| # taz.de -- Volksbegehren Grundeinkommen in Berlin: Da wäre mehr drin gewesen | |
| > Das jüngste Volksbegehren scheitert klar an mangelnder Unterstützung. Die | |
| > Initiative hat die Herausforderung gründlich unterschätzt. | |
| Bild: Werbung für ein Grundeinkommen an einem Haus in Berlin | |
| Genau 122.546 Unterschriften hat das Volksbegehren über die Erprobung eines | |
| bedingungslosen Grundeinkommens nach vier Monaten zusammengetragen und | |
| [1][bis Montag, 23.59 Uhr, bei der Landeswahlleitung eingereicht]. Das ist | |
| – man muss es leider so sagen – ein enttäuschendes Ergebnis. Und die | |
| Initiative Expedition Grundeinkommen, die mit einem Volksentscheid ihr | |
| Modellprojekt durchsetzen wollte, muss sich fragen, was da derart schief | |
| laufen konnte. | |
| Schließlich gilt Berlin als Hochburg der sozialen Bewegungen. Das | |
| Volksbegehren Deutsche Wohnen und Co. enteignen hat im vergangenen Sommer | |
| fast die dreifache Zahl an Unterstützer*innen gefunden; auch das | |
| Volksbegehren für ein unbebautes Tempelhofer Feld hatte 2014 [2][entgegen | |
| aller Erwartungen die Hürde von rund 170.000 gültigen Unterschriften | |
| deutlich] genommen. Doch direkte Demokratie ist eben – anders als vielfach | |
| vermutet – kein Selbstläufer. | |
| Es gab viele Schwierigkeiten, mit denen die Grundeinkommen-Initiative zu | |
| kämpfen hatte und die ihr auch bewusst waren – oder zumindest im Laufe der | |
| vier Monate Sammelzeit wurden. Fehlende Präsenz auf den Straßen in den | |
| ersten Wochen, zahlreiche durch Corona bedingte Krankheitsausfälle bei den | |
| Aktivist*innen hat Initiatorin [3][Laura Brämswig im Interview mit der | |
| taz genannt]. Dazu kamen die Sommerferien, die die Berliner*innen und | |
| auch viele Unterstützer*innen nutzten, um nach zwei drögen | |
| Pandemiejahren endlich mal wieder richtig wegzufahren. | |
| Man muss aber auch sagen: Die Initiative hatte die Herausforderung, 170.000 | |
| Unterschriften zu sammeln, gründlich unterschätzt und zu wenige | |
| Unterstützer*innen rekrutiert. Vielleicht war man einfach geblendet | |
| von „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“, die in Begleitung ihrer in den | |
| Medien omnipräsenten Tanzgruppe [4][einen regelrechten direktdemokratischen | |
| Durchmarsch hinlegten]. Doch beide Volksbegehren unterscheiden sich | |
| deutlich. | |
| Zum einen fiel die Sammelphase bei DW enteignen in den Vorwahlkampf; | |
| außerdem war die Mietenfrage neben Corona das bestimmende Thema in Berlin, | |
| die Frage nach einer möglichen Enteignung wurde fast täglich aufgeworfen. | |
| In der Folge unterstützte die Linke das Begehren inhaltlich und auch | |
| logistisch, die Grünen zumindest teilweise, und selbst in der SPD fand es | |
| zahlreiche Fans. Von einer solchen Aufmerksamkeit konnte die | |
| Grundeinkommen-Initiative nur träumen, obwohl ihre politisches Modell | |
| gerade in der sich abzeichnenden Wirtschaftskrise Vorteile für viele | |
| Menschen mit geringerem Einkommen verspricht. | |
| Dazu kommt: Sowohl DW enteignen wie auch der Initiative 100 Prozent | |
| Tempelhof standen für mehr als nur ihr konkretes Ziel: Beiden Initiativen | |
| war es gelungen, ihr Anliegen zu einem Symbol zu machen. DW enteignen | |
| versprach eben nicht nur die Vergesellschaftung von rund 240.000 Wohnungen | |
| großer Immobilienbesitzer*innen, sondern auch generell billigere Mieten in | |
| Berlin. Und die große Unterstützung für ein freies, weites, unbebautes | |
| Tempelhofer Feld kam auch daher, weil man dem damaligen rot-schwarzen Senat | |
| dessen Ignoranz gegenüber dem kulturellen Nutzen von Freiflächen klarmachen | |
| wollte. | |
| Die Idee eines Feldversuchs für ein bedingungsloses Grundeinkommen blieb | |
| hingegen solitär. Sie konnte mitten in den Debatten um die zahlreichen | |
| aktuellen Krisen nicht durchdringen und auch nicht die ihr eigentlich | |
| innewohnende sozialpolitische Relevanz entfalten. | |
| ## Viele sind überzeugt vom Grundeinkommen | |
| Das heißt nicht, dass die Zeit für einen solchen Feldversuch nicht reif | |
| wäre: Wer die Sammler*innen der Initiative begleitete, konnte | |
| miterleben, dass ein überraschend großer Teil der angesprochenen Menschen | |
| die Idee eines Grundeinkommens verstanden und auch unterstützten. | |
| Angesichts von dessen geradezu revolutionären Folgen für unser ökonomisches | |
| System ist das erstaunlich. | |
| Für die Aktivist*innen des [5][Mitte Juli gestarteten | |
| Klima-Volksbegehrens] muss das Scheitern der Grundeinkommen-Initiative eine | |
| Warnung sein. Denn trotz der Bedeutung und Bekanntheit der Klimaproblematik | |
| droht auch dieses Volksbegehren zu wenig Beachtung zu finden, weil es | |
| angesichts der anderen Probleme als weniger relevant angesehen wird. | |
| Das ist es nicht. Natürlich hängen Fragen nach Energieversorgung | |
| unmittelbar mit dem Umgang mit der Klimakrise zusammen. Aber schon das Ziel | |
| des Begehrens, das Land per Gesetz zu verpflichten, [6][bis 2030 | |
| klimaneutral zu werden], weist darauf hin, dass es sich um eine in die | |
| Zukunft gerichtete Angelegenheit handelt – ähnlich wie beim Grundeinkommen, | |
| das aktuell ja auch nicht zur Debatte stand. | |
| 10 Sep 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Volksbegehren-Grundeinkommen-in-Berlin/!5879155 | |
| [2] /Volksbegehren-Tempelhofer-Feld/!5051027 | |
| [3] /Volksbegehren-Grundeinkommen-in-Berlin/!5878837 | |
| [4] /Deutsche-Wohnen--Co-enteignen/!5798017 | |
| [5] /Volks-Ini-Berlin-2030-klimaneutral/!5875276 | |
| [6] /Streitgespraech-ueber-Klimapolitik/!5865260 | |
| ## AUTOREN | |
| Bert Schulz | |
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