# taz.de -- Dokumentationszentrum Apabiz wird 30: Antifa ist Archivarbeit | |
> Das Berliner Apabiz dokumentiert seit 30 Jahren die extreme Rechte in | |
> Deutschland. Zum Geburtstag wünscht es sich finanzielle Unabhängigkeit. | |
Bild: Eine der umfassendsten Sammlungen über Rechtsextremismus in Deutschland:… | |
BERLIN taz | Wenn jemand den gesellschaftlichen Rechtsruck abseits von | |
Wahlergebnissen der AfD in Zahlen festmachen kann, dann ist es das | |
[1][Apabiz], das [2][antifaschistische Pressearchiv und Bildungszentrum | |
Berlin]. „Wir haben sehr viel mehr zu tun als früher“, sagt Ulli Jentsch, | |
der 1992 mit Ende zwanzig nach den Neonazi-Pogromen von | |
Rostock-Lichtenhagen angefangen hat, sich in der antifaschistischen | |
Sammlung zu engagieren und heute zwischen meterhohen Regalen an einem | |
abgewetzten Tisch sitzt. „Die extrem rechte Szene ist vor allem seit 2015 | |
viel aktivistischer und kampagnenfähiger geworden. Ihren Output heute in | |
der Gesamtheit zu erfassen ist unmöglich.“ | |
Seit 30 Jahren sammelt die archivarische Präsenzbibliothek alles, was mit | |
der extremen Rechten nach 1945 zu tun hat. In der Datenbank des Apabiz | |
befinden sich aktuell 72.697 Archivalien, darunter 51.839 Zeitschriften, | |
18.412 Buchtitel, 5.465 Flugblätter und 1.857 Aufkleber. Die 320 | |
Quadratmeter befinden sich in einer ehemaligen Fabriketage in den | |
Kreuzberger Gewerbehöfen an der Lausitzer Straße 10, wo viele linke | |
Projekte sitzen und eine Ausstellung über den Berliner Häuserkampf schon | |
das Treppenhaus säumt. | |
Im vierten Stock stehen im Apabiz dicht an dicht Regale voller Aktenbände | |
und Kartons – thematisch und chronologisch sortiert nach | |
Neonazi-Organisationen und rechten Publikationen, deren Embleme auf den | |
Pappdeckeln der Kartons kleben. 10 Mitarbeiter*innen arbeiten hier, | |
die meisten in Teilzeit, nicht alle Stellen sind finanziert. | |
In den Regalen finden sich etwa die ursprünglich von SS- und SA-Männern im | |
Nachkriegsdeutschland gegründete Zeitschrift [3][Nation und Europa], | |
Skinhead-Fanzines aus den Neunzigern, Flugblätter aus der | |
Kameradschaftsszene, Bücher und Zeitschriften der Neuen Rechten sowie | |
Jürgen Elsässers [4][extrem rechte Zeitschrift Compact]. Noch ganz neu | |
sieht der [5][Karton für den Demokratischen Widerstand] aus, der | |
verschwörungsideologischen Publikation der selbsternannten Querdenker. | |
Die Anfänge der Sammlung stammen aus den Achtzigern: Nachdem die | |
„Republikaner“ ins Berliner Abgeordnetenhaus eingezogen waren, gab es ein | |
breites Bündnis von Gewerkschaften über Jusos bis zu Autonomen, das begann, | |
systematisch Quellen aus der Rechten zu sammeln und zu lagern. Mit den | |
Baseballschlägerjahren der Neunziger sei die Notwendigkeit, Dinge zu | |
archivieren, noch relevanter geworden, sagt Jentsch, und man habe sich als | |
Projekt etabliert. | |
Selbst hier im Apabiz hat man nicht damit gerechnet, dass sich in | |
Deutschland noch einmal eine extrem rechte Partei dauerhaft in den | |
Parlamenten etablieren kann. Fragt man Jentsch, wie er sich die Zukunft der | |
extremen Rechten vor zehn Jahren vorgestellt hat, sagt er: „Vor 10 Jahren | |
ist der NSU aufgeflogen. Ich hatte damals die Hoffnung, dass sich | |
gesellschaftlich etwas zum Besseren wandelt und die Bedrohung durch rechten | |
Terror insbesondere nach den Verstrickungen der Sicherheitsbehörden etwas | |
ernster genommen wird.“ | |
Aber dann sei alles ganz anders gekommen: Statt eines gesellschaftlichen | |
Lerneffekts kam es ab 2015 zu großen Kampagnen gegen Geflüchtete, und | |
mittlerweile gibt es Vertreter der extremen Rechten in allen deutschen | |
Parlamenten. | |
## Auf fast allen rechten Demos präsent | |
Das Apabiz begleitet diese Entwicklungen eng. Mitarbeiter*innen | |
besuchen fast alle rechten Demos in Berlin, machen Fotos, schneiden Reden | |
mit. Jentschs jüngerer Kollege Kilian Behrens ist 32 Jahre alt und nach | |
einem Praktikum während seines Geschichtsstudiums im Apabiz geblieben. Er | |
arbeitet seit neun Jahren hier. Behrens sagt: „2015 konnten wir plötzlich | |
viermal die Woche zu sogenannten Bürger-Inis gegen Asylunterkünfte gehen | |
oder mussten uns um unsere Sicherheit Sorgen machen, wenn alkoholisierte | |
Hooligans in Marzahn demonstrierten.“ | |
Zwar sei es danach wieder etwas abgeebbt, aber im vergangenen Jahr sei mit | |
Corona die rechte Mobilisierungsfähigkeit komplett durch die Decke | |
gegangen. „III. Weg, Esos, AfD, auf den Demos gegen die | |
Corona-Schutzmaßnahmen war wirklich alles dabei. Wie soll man das komplett | |
analysiert bekommen?“, fragt Behrens. Eine Demonstration mit 130.000 | |
Teilnehmern könne man nicht monitoren, sagt auch Jentsch. | |
Sehr oft, wenn man die Orientierung verliere oder per Google-Suche nicht | |
weiterkomme, könne das Apabiz bei der Recherche zur extremen Rechten | |
helfen. Das Archiv ist eine Fundgrube für Forscher*innen, die sich mit der | |
extremen Rechten nach 1945 beschäftigen. An keinem Ort der Welt findet man | |
wohl eine derart große Fülle an Primärquellen zur extremen Rechten im | |
Nachkriegsdeutschland. | |
Wissenschaftler*innen werden hier ebenso fündig wie | |
Antifa-Recherche-Kollektive, Journalist*innen oder Privatpersonen, die | |
von lokalen Neonazis bedroht werden. Öffentlich zugänglich ist das Archiv | |
für alle bis auf Nazis, wie es hier heißt. Der gesellschaftliche | |
Machtgewinn der extremen Rechten macht die Arbeit des Apabiz so wichtig wie | |
noch nie. | |
Zur Existenzsicherung wünscht sich das Apabiz zum 30-jährigen Bestehen vor | |
allem neue Dauerspender*innen. „Wir brauchen Geld für eine Renovierung und | |
wollen nicht warten, bis es akut ist“, sagt Behrens. Im Winter sei es im | |
Archiv „bitterkalt“, weil häufig die Heizungen ausfielen, und im Sommer | |
herrschten häufig über 30 Grad und es sei sehr hell. | |
All dies sei für ein Archiv denkbar ungünstig. Die bisherigen Spenden | |
reichten zwar für den grundsätzlichen Bedarf: Strom, Miete, Arbeitsmaterial | |
und Heizkosten. Alles darüber hinaus sowie die Finanzierung der | |
Mitarbeiter*innen aber hinge von einzelnen Projektförderungen und der | |
Unterstützung durch das Landesprogramm für Demokratie und gegen | |
Rechtsextremismus ab – 2020 in Höhe von 230.000 Euro. | |
Damit sei man auch abhängig von politischen Konjunkturen. „Wir wollen | |
Sicherheit für den dauerhaften Erhalt und unabhängig werden von | |
Förderungen“, sagte Behrens – zumal es verstärkt AfD-Anfragen gebe, die d… | |
Landesprogramm und einzelne Projekte diskreditieren wollen. Auch deswegen | |
wünscht sich das Apabiz zum 30. Geburtstag mit 200 neuen | |
Unterstützer*innen mehr Unabhängigkeit. | |
## Immerhin: Die Sorge vor Verdrängung ist weg | |
Keine Sorgen immerhin muss sich das Apabiz aller Voraussicht nach um seine | |
Räume machen. Die [6][Lause, ein Fabrikkomplex mit mehreren Hinterhöfen], | |
in denen viele linke Projekte Platz haben, wurde vom Investor Taekker | |
mittlerweile mit Profit wieder ans Land zurückverkauft. Es seien wohl noch | |
ein paar Details zu klären, aber zumindest die Räume sind sicher, heißt es. | |
2 Nov 2021 | |
## LINKS | |
[1] http://www.apabiz.de | |
[2] /Rechte-Gewalt-in-Berlin-2018/!5615428 | |
[3] /Die-AfD-Fraktion-und-ihre-Mitarbeiter/!5550036 | |
[4] /Compact-Magazin-in-der-Krise/!5676890 | |
[5] /Verschwoerungsideologe-Anselm-Lenz/!5760168 | |
[6] /Kauf-der-Lause-10/11-in-Kreuzberg/!5685034 | |
## AUTOREN | |
Gareth Joswig | |
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