| # taz.de -- Direkte Demokratie in Berlin: Das nächste revolutionäre Projekt | |
| > Ein wichtiger Schritt: Beim Volksbegehren zum Modellversuch | |
| > Grundeinkommen arbeiten Berlins progressive Initiativen zusammen. Ein | |
| > Wochenkommentar. | |
| Bild: Auch der Fahrer dieses Trabi will ein bedinungsloses Grundeinkommen auf d… | |
| Angesichts der harten politischen Debatte um den Umgang des Senats mit dem | |
| [1][erfolgreichen Enteignen-Volksentscheid] ist ein bisschen untergegangen, | |
| dass viele weitere progressive Initiativen in den Startlöchern stehen, um | |
| die etablierte Politik vor sich herzutreiben. Genau das war ja auch | |
| gewünscht, als die damalige rot-rote Koalition vor mehr als zehn Jahren die | |
| direkte Demokratie überhaupt erst zu einem relevanten politischen | |
| Instrument in Berlin gemacht hat. | |
| Seit dieser Woche ist absehbar: Die Initiative Klimaneustart Berlin darf – | |
| oder muss – wohl bald Unterschriften für einen Volksentscheid sammeln. | |
| Umweltsenatorin Bettina Jarasch (Grüne) hat am Dienstag begründet, warum | |
| [2][sie dessen Ziele nicht für umsetzbar hält] und der Senat es ablehnt. | |
| Die Initiative für ein Modellprojekt zum bedingungslosen Grundeinkommen | |
| [3][ist sogar schon einen Schritt weiter]: Sie sammelt seit Freitag | |
| Unterschriften für einen Entscheid. 175.000 gültige Stimmen braucht sie | |
| innerhalb von vier Monaten, also bis Anfang September. Auch dieses Projekt | |
| fand keine Unterstützung bei der Koalition aus SPD, Grünen und Linken. | |
| Warum, ist nicht so recht klar. | |
| Denn „Expedition Grundeinkommen“, so der Name der Ini, will den großen | |
| Schritt für die Einführung eines staatlichen finanzierten Sockelbetrags für | |
| alle, unabhängig von deren wirtschaftlicher Situation und ohne | |
| Gegenleistung, noch gar nicht gehen. Lediglich einen staatlich finanzierten | |
| und wissenschaftlich begleiteten Versuch mit rund 3.500 Teilnehmenden soll | |
| es geben. Die Kosten für das Land sind bei 70 Millionen Euro gedeckelt. | |
| Angesichts der Tatsache, dass es bei Sozialdemokraten, Grünen und Linken | |
| zahlreiche Fans dieser Idee gibt, hätte die drei Parteien sich diesen | |
| Vorstoß ruhig zu eigen machen können. Aber die Ablehnung passt ins | |
| Gesamtbild im politischen Berlin. | |
| Nun muss die Initiative also gegen die etablierte Politik ankämpfen. Doch | |
| allein ist sie zum Glück nicht. Zahlreiche andere Gruppen unterstützen die | |
| Expedition Grundeinkommen. Darunter sind einige, die sich für das gleiche | |
| Ziel einsetzen, aber auch zum Beispiel die Clubkommission, die eigentlich | |
| die Interessen des Berliner Nachtlebens vertritt. Und vor allem zwei | |
| Gruppen, deren Volksbegehren ebenfalls auf dem Weg sind: Berlin autofrei | |
| und eben Berlin Klimaneutral. | |
| Die Zusammenarbeit geht soweit, dass die drei sogar einen gemeinsamen | |
| Termin für einen Volksentscheid anstreben. Eine kluge Entscheidung, denn | |
| die nächste planmäßige Wahl wäre erst die Europawahl 2024. Das ist in | |
| Sachen Klima zu spät, aber eine Abstimmung ohne parallele Wahl macht es | |
| deutlich schwieriger, das Quorum von 25 Prozent Ja-Stimmen zu überwinden. | |
| Zu dritt für Klimaschutz, die Verkehrswende und eine andere Sozialpolitik | |
| dürfte die nötige Mobilisierung sichern, so der naheliegende Gedanke. | |
| Wie nötig dieses Bündnis der Zivilgesellschaft gegen die etablierte Politik | |
| ist, zeigt das Zaudern vor allem der SPD bei der Umsetzung des | |
| Volksentscheids zur Enteignung – besser: Vergesellschaftung – der | |
| Wohnungsbestände großer Unternehmen. 57,6 Prozent hatten Ende September | |
| dafür gestimmt, und doch vermitteln die Sozialdemokraten unter ihren | |
| Landeschef*innen Franziska Giffey und Raed Saleh nicht den Eindruck, | |
| dass diese klare Mehrheit für sie von Bedeutung ist. | |
| Giffeys ablehende Haltung gegenüber dem Votum der Bevölkerung ist bekannt. | |
| Saleh zündert derweil ein paar zum Thema passende Nebelkerzen, etwa als er | |
| [4][in einem Interview] in dieser Woche mal wieder eine Volksbefragung von | |
| oben, also angesetzt vom Abgeordnetenhaus, ins Spiel brachte. Dabei handelt | |
| es sich um ein reines Abnick-Instrument, um Entscheidungen wie den Bau der | |
| A 100 oder die Bebauung des Tempelhofer Feldes vermeintlich | |
| direktdemokratisch legitimiert durchzudrücken, wärend die Parteien selbst | |
| die Debatte und Entscheidung scheuen. | |
| ## Mehr als nur ein Instrument der politischen Gegner | |
| Auch wenn Rot-Rot-Grün in der vergangenen Legislatur nach schwieriger | |
| Debatte einige Erleichterungen für die Initiator*innen von | |
| Volksbegehren umgesetzt hat, hat die Koalition noch immer nicht in Gänze | |
| verstanden, dass direkte Demokratie nicht allein ein Instrument gegen die | |
| gewählte Regierung ist. Man kann auch gemeinsam agieren – allerdings nicht, | |
| wenn man wie von Herrschers Gnaden eine Abstimmung ansetzt, sondern sich | |
| während der Debatte im Laufe eines Volksbegehrens mit den Positionen | |
| auseinandersetzt, statt sie nur brüsk abzulehnen. | |
| Die SPD (ganz zu schweigen von FDP und CDU) täte also gut daran, direkte | |
| Demokratie als politisches Mittel zur Entscheidungsfindung endlich | |
| akzeptieren. Dabei hilft es, früh genug zu erkennen, wann die Bevölkerung | |
| eine andere Meinung und dafür auch eine Mehrheit hat. | |
| 7 May 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Deutsche-Wohnen-und-Co-enteignen/!t5562213 | |
| [2] /Nein-zu-Klima-Volksbegehren/!5847624 | |
| [3] /Bedingungsloses-Grundeinkommen/!5847796 | |
| [4] http://plus.tagesspiegel.de/berlin/spd-fraktionschef-raed-saleh-berlin-konn… | |
| ## AUTOREN | |
| Bert Schulz | |
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