# taz.de -- Ex-Obdachlose über Leben auf der Straße: „Ohne Wohnung zu sein … | |
> Caroline M. berät Obdachlose in Berlin, sie war selbst eine von ihnen. | |
> Ein Gespräch darüber, was es heißt, als Frau keine feste Bleibe zu haben. | |
Bild: Caroline M., fotografiert am Bahnhof Lichtenberg in Berlin | |
Ein Mittwochvormittag vor dem Bahnhof Lichtenberg im Osten Berlins. Die | |
Temperatur liegt knapp über null. In Arbeitskleidung, den orangenen | |
Rucksack geschultert, kommt Caroline M. zum Gesprächstermin. Sie wird | |
begleitet von ihrer Schwester Ute M. Die beiden waren selbst eine Zeit lang | |
wohnungslos, inzwischen arbeiten sie als Obdachlosenlotsinnen für den | |
gemeinnützigen Träger Karuna, sie helfen anderen Menschen auf der Straße. | |
Sie grüßen die Männer, die mit Flasche in der Hand am Bahnhofseingang | |
stehen. Laute Musik schallt aus einer Box. Auf einer Bank erzählt Caroline | |
M. ihre Geschichte. | |
taz am wochenende: Frau M., kann man sich an Kälte gewöhnen? | |
Caroline M.: Wenn man nirgendwohin kann, geht es nicht anders. Als wir auf | |
der Straße waren, sind wir oft in Cafés und Shoppingmalls. Die haben ja | |
gerade zu, die Obdachlosen gehen im Moment eher in Tagesstätten. Wir sind | |
manchmal auch S-Bahn gefahren, um nicht draußen zu sein. Nachts waren wir | |
immer in Notunterkünften. | |
Auf der Straße zu leben kostet sicher viel Kraft. | |
Wir waren todmüde. Wenn man obdachlos ist, kann man sich nie zurückziehen, | |
man hat keinerlei Privatsphäre. Es gibt keine Pause und kein Wochenende. | |
Jeden Tag muss man schauen, wo man bleibt. Und im Winter sitzt einem die | |
Kälte in den Knochen. Das ist körperlich total anstrengend. | |
Es soll in diesem Winter in Deutschland schon über 20 Kältetote gegeben | |
haben. | |
Das ist schlimm. Wir haben bei Karuna auch einen Bus, um Leute | |
einzusammeln. Aber manche wollen einfach nicht in die Notunterkunft. Man | |
kann sie nicht zwingen. | |
Wenn Sie jetzt zur Arbeit gehen, ziehen Sie sich warm an? | |
Ich habe heute eine Leggings drunter, eine zweite Jacke. Und einen | |
Pullover. Ist vielleicht ein bisschen übertrieben, aber besser, als zu | |
frieren. | |
Sie und Ihre Schwester machen bei einem Beschäftigungsprogramm des Senats | |
mit. Sie sind seit September als Obdachlosenlotsinnen in der Stadt | |
unterwegs. Was genau ist Ihr Job? | |
Bis Dezember sind wir Streife gelaufen, vor allem in Berlin-Lichtenberg. | |
Das geht seit dem Lockdown nicht mehr. Auch wir müssen Kontakte reduzieren. | |
Jetzt sind wir in Bereitschaft. Wenn Bürger anrufen und uns bitten, nach | |
Obdachlosen zu schauen, dann fahren wir dort hin. Wir haben | |
Erste-Hilfe-Sachen im Rucksack, wir verteilen Masken, Flyer oder warme | |
Socken, wenn jemand sie braucht. | |
Erzählen Sie den Menschen, dass Sie selbst wohnungslos waren? | |
Wenn ich mit ihnen ins Gespräch komme, schon. Man trifft sich dann auf | |
einer anderen Ebene. Ich weiß ja, wie sich der- oder diejenige fühlt. | |
Manchmal tut es schon gut, wenn man sich nur mit den Leuten unterhält. | |
Hier in der Nähe gibt es ein Abbruchhaus, da wohnen Obdachlose. Vor dem | |
Lockdown haben wir sie besucht, haben Kaffee mitgebracht und nach ihnen | |
gesehen. Eine Klientin ist dort auf den Betonboden gestürzt und hat sich | |
die Hüfte verletzt. Wir haben den Rettungswagen geholt, aber sie wollte | |
nicht mit. Sie sitzt immer noch im Rollstuhl, kann nicht laufen. So ein | |
Besuch geht aber gerade nicht, wegen Corona. | |
Welche Folgen hat die Pandemie für die Obdachlosen? | |
Es haben in Berlin einige Tagesstätten aufgemacht, die es vorher nicht gab, | |
damit sich die Leute dort aufhalten können und nicht als Gruppen draußen | |
rumstehen. Im Hofbräuhaus am Alexanderplatz ist jetzt ein Tagestreff. Das | |
ist ganz schön da. Es haben auch mehr Notunterkünfte geöffnet. | |
Das klingt, als habe Corona für Obdachlose sogar Vorteile. | |
In Berlin ist das zum Teil schon so. Aber wirklich geschützt sind die | |
Obdachlosen vor Corona nicht. Ich selbst war im Frühjahr in einer | |
Notunterkunft, da haben sie die Bettenzahl halbiert. Wir waren trotzdem zu | |
zweit in einem Zimmer. | |
Die Sozialsenatorin Breitenbach schlägt vor, Obdachlose in Notunterkünften | |
frühzeitig impfen zu lassen. | |
Das kann man versuchen, aber es ist gut möglich, dass viele das nicht | |
wollen. | |
Haben die Leute keine Angst vor Ansteckungen? | |
Viele machen sich gar keinen Kopf, die haben andere Sorgen. In einer | |
Notunterkunft kam ich zum Abendessen, da sehe ich, wie eine Dame isst. | |
Sie hat sich mit demselben Löffel, den sie vorher in den Mund gesteckt hat, | |
aus der Schüssel nachgenommen. Ich habe sie angesprochen, dass das nicht | |
geht wegen dem Virus, aber der war das egal. | |
Sie haben einen süddeutschen Akzent. Wo kommen Sie ursprünglich her? | |
Aus Münchberg in Oberfranken, das ist zwischen Hof und Bayreuth. Meine | |
Eltern hatten dort eine Obst- und Gemüsegroßhandlung. Wir waren fünf | |
Geschwister und hatten eine schöne Kindheit, in einem großen Haus. | |
Haben Sie einen Schulabschluss gemacht? | |
Natürlich, einen Hauptschulabschluss, danach eine Lehre zur | |
Bekleidungsschneiderin. Ich habe in der Firma auch lange gearbeitet. Aber | |
nicht als Schneiderin. Ich war für die Schnitte zuständig. | |
Wieso sind Sie weggegangen? | |
Bei uns war früher Textil ganz groß, aber die Fabriken wurden alle ins | |
Ausland verlagert. Jobmäßig gab es keine Perspektive. Mein Vater ist schon | |
lange tot. Dann ist meine Mama verstorben, zu ihr hatte ich ein gutes | |
Verhältnis. 2014 habe ich meine Sachen gepackt und bin nach Berlin, da war | |
ich 39. Von Bayern aus habe ich mir vorher über Ebay ein Zimmer zur | |
Untermiete gesucht, in Biesdorf im Osten. Als ich ankam, musste ich | |
feststellen: Der Typ wollte alles, nur keine Untermieterin. | |
Er wollte Sex? | |
Ja, natürlich. Da war ich eine Weile, aber da konnte ich nicht bleiben. | |
Eine Zeit lang habe ich bei einer Bekannten gewohnt. 2015 ist auch meine | |
Schwester mit ihrem Mann nach Berlin gekommen, zur Untermiete bei jemandem. | |
Dann gab es da auch Probleme. Ende 2015 landeten wir zu dritt auf der | |
Straße. | |
Die Schwester mischt sich ein. | |
Ute M.: Es geht so schnell, dass man auf der Straße landet, das glaubt man | |
gar nicht. | |
Caroline M.: In der ersten Nacht auf der Straße haben wir uns in die | |
Ringbahn gesetzt. Es war spät, wir waren total kaputt und sind alle drei | |
eingeschlafen. Als wir aufwachten, waren die Koffer weg. Mit der Ute ihrem | |
Ausweis. Wir haben alles verloren, was wir hatten. So sind wir in die | |
Obdachlosigkeit eingestiegen. | |
Wann war das? | |
Im Winter 2016. Wir haben ungefähr ein Jahr zu dritt auf der Straße gelebt. | |
Wir waren immer zusammen, haben uns nie getrennt. Alleine auf der Straße, | |
das ist gefährlich in Berlin. Deshalb haben die Leute oft so große Hunde | |
oder sind in Gruppen. Selbst zu dritt sind wir beleidigt worden, wir wurden | |
in der Notunterkunft beklaut. Man muss mit dem Geld oder dem Handy in der | |
Tasche schlafen, sonst ist es am anderen Tag nicht mehr da. | |
Wovon haben Sie gelebt? | |
Ich habe Hartz IV bekommen. Wenn man auf der Straße lebt, braucht man viel | |
mehr Geld, als wenn man eine Wohnung hat. Das klingt blöd, aber ist | |
wirklich so. Wenn man sich irgendwo hinsetzt, muss man was bestellen. Man | |
kann nichts kochen, sondern muss immer was kaufen. Obdachlos zu sein ist | |
teuer. Manchmal habe ich kleinere Jobs gemacht, habe Flyer verteilt oder | |
geputzt. Zusammen haben wir auch als Probanden Studien mitgemacht an der | |
Uni, so psychologische Tests. | |
Und, haben Sie was über sich erfahren? | |
Nö. Aber das war gut bezahlt, 20 bis 40 Euro. In der Notunterkunft kann man | |
morgens und abends essen. Geduscht haben wir dort auch. | |
Sie wendet sich an ihre Schwester. | |
Haben wir ausgeschaut wie Obdachlose? | |
Ute M.: Nee. | |
Caroline M.: Ich denke auch nicht. Man bekommt in Berlin immer was zu essen | |
und Kleidung, man kann sich waschen. Und trotzdem gibt es so viele, die | |
dreckig sind und nicht gut riechen. Die haben sich aufgegeben. Und das vor | |
langer Zeit. Bis man so riecht, das dauert. So war das bei uns nicht. Und | |
wissen Sie, viele Obdachlose reisen ja mit Taschen und schwerem Gepäck. Wir | |
haben nur das besessen, was wir wirklich brauchten. Klamotten, | |
Taschentücher, Schminke, einen Kamm, Deo, mehr hatten wir nicht. | |
Was haben Freunde oder die Familie in Bayern dazu gesagt, dass Sie auf der | |
Straße lebten? | |
Freunde in Bayern hatte ich nicht mehr. Die Familie hat gesagt: Kommt | |
wieder heim. | |
Aber das wollten Sie nicht? | |
Nein. | |
Warum? | |
Weil ich Berlin liebe. Das Leben hier ist so ganz anders als bei uns. Bei | |
uns ist alles eng, kleinbürgerlich, spießig. In Berlin kann man sein, wie | |
man will. Die Menschen sind hier viel toleranter. | |
Sie waren lieber wohnungslos, als zurückzugehen? | |
Ja. Ich würde nie mehr zurückgehen. | |
Caroline M. dreht sich eine Zigarette, Raucherpause. Eine junge Frau mit | |
Hund kommt vorbei, die Schwestern kennen sie. Bis vor Kurzem hat ein Mann | |
unter der Bahnhofsbrücke geschlafen, die junge Frau hat ihm geholfen, in | |
ein Wohnheim zu kommen, und kümmert sich jetzt um seinen Hund. Sie erzählt | |
von der Entlausung. Dem Hund gehe es besser, dem Mann auch, er trinke viel | |
weniger. Nach einer Zigarette verabschiedet sie sich. | |
Viele Obdachlose sind alkoholkrank oder nehmen Drogen. Wie war das bei | |
Ihnen? | |
Damit hatten wir nichts zu tun. Wir waren auch nicht mit anderen Gruppen | |
zusammen. | |
Sie haben andere Wohnungslose gemieden? | |
Wir haben uns nicht zu ihnen gesetzt. Natürlich kannten wir Leute aus den | |
Notunterkünften. In der Storkower gab es eine Frau, die war sogar | |
schwanger. Die hat immer am Alex gebettelt, die haben wir gegrüßt, wenn wir | |
sie dort gesehen haben. Aber viel mehr Kontakte hatten wir nicht. | |
Haben Sie selbst gebettelt? | |
Wir haben es ein Mal probiert, am Rathaus Neukölln mit einem Becher. Das | |
war so schlimm. Total beschämend. Die Leute sind nur an uns vorbei. Nach | |
einer Stunde haben wir aufgehört, 30 Cent haben wir eingenommen. Manche | |
können das ja sehr gut. Vielleicht waren wir zu sauber gekleidet. Das haben | |
wir nie mehr gemacht. | |
Viele Leute machen einen Bogen um Obdachlose. | |
Ja, Tunnelblick geradeaus. Die meisten wollen mit solchen Menschen nichts | |
zu tun haben. Neulich in der S-Bahn am Zoo kam die Sicherheit. Hinter mir | |
saß ein Mann, der hat geschlafen. Sie haben ihn geweckt und rausgeschickt, | |
er sollte auch den Bahnhof verlassen. Sie hatten einen Anruf bekommen, eine | |
Person im Zug rieche übel. Ich kann schon verstehen, dass es unangenehm | |
ist, wenn jemand riecht. Aber wo sollte er denn hin? | |
Vor einem Jahr hat die Senatsverwaltung in einer Januarnacht die | |
Obdachlosen in Berlin versucht zu zählen, viele Teams waren unterwegs. Sie | |
kamen auf knapp 2.000. | |
Wie wir die Zahl gehört haben, haben wir gleich gedacht, das kann nicht | |
passen. Es sind in Wirklichkeit viel mehr. Vielleicht haben sie sich | |
versteckt. Es gibt ja mehr Osteuropäer als früher in Berlin. Die verstehen | |
die Sprache nicht und haben vielleicht Angst, was man von ihnen will. | |
Gibt es unter den Menschen auf der Straße eine Hierarchie? | |
Schon. Wir sind manchmal zum Essen zur Bahnhofsmission am Zoo. Da sind | |
viele Polen. Einer von ihnen ist so groß und kräftig, vor dem haben alle | |
Angst. | |
Es zählt die körperliche Überlegenheit? | |
So ist es. Je stärker, desto mächtiger. Ganz primitiv. | |
Die Schwester beugt sich herüber. | |
Ute M.: Als mein Mann noch bei uns war, hat uns niemand was getan. Aber als | |
er weg war, waren wir Freiwild für die. | |
Ihr Mann war weg? | |
Ute M.: Die Familie meines Mannes kommt aus Rumänien. Er musste eine Zeit | |
lang dort hin. Caro und ich blieben zusammen in Berlin. Solange mein | |
Freund noch dabei war, war alles okay. | |
Caroline M.: Mein Schwager ist sehr stark, ein richtiger Bulle. Da hat sich | |
niemand an uns rangetraut. Aber wie der weg war, ist uns das passiert. Mit | |
Leuten, die wir schon kannten. Da war ich naiv und blauäugig, aber wer | |
denkt von vornherein an so was. | |
Es kam zu Übergriffen? | |
Ute M.: Genau, mit K.-o.-Tropfen und lauter so Zeug. | |
Caroline M.: Da gab es jemanden, der hatte eine Wohnung, er hielt sich aber | |
im Tagestreff für Wohnungslose auf. Er hat uns abends zum Essen | |
eingeladen. Das war ganz schlimm, da möchte ich gar nicht drauf eingehen. | |
Heute würde ich nie mehr zu jemandem, wo ich nicht ganz genau weiß. Ich | |
würde nie mehr was entgegennehmen, was ich nicht selber aufgemacht habe. | |
Es gibt heute mehr obdachlose Frauen als früher. | |
Ute M.: Selbst als Mann ist es schwer auf der Straße, als Frau schon | |
zehnmal. Mein Mann kam zurück und hat dann bald zu arbeiten angefangen, wir | |
haben auch eine Wohnung gefunden, eine schöne Wohnung, das war ein großes | |
Glück. | |
Caroline M.: Ich habe ein paar Monate bei meiner Schwester und meinem | |
Schwager in der Küche übernachtet. Aber das geht auf Dauer auch nicht. Ich | |
war in Notunterkünften für Frauen. Ich habe auch Männer kennengelernt, bei | |
denen ich auf der Couch übernachten konnte. Aber das ging irgendwann nicht | |
mehr. | |
Dann passiert es wahrscheinlich, dass man nur mit jemandem zusammen ist, | |
weil man dort schlafen kann, oder? | |
Das hat es auch gegeben. Manche Typen haben einen schon gequält. | |
Hat die Zeit auf der Straße Ihr Menschenbild verändert? | |
Auf jeden Fall. Ich bin vorsichtiger geworden. Wenn man keine Wohnung mehr | |
hat, ist man ganz unten. Eigentlich würde man denken, dass es zwischen den | |
Leuten auf der Straße irgendwie einen Zusammenhalt gibt. Den gibt es aber | |
nur ganz selten. Die Obdachlosen besitzen fast nichts und beklauen sich | |
trotzdem untereinander. | |
Wie sind Sie von der Straße weggekommen? | |
Sie glauben nicht, wie viele Wohnungen ich mir angeschaut habe, bestimmt | |
über 100. Es heißt ja immer, dass die Vermieter es gut finden, wenn das | |
Geld vom Jobcenter kommt, weil es dann sicher ist. Im Gegenteil: Wenn die | |
gehört haben, Hartz IV, dann haben die abgelehnt. Ab Oktober 2018 war ich | |
in einem Hotel in Friedrichshain. Ein Zimmer, 15 Quadratmeter, mit Dusche | |
und Toilette. Das hat das Amt bezahlt. Dann habe ich beim Arbeitsamt von | |
dem Job als Obdachlosenlotsin gehört. Ich wollte eigentlich im Juni 2020 | |
anfangen. Aber das ging nicht. | |
Wieso nicht? | |
Das Hotelzimmer kostete pro Tag 35 Euro. Das sind im Monat rund 1.100 Euro. | |
Wenn ich gearbeitet hätte, hätte ich die Miete selbst zahlen müssen. Dann | |
hätte ich weniger Geld gehabt als mit Hartz IV. Ich konnte da also nicht | |
bleiben. Als ich angefangen habe zu arbeiten, war ich in einer | |
Notunterkunft. Meistens ist es ja so: Man braucht einen Job, um eine | |
Wohnung zu finden. Und eine Wohnung, um einen Job zu finden. Aus der | |
Spirale kommt man kaum raus. | |
Sie haben es geschafft. | |
Aber es war schwierig. Und ich bin sehr dankbar, dass ich diese Chance | |
bekommen habe. Seit ich das Arbeiten angefangen habe, hat sich alles zum | |
Guten gewendet. Ich habe inzwischen auch eine Wohnung, allerdings | |
befristet. | |
Jetzt beraten Sie andere Menschen auf der Straße. | |
Wir wären froh gewesen, wenn uns jemand gesagt hätte, wo was ist. Wir | |
versuchen wirklich zu helfen. Wie viel Elend wir sehen, Läuse, Krätze, das | |
tut in der Seele weh. Manche wollen trotzdem keine Hilfen. Sie sind | |
aggressiv und fauchen uns gleich an. Mir geht das nach. Ich kann oft auch | |
nach Feierabend nicht abschalten, das hab ich noch nicht im Griff. | |
Jetzt verdienen Sie so, dass Sie gut davon leben können? | |
Ich bekomme 1.590 Euro, die Steuern sind da schon abgezogen. Ich zahle auch | |
Kirchensteuer. Wenn ich einkaufen gehe, rechne ich aus Gewohnheit, wie | |
teuer es wird. Dabei muss ich eigentlich nicht mehr auf jeden Euro gucken. | |
Das EU-Parlament hat kürzlich eine Resolution verabschiedet: Bis 2030 soll | |
die Obdachlosigkeit in der EU abgeschafft sein. Was halten Sie davon? | |
Ein schönes Ziel. Aber ich glaube nicht, dass es umsetzbar ist. Es gibt | |
viele Obdachlose, die wollen so leben. Eine Wohnung ist für sie auch eine | |
Verpflichtung. Die wollen draußen übernachten und vogelfrei sein. | |
Wie geht es bei Ihnen weiter? | |
Am 1. Mai muss ich raus aus meiner Wohnung. Ich muss bald wieder anfangen | |
mit der Suche. Jetzt kann ich die Gehaltsabrechnungen vorweisen, dann | |
klappt es hoffentlich besser. Ich hoffe, dass ich eine Wohnung finde nicht | |
zu weit weg von meiner Schwester, wo ich endlich ankommen kann. Wo ich zu | |
Hause bin. | |
27 Feb 2021 | |
## AUTOREN | |
Antje Lang-Lendorff | |
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Elke Breitenbach | |
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