichtstage dauern, wir wissen nur: sie sind | |
lang. Die Tatsache, dass wir zuerst zweieinhalb Stunden zu spät angefangen | |
haben und dann eine Rüge der Richterin bekamen, wenn wir drei Minuten | |
später anfingen, passt nicht zusammen. Ich bin unzufrieden.... | |
… mit der formalen Organisation des Prozesses oder dem richterlichen | |
Vorgehen? | |
Beides. Es hängt zwangsläufig zusammen. Die Vorsitzende Richterin gibt den | |
Ton an. Die Vorsitzende Richterin macht die Regeln. Und da muss ich sagen: | |
Ich weiß nicht, was das soll. Ich habe das Gefühl, sie versucht es im | |
Rahmen ihrer Position allen ein bisschen recht zu machen. Aber so geht es | |
halt nicht. Ich würde mir viel eher wünschen, dass sie einfach in einer | |
starken Linie auftritt und dann nicht, allein schon rhetorisch, immer | |
wieder zurückschaltet. | |
Wie meinen Sie das? | |
Ich finde sie rhetorisch einfach zu schwach in vielen Dingen. Sie macht die | |
Ansagen nicht klar genug. Das ist das eine. Und das andere ist, dass es für | |
mich ein bisschen chaotisch wirkt und ich nicht das Gefühl habe, dass es | |
einen konkreten Plan gibt. Ich weiß nicht, wo das hinführen soll, ich finde | |
das extrem anstrengend. | |
Am zweiten Prozesstag lehnte die Richterin den Antrag der Verteidigung ab, | |
die Aussage des Täters zu protokollieren. Es ging darum, ob der Täter | |
gewusst habe, ob am Tattag Menschen in der Synagoge sein würden oder nicht. | |
Der Wortlaut seiner Aussagen sei irrelevant, sagte die Richterin, weil er | |
in die ganze Tat und viele Einzelaussagen eingebettet sei. Wird damit Ihr | |
Wunsch erfüllt, dass die Tat in einem weiteren Kontext gesehen wird? | |
Da fangen wir vielleicht am Grundproblem an. In Deutschland werden | |
Protokolle vom Gericht selbst nur im Amtsgericht geführt. Das finde ich | |
grob fahrlässig und ehrlich gestanden idiotisch. Ich fände es sinnvoller | |
für alle Beteiligten, wenn es unabhängig vom Verfahren ein neutrales | |
Protokoll gäbe. Das gibt es nicht, warum, weiß ich nicht. | |
Worum es in diesem Antrag eigentlich ging, ist, dass der | |
Generalbundesanwalt ursprünglich, zumindest was die Leute in der Synagoge | |
betrifft, nicht wegen versuchten Mordes anklagen wollte. Formaljuristisch | |
gesehen lagen noch zu viele Schritte dazwischen. Diese Anklage wurde Gott | |
sei Dank umgeschrieben. So wie ich das interpretiere, hat die Verteidigung | |
versucht, das wieder herauszuholen, indem er in seinen Fragen die Antworten | |
des Täters vorsuggeriert. Den Antrag anzunehmen, hätte zur Folge gehabt, | |
diese suggerierten Antworten schwarz auf weiß zu haben. Ihn abzulehnen war | |
keine Positionierung der Richterin, sondern eine juristische Formalität. | |
Ihnen ist wichtig, dass dem Täter medial keine Bühne geboten wird. Er hat | |
bereits mehrfach versucht, [3][Waffenbaupläne und Ideologien vor Gericht | |
darzulegen]. Hat er im Verhandlungssaal eine Bühne? | |
Ich empfand die Befragung durch die Richterin am ersten Tag als sehr | |
schwierig. Einerseits hat sie eine Frage-Antwort-Sache gemacht, um ihm die | |
Möglichkeit zu nehmen, einen Vortrag zu halten und ihm eine Bühne zu geben. | |
Ich finde trotzdem, dass sie ihn so lange hat reden lassen und ihm viel zu | |
viel erlaubt hat. | |
Anfangs sagte sie aufgrund von Bemerkungen, die ich nicht wiederholen | |
möchte, noch, dass sie so eine Sprache nicht duldet. Kurz darauf hat sie | |
sich rhetorisch wieder zurückgezogen und ihm wieder ein bisschen mehr Macht | |
gegeben. Ich weiß, das sind Feinheiten, aber gerade in so einem | |
Gerichtsprozess muss es darum gehen, eine ganz klare Linie zu setzen. Und | |
das tut sie nicht stark genug. | |
Was ist Ihr Wunsch an das weitere Verfahren? | |
Ein Schlusssprung. Ich weiß nicht, was es für juristische Möglichkeiten | |
einer Bestrafung gibt. Ich bin für das absolute Maximum vom Maximum. | |
Ansonsten ist mein Wunsch, dass es weniger unstrukturiert, unüberlegt und | |
chaotisch wird. Denn das ist fatal, gerade bei so einem Prozess. | |
27 Jul 2020 | |
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## AUTOREN | |
Pia Stendera | |
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