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# taz.de -- Dyke* March Berlin am 23. Juli: „Unabhängig, billig, flexibel“
> Die Demo für lesbische Sichtbarkeit zieht zum 9. Mal durch Berlin. Alle,
> die Lesben gut finden, sind willkommen, sagt Mitorganisatorin Manuela
> Kay.
Bild: Für lesbische Sichtbarkeit auf die Straße: beim Dyke* March Berlin im J…
taz: Manuela, wir kennen uns schon lange und duzen uns. An den ersten
[1][Dyke* March] hier in Berlin im Jahr 2013 erinnere ich mich noch gut,
damals waren wir Kollegen, es ging vom Frankfurter Tor zum Kottbuser Tor,
zur Party im Südblock.
Manuela Kay: Wir sind jahrelang zum [2][Südblock] gelaufen, von
unterschiedlichen Startpunkten aus. Aber wir können derzeit leider weder
dem Südblock noch einer anderen Location zumuten, mit 5.000 Lesben vorm
Tresen zu stehen.
Wie lief die Demo eigentlich letztens Jahr, unter Coronabedingungen?
Überraschend gut, wir waren so rund 4.000 Leute, damit hatte ich nicht
gerechnet. Es gab ein strenges Hygienekonzept, da haben sich auch alle dran
gehalten. Wir sind zum Brandenburger Tor gelaufen. Das war’s, es gab keine
große Abschlussveranstaltung, weil es Menschenansammlungen zu vermeiden
galt. Dieses Jahr ist der Mariannenplatz der Endpunkt.
Und Startpunkt das Brandenburger Tor …
… genau. Und wer will: Es gibt tatsächlich eine Party, organisiert von Sara
Moshiri im Rahmen des Queer Garten im Festsaal Kreuzberg Biergarten – da
gibt es den Dyke* Garten im Anschluss an den Dyke* March. Da können nicht
alle Demoteilnehmerinnen hin, aber ein paar Hundert passen rein. Es ist
eine Open-Air-Tanzveranstaltung, darauf freue ich mich sehr.
Eine Demo kostet Geld. Bislang haben l-mag und [3][der Verlag Special Media
SDL], in dem das lesbische Magazin erscheint, die Kosten getragen. Immer
noch?
Nein, weil es im letzten Jahr dem Verlag coronabedingt nicht so dolle ging,
haben wir gesagt, dass das anders gehen muss. So kam es zum Spendenaufruf.
Und der war sensationell erfolgreich. Wir wollten aber auch nur 1.000 Euro,
weil wir gar nicht mehr brauchten. Und dieses Mal brauchten wir nur 500
Euro für den Lautsprecherwagen – und das Geld war in fünf Tagen zusammen.
Die Spendenbereitschaft und Solidarität da draußen gegenüber dem Dyke*
March freut einen sehr.
So wenig Geld braucht es?
Ja, so eine Demo kostet gar nicht so viel. Auch wenn die großen CSDs immer
etwas anderes erzählen … Man braucht nicht immer so große Bühnenaufbauten.
Weltstars treten bei uns eh nicht auf. Und abgehalfterte Schlagerstars zu
sehen und mit deren Auftritt die Sponsoren und ihre Gelder zu begründen,
das finde ich nicht logisch.
Die Ordnerinnen sind ehrenamtlich dabei?
Alles ehrenamtlich. Ordnerinnen sind es so um die 30. Im Kern-Orgateam sind
wir diesmal mit mir zu dritt, und für bestimmte Teilbereiche haben wir uns
drei bis vier Unterstützerinnen dazu geholt, die sich konkret um Dykes on
Bikes (lesbische Bikerinnen; fahren traditionell an der Spitze von
Pride-Paraden und Dyke* March; Anm. d. Red.), um Ordnerinnen, um Social
Media etc. kümmern.
Habt ihr eigentlich dieses Jahr ein extra Motto? Ich konnte keins auf der
Homepage finden. Klar, es geht um Sichtbarkeit …
Wir haben nie ein extra Motto. Wir wollten den Dyke* March in Berlin von
Anfang an ganz eng am amerikanischen Vorbild halten. Das heißt: keine
Reden, egal von wem, keine politischen Parteien, keine Sponsoren, keine
großen Trucks –
– also das genaue Gegenteil von einem [4][CSD der herkömmlichen Art].
Ja. Denn damit hältst du es unabhängig, billig, beweglich und flexibel. Wir
haben nur eine Botschaft: lesbische Sichtbarkeit. Deshalb heißt es immer
„Für lesbische Sichtbarkeit und Lebensfreude!“ Diese Lebensfreude bezieht
sich darauf, dass wir unsere politischen Forderungen natürlich jeden Tag
irgendwie leben und dafür kämpfen müssen. Und am Dyke* March holen wir uns
die Power und Energie dafür. Letztes Mal haben wir ein neues Banner
gemacht: „Wir sind ein Haushalt“, um uns auf die Coronalage zu beziehen und
diese engen Vorstellungen von einem Haushalt aufzusprengen und zu sagen,
dass wir alle zusammengehören. Das ist aber auch kein Motto, sondern ein
Statement.
Also kein Motto – aber politische Forderungen!?
Die Forderungen müssen die Teilnehmenden selber auf ihre Schilder
schreiben. Den Dyke* March muss man ein bisschen selber machen.
Zum zehnjährigen Jubiläum von l-mag haben du und deine Mitstreiterinnen den
Dyke* March 2013 nach Berlin geholt.
Party machen ja alle zu einem Jubiläum. So kam die Idee auf, einen Dyke*
March zu organisieren. Ich bin ja immer schon sehr Nordamerika-affin, ich
hab mir viel von der dortigen LGBTI-Bewegung abgeguckt, da kann man viel
lernen – okay, vieles ist auch gruselig. Mein erster Dyke* March war 1994
in New York, das hatte mich so sensationell empowert, wie man modern sagt.
Damals sagte man geflasht.
Genau! Dann war ich in San Francisco beim Dyke* March und fragte mich,
warum es so etwas eigentlich nicht in Europa gibt. Und dann kam die Idee,
zum Jubiläum das zu machen, wofür unser Magazin steht: lesbische
Sichtbarkeit. Das hat super gut eingeschlagen. Nach dem Folgejahr gab es
die ersten Dyke* Marches auch in Hamburg und Köln und daraus wurde ein
Schneeballeffekt, es gibt mittlerweile rund 15 Dyke* Marches in
Deutschland. Darauf sind wir natürlich stolz, dass wir zur richtigen Zeit
den richtigen Funken entzündet haben.
Siehst du einen gesellschaftlichen Fortschritt, Stichwort lesbische
Sichtbarkeit, wenn du die Zeit von 2013 bis heute betrachtest?
Na ja, lesbische Sichtbarkeit klingt nicht so sexy, ehrlich gesagt. Das ist
ja eher eine Grundforderung. Sie ist aber leider notwendig, weil Lesben
immer noch die unbekannten, mysteriösen Wesen sind. Und leider zwischen
queer und nichtbinär und allen möglichen Kategorien, die als Erweiterung
von schwul-lesbisch toll sind – aber halt keine wirkliche Erweiterung, weil
so ein Verschwinden von Lesben stattfindet. Da muss man dagegen halten. Na
ja, ich kann das mit der Sichtbarkeit auch schon nicht mehr hören. Man kann
das anderen auch so schwer erklären. Wie, du sitzt doch vor mir, du bist
doch nicht unsichtbar! Aber die gesellschaftliche Repräsentanz verschwindet
immer mehr.
Und die Schwulen?
Schwule haben es geschafft, sichtbar zu sein und zu bleiben.
Trans*Menschen schaffen es glücklicherweise immer mehr, sichtbar zu
werden, das finde ich toll. Nichtbinäre kommen jetzt ins Bild, das ist auch
gut. Aber Lesben verschwinden – und das finde ich nicht gut. Darum gibt es
den Dyke* March, der auch zeigen soll, dass nicht nur Lesben für Lesben auf
die Straße gehen, weil ja auch alle anderen für und mit uns auf die Straße
gehen können.
Jeder darf mitlaufen?
Alle. Alle, die Lesben gut finden, sind willkommen.
Eine Frage nach den Begrifflichkeiten von wegen queer versus schwul etc.,
wie ist das bei dir?
Ich hab mich schon seit den 1990ern, seit ich in den USA dieses Wort
gelernt habe, als queer bezeichnet, weil ich es cool fand. Jetzt bezeichne
ich mich wieder als lesbisch, weil ich es politisch wichtig finde. Also ich
bin lesbisch, queer, ich bin Butch … meine Güte, man muss das alles auch
nicht so super ernst nehmen.
Die ganze Diskussion ist so akademisch verbrämt.
Ja. Aber mit akademischem Theorien hat mein Leben nur bedingt zu tun. Und
das vieler anderer auch. Diese internen Streitigkeiten finde ich
unerträglich. Klar, wir stecken da immer wieder mittendrin, und wenn du in
einem queeren Verlag Magazine (neben l-mag auch das [5][queere Berliner
Stadtmagazin Siegessäule]; Anm. d. Red.) machst, ist das dein täglich Brot.
Aber die Territorialkämpfe sind mir echt fremd. Ich weiß durch meine
langjährige Zusammenarbeit mit Schwulen, dass das anders geht. Klar muss
man sich manchmal gegenseitig den Kopf waschen, und auch – ja, sagen wir
mal: klare Kante zeigen. Aber sich gegenseitig ständig zu bekriegen und zu
beschimpfen! Lesben gegen Trans*Menschen, Queere gegen Bisexuelle oder
Nichtbinäre gegen Intersexuelle – das beschädigt uns nur. Das ist politisch
total falsch und schädlich und spielt denen in die Hände, die unsere
wirklichen Feinde sind. Deshalb bin ich nicht dafür zu haben, deshalb ist
der Dyke* March auch nicht dafür zu haben.
Zersplitterung mindert die Schlagkraft.
Es mindert die Schlagkraft. Aber es ist manchmal eben auch schwierig. Ich
war auf CSDs, wo ich bei Trucks von Mercedes Benz und Ryanair auch nicht
mehr dabei sein wollte. Das ist nicht meins. Da finde ich mich überhaupt
nicht wieder. Dennoch, und das ist wichtig zu sagen: Der Dyke* March ist
keine Konkurrenz zu irgendeinem CSD. Es ist ein Ausrufezeichen hinter Gay
Pride. Wir sortieren uns nirgendwo dazu und sind auch nicht das lesbische
Feigenblatt eines männlich dominierten CSD. Wir sind unsere eigene
Veranstaltung. Wir zeigen aber durchaus unsere Sympathie für jeden CSD, der
stattfindet.
Was ganz anderes zum Schluss: Berlin wählt im September ein neues
Abgeordnetenhaus. Welche Regierende oder Regierenden Bürgermeister:in
würdest du dir wünschen?
Hach (lacht).
Eine Kollegin und ich haben das letztens diskutiert und fänden Klaus
Lederer ganz gut …
Also ich könnte mit Franziska Giffey leben, weil ich sie tatsächlich für
sehr feministisch halte, und das finde ich gut. Ich könnte auch sehr gut
mit Klaus Lederer als Bürgermeister leben, weil ich den für integer halte.
Die Grünen sind mir ehrlich gesagt mittlerweile zu spießig geworden. Aber
ich könnte auch mit Frau Jarasch – nur kenne ich sie überhaupt nicht, das
ist ihr Problem. Aber das alles ist losgelöst von den Parteien, wenn du
mich jetzt nach Personen fragst.
Eine kurze Bilanz von Rot-Rot-Grün, jetzt, wo die Legislaturperiode bald zu
Ende geht, die sich ja die Unterstützung von queeren Projekten auf die
Fahnen geschrieben hatten?
Da hat sich tatsächlich viel getan, dass muss ich wirklich sagen. Ich
finde, dass Berlin da durchaus eine Vorreiterstellung hat. Dirk Behrendt
(der Justizsenator; Anm. d. Red.) hat da sehr viel getan. Und ich sag mal,
dass sich Michael Müller nicht gewehrt hat, mehr hat er aber nicht getan
(lacht).
Ein gutes Zeugnis also?
Relativ, ja. Wobei ich finde, dass unsere momentanen Probleme in Berlin
nicht so sehr in der Förderung von schwul-lesbischen Projekten liegen,
sondern im Stoppen dieses Mietenwahnsinns. Denn wenn wir alle keine Wohnung
mehr haben, können wir auch keinen LGBTI-Aktivismus mehr machen. Das finde
ich das viel wichtigere Thema. Da ist politisch noch viel Luft nach oben.
22 Jul 2021
## LINKS
[1] https://dykemarchberlin.com/
[2] https://www.suedblock.org/wp/
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Special_Media_SDL
[4] https://csd-berlin.de/
[5] https://www.siegessaeule.de/
## AUTOREN
Andreas Hergeth
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