# taz.de -- Neonazi-Aufmarsch in Remagen: Demo gegen „Heldengedenken“ | |
> Am Samstag erinnerten Neonazis in Remagen mit einem Trauermarsch an das | |
> Rheinwiesenlager. Ein breites Bündnis stellte sich ihnen entgegen. | |
Bild: Gegendemo in Remagen im November 2020 | |
Remagen taz | Seit 14 Jahren inszenieren Rechtsradikale im Trauermonat | |
November in Remagen im nördlichen Rheinland-Pfalz ein sogenanntes | |
„Zentrales Heldengedenken“. Die „Helden“ sind dabei deutsche | |
Kriegsgefangene, die in den Gefangenenlagern der Alliierten, den | |
Rheinwiesenlagern, ums Leben kamen. | |
Dieses Ritual hatten sich der Führungskader des mittlerweile zerschlagenen | |
„Aktionsbüro Mittelrhein“ in Ahrweiler ausgedacht. Mit von der Partie in | |
Remagen sind regelmäßig die Parteien „Die Rechte“ und „Der III. Weg“, | |
NPD-Mitglieder sowie Freie Kameradschaften und ehemalige Mitglieder des | |
„Aktionsbüros Mittelrhein“. | |
Unter dem Motto „Den braunen Dreck wegschaufeln“ stellte sich in diesem | |
Jahr ein breites [1][gesellschaftliches Bündnis] bestehend aus | |
Gewerkschaften, Jugendverbänden, Parteien, Kirchen und dem Asta des | |
RheinAhrCampus den Faschisten entgegen. Die Gruppen engagieren sich schon | |
lange gegen den alljährlichen Nazi- Aufmarsch. Ihr Motto ist in diesem Jahr | |
angelehnt an die Flutkatastrophe im benachbarten Ahrtal. | |
## Die Lager in der „Goldenen Meile“ | |
An den Ufern des Rheins waren im Frühjahr 1945 in allen drei | |
Besatzungszonen der Westalliierten mehr als sieben Millionen deutsche | |
Kriegsgefangene in 17 Lagern interniert: Wehrmachtssoldaten, Waffen-SS, | |
minderjährige Flakhelfer von der Hitlerjugend und alte Männer vom | |
Volkssturm sowie einige Frauen. | |
Die britischen Lager, so schreibt ein Militärhistoriker, seien besser | |
ausgestattet gewesen als die französischen und die amerikanischen. Die | |
Franzosen hatten selbst kaum etwas zu essen, da die deutsche Besatzung in | |
Frankreich fast alles geplündert und abtransportiert hatte. | |
Aber auch die Amerikaner zeigten sich von der großen Zahl an Gefangenen | |
überfordert. So hatte sich die gesamte Heeresgruppe B der Wehrmacht, die im | |
Ruhrgebiet eingekesselt worden war, ergeben. Mehr als 300.000 Mann gerieten | |
auf einen Schlag in amerikanische Gefangenschaft. Dazu kamen die 250.000 | |
Menschen, die bei der Eroberung des Rheinlandes in amerikanische | |
Gefangenschaft genommen worden waren. | |
Zwischen Remagen und Sinzig entstand eines der größten | |
Kriegsgefangenenlager – wegen der goldgelben Farbe der reifen Getreideähren | |
des Ackerbaugürtels „Goldene Meile“ genannt. Die breiten Rheinwiesen auf | |
der untersten Terrasse des Rheintales und die angrenzenden Felder boten | |
dafür ausreichend Platz. Mehr als 300.000 Männer und einige Frauen wurden | |
innerhalb einer schnell errichteten Stacheldrahtumzäunung interniert. | |
## Katastrophale humanitäre Zustände | |
Die Lager sollten Durchgangslager sein. Die Gefangenen wurden erfasst, | |
verhört, man suchte Kriegsverbrecher und Nazi-Partisanen, die den beendeten | |
Krieg mit gezielten Anschlägen gegen die Besatzer fortsetzen wollten. | |
In Frühjahr 1945 gab es keine ausreichende Verpflegung, die Menschen | |
hungerten und wurden krank. Nach vielen Monaten wurden die Lager aufgelöst, | |
die Kindersoldaten der HJ und alte Männer vom „Volkssturm“ nach Hause | |
entlassen. Die Arbeitsfähigen wurden zum Aufbaudienst in die zerstörten | |
Länder Europas gebracht. Sie sollten vor allem in Bergbau und in der | |
Landwirtschaft eingesetzt werden. | |
In den provisorisch errichteten Lagern in der „Goldenen Meile“ herrschten | |
katastrophale humanitäre Zustände. Die Insassen kampierten zunächst unter | |
freiem Himmel auf den Wiesen und mussten sich mit bloßen Händen oder | |
primitiven Werkzeugen Erdlöcher graben, die ihnen wenigstens ein bisschen | |
Schutz vor Regen und Kälte bieten konnten. | |
## Drei Bündnisse gegen die Rechten | |
Zwar orderten die Amerikaner rasch zusätzliche Verpflegung aus der Heimat, | |
sie reichte aber bei Weitem nicht aus. Nach der Lagerüberagbe an die | |
französische Besatzungsmacht im Sommer 1945 verschlechterte sich die | |
Versorgung: Da die Franzosen selbst kaum etwas zu essen hatten, | |
verbrauchten sie die Vorräte der GIs. | |
Nach offiziellen Zahlen verstarben in beiden Lagern bei Remagen im Frühjahr | |
1945 insgesamt 1.200 Insassen wegen Hungersnöten, Unterversorgung, und | |
Durchfallerkrankungen. Die Neonazis hingegen behaupten bis heute, es seien | |
Zehntausende mehr gewesen. | |
Jahr für Jahr gehen sie auf die Straße, um den Opfern dieser, wie sie es | |
nennen, „Massenvernichtung“, zu gedenken: Ein massives Polizeiaufgebot | |
stand bereit, um die Neonazis von den Gegendemonstranten zu trennen. Die | |
Antifaschisten, meist junge Leute, sammelten sich vor dem Bahnhof, die | |
Rechten mehrere hundert Meter entfernt auf dem Parkplatz hinter den | |
Gleisen. Ihre Redebeiträge hörte man in der ganzen Innenstadt. | |
Drei Bündnisse stellten sich ihnen: das bürgerliche [2][Remagener Bündnis | |
für Frieden und Demokratie], das Bündnis „NS Verherrlichung stoppen“ und | |
[3][„blockzhg“.] | |
## Verhüllte „Schwarze Madonna“ | |
In den Anfangsjahren führte die Nazi-Demo am jüdischen Friedhof in Remagen | |
vorbei. Da die Antifaschisten das verhindern wollen, halten sie seit | |
einigen Jahren an dem Tag des Aufmarsches eine Mahnwache. Dieses Mal wurden | |
sie zusätzlich von zwei Zivilpolizisten beschützt. | |
Ziel der Nazis und der Gegendemo war das ehemalige Lagergelände am | |
Rheinufer, auf dem seit 1970 eine Friedenskapelle mit einer schwarzen | |
Madonnenfigur steht. Die „Schwarze Madonna“ war lange umstritten, weil sie | |
von einem Kriegsgefangenen gefertigt wurde, der auf Adolf Hitlers Liste der | |
„Gottbegnadeten Künstler“ stand. Jedes Mal verhüllen die Gegendemonstrant… | |
die Friedenskapelle mit Tüchern. Auf dem gegenüberliegenden RheinAhrCampus | |
bildeten sie eine Menschenkette. Sieben der Protestierende wurden im Laufe | |
des Tages am Rande der Demo festgenommen. | |
Die Zahl der Rechtsextremen bei den alljährlichen Aufmärschen nimmt stetig | |
ab. Waren es 2017 noch 200, waren es am vergangenen Samstag nur 50. | |
Ein Grund könnte sein, dass der Aufmarsch seit Jahren nicht mehr von | |
lokalen Kräften, sondern von Neonazis aus Dortmund organisiert wird. Das | |
„Braune Haus“ in Ahrweiler, von dem die Initiative zu dem Gedenkmarsch | |
ausgegangen war, löste sich vor wenigen Jahren im Rahmen eines Prozesses | |
gegen 26 Mitglieder auf. | |
14 Nov 2021 | |
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## AUTOREN | |
Annette Hauschild | |
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