| # taz.de -- Diskussion über toxische Online-Männer: Die Giftfrösche greifen … | |
| > Sind Incels mit ihrer gekränkten Männlichkeit eine „Gefahr für | |
| > Deutschland“? Darüber diskutiert online die Hamburger FDP-Frau Ria | |
| > Schröder. | |
| Bild: Eigentlich zu niedlich: eine Illustration des Klischees vom vereinsamt su… | |
| Im Fadenkreuz der Aufmerksamkeit: Dass ein Thema Karriere gemacht hat, | |
| dafür ist hierzulande immer noch [1][der „Tatort“] ein ziemlich gutes | |
| Indiz. Das Sonntagabend-TV-Lagerfeuer, angeblich jahrzehntelang die | |
| Generationen auf dem heimischen Sofa einend, mag Federn gelassen haben in | |
| der jüngsten Vergangenheit, nicht nur wegen Netflix. Aber wenn ein*e | |
| Drehbuchautor*in des altgedienten Krimiformats ein Thema aufgreift, und | |
| dieses auch bei den Senderzuständigen keinen Anstoß erregt, dann ist es | |
| wohl kaum noch eines, das in irgendeiner Nische zuhause wäre. | |
| Als Anfang März der Kieler Tatort [2][„Borowski und die Angst der weißen | |
| Männer“] ausgestrahlt wurde, fragten dann zwar noch ein paar flankierende | |
| Zeitungsartikel wer die seien, diese „Incels“, und wie gefährlich – weni… | |
| aber waren es dafür, dass es sich da ja um ein noch nicht jahrzehntelang | |
| zurück zu verfolgendes und zudem ein im Wesentlichen doch Online-Phänomen | |
| handelte. | |
| Dass die Hamburger FDP-Politikerin [3][Ria Schröder], Mitglied des | |
| Bundesvorstands ihrer Partei und ehemalige Chefin der Jungen Liberalen, am | |
| heutigen Dienstagabend [4][online darüber diskutiert], ob diese Incels – | |
| die Selbstbezeichnung unfreiwillig zölibatär lebender Männer, auf Englisch | |
| „involuntary celibates“ – eine „Gefahr für Deutschland“ sind: Auch d… | |
| bezeugt ja, welchen Weg diese ganze Materie genommen hat. | |
| Wer nun denkt: „Gefahr? Für ganz Deutschland gleich? Ist das nicht etwas | |
| übertrieben?“ Nun, wie man es nimmt: Versatzstücke verquasten | |
| Männlichkeitsdenkens finden sich in der jüngeren Vergangenheit auch in den | |
| teils schriftlichen Hinterlassenschaften [5][von Massenmördern]. Auch | |
| [6][der Attentäter von Halle], Stefan B., sah sich einerseits als Versager, | |
| glaubte aber unter anderem, dass der Feminismus wesentlich Schuld trage am | |
| allgemeinen Niedergang. | |
| ## Mann ist nicht gleich Mann | |
| Wenn Ihnen „Incels“ trotzdem noch nicht viel sagt, dann vielleicht das | |
| Konzept „Pick-up artist“; auch so einer trat auf in der Kieler | |
| Krimihandlung: Das ist ein Mann, der anderen Männern beizubringen | |
| verspricht, Frauen aufzureißen, und das mit vermeintlicher Erfolgsgarantie. | |
| Voraussetzung für dieses seit den 1990er-Jahren weltweit in Erscheinung | |
| tretende Geschäftsmodell ist nicht zuletzt die Annahme, dass es | |
| unterschiedliche Männertypen geben muss; unterschiedlich vor allem, was | |
| ihre Attraktivität beim anderen Geschlecht angeht – mehr als zwei davon | |
| sind in der Welt solchen Manntums definitiv nicht vorgesehen. Zielgruppe | |
| für die Dienstleistung sind Männer, die – mal mehr, mal gar nicht begründet | |
| – von sich glauben, bei Frauen keine Chance zu haben, weil sie deren | |
| unterstellt oberflächlich-berechnenden Ansprüchen nicht genügen. | |
| Denn das ist der nächste Baustein im Weltbild solcher Männer: Frauen, | |
| obschon begehrtes Eroberungsziel, werden flugs zum Quell alles Schlechten | |
| erklärt, zumal seit der Feminismus ihnen diese ganzen falschen Ideen | |
| eingeflüstert habe; das geht nicht immer so weit wie bei Stefan B., für den | |
| gleich „der Jude“ dahinter steckt, wenn deutsche, weiße Frauen die ihnen | |
| gemäßen Männer verschmähen – zugunsten irgendwelcher Eingewanderter. | |
| Endziel solcher vermeintlich durchschauten Groß-Intrigen ist dann die | |
| „Umvolkung“ – und das zeigt, wie kompatibel diese sich angegriffen fühle… | |
| Männlichkeit ist mit rechtsextremem Denken und Handeln. | |
| Schon indem Frauen an Dinge wie Gleichberechtigung glauben, ja: dafür | |
| kämpfen und das manchmal sogar erfolgreich, enthalten sie demnach Männern | |
| etwas vor, das denen angeblich zusteht: Sex, klar, der eine zentrale | |
| Währung darstellt, durchaus nicht zuletzt zur Bestätigung des eigenen | |
| Wertes. Aber mindestens so sehr geht es da auch grundsätzlicher um | |
| angeblich urwüchsige Rollenverteilungen, denen jeder | |
| Gleichberechtigungsgedanke, aber auch alle Ideen einer anderen, sanfteren | |
| Männlichkeit fremd zu bleiben haben. | |
| Umso verlockender ist da die – verklärende – Rückbesinnung auf ein Frühe… | |
| eine Zeit vor dem feministischen Sündenfall, als die Frau noch wusste, wo | |
| ihr Platz war. Diese Dimension macht sie dann auch politisch brisant, die | |
| unfreiwillig Ungeküssten, die Möchtegern-Alpha-Kundschaft der | |
| „Aufreißkünstler“ und überhaupt alle Männer mit „gekränktem Anspruch… | |
| es der Soziologe und Männlichkeitsforscher Michael Kimmel nennt. | |
| Politiker wie der ehemalige US-Präsident Donald Trump, sein brasilianisches | |
| Pendant Jair Bolsonaro oder der AfD-Funktionär Björn Höcke hätten aus | |
| diesem gekränkten Anspruch „ein politisches Programm der männlichen | |
| Souveränität geformt“, schreibt Susanne Kaiser, Schröders Mitdiskutantin | |
| heute Abend. In ihrem Buch [7][„Politische Männlichkeit“] (Suhrkamp 2020) | |
| geht die Berliner Journalistin der Frage nach, „wie Incels, | |
| Fundamentalisten und Autoritäre für das Patriarchat mobilmachen“. Diese | |
| „massive reaktionäre Bewegung“, [8][hat Kaiser der taz gesagt], sei „das | |
| deutlichste Zeichen für die Erosion des Patriarchats: Früher waren weiße | |
| Männer die Norm, da musste man gar nicht drüber sprechen.“ | |
| Auch das klingt arg nach dem, was auch Anhänger*innen einer angeblichen | |
| weißen Überlegenheit umtreibt: Auch diese lange hegemonial Erscheinenden | |
| reagieren ja teils bemerkenswert aggressiv auf jede Infragestellung. Und in | |
| den Foren und Chaträumen hat das [9][längst zusammen gefunden], da bilden | |
| der Anspruch auf weiße Dominanz und der auf Anerkennung dafür, männlich zu | |
| sein, zuverlässig Bündnisse. | |
| Die Jungen Liberalen in Niedersachsen haben zu Jahresanfang ein | |
| [10][„Grundlagenprogramm zum Liberalen Feminismus“] erarbeitet. Darin | |
| tauchen zwar keine Incels auf, aber es gibt einen Abschnitt zu „Sexismus im | |
| Internet“. Es sei wichtig, heißt es da, „das Internet als Raum der freien | |
| Meinungsäußerung und Informationsbeschaffung zu erhalten und gleichzeitig | |
| einen respektvollen, das Persönlichkeitsrecht wahrenden Umgang miteinander | |
| zu gewährleisten“ – der zentrale Konflikt in diesem Zusammenhang. | |
| Ob die FDP-Politikerin Schröder Kaisers theoretische Einbettung der | |
| „Politischen Männlichkeit“ in eine Kritik des Patriarchats mitträgt? Ob s… | |
| anerkennen mag, dass in den Köpfen der gefühlten Versager auch ein | |
| verabsolutierter Glaube an den Wettbewerb am Werk ist, der naturgemäß nur | |
| wenige Gewinner produziert und umso mehr Verlierer? Es könnte spannend | |
| werden. | |
| 24 May 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Tatort/!t5007719 | |
| [2] https://www.daserste.de/unterhaltung/krimi/tatort/sendung/borowski-und-die-… | |
| [3] https://www.riaschroeder.de/home | |
| [4] https://shop.freiheit.org/#!/Veranstaltung/TJ8TT | |
| [5] /Antifeministische-Online-Community/!5499524 | |
| [6] /Attentaeter-von-Halle/!5629072 | |
| [7] https://www.suhrkamp.de/buch/susanne-kaiser-politische-maennlichkeit-t-9783… | |
| [8] /Autorin-ueber-Mobilmachung-im-Patriarchat/!5737243 | |
| [9] /Game-Expertin-ueber-die-Spiele-der-Nazis/!5763526 | |
| [10] https://julis-nds.de/grundlagenprogramm-liberaler-feminismus/ | |
| ## AUTOREN | |
| Alexander Diehl | |
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