# taz.de -- Die digitale Patientenakte: Rezept nur per App | |
> Der Bundesrat hat ein Gesetz für die Digitalisierung im Gesundheitswesen | |
> beschlossen. Doch Verbraucher- und Patientenschützer sehen diverse | |
> Probleme. | |
Bild: Weshalb muss der Hautarzt wissen, was der Zahnarzt festgestellt hat | |
Was Susanne Mauersberg am meisten ärgert, ist die Sache mit den Terminals. | |
Solche Geräte, ähnlich wie Geld- oder Fahrkartenautomaten, waren eigentlich | |
mal geplant. Überall in Deutschland hätten sie stehen sollen, in Apotheken | |
oder Krankenhäusern, und jede und jeder ohne Smartphone hätte dort einsehen | |
können, was an Gesundheitsdaten in der eigenen digitalen Patientenakte | |
gespeichert ist. Auch Menschen ohne Smartphone hätten so Teil haben können | |
am neuesten Schritt der Digitialisierung des Gesundheitssystems. Denn, so | |
Mauersberg, Referentin für Gesundheit und Pflege beim Verbraucherzentrale | |
Bundesverband (vzbv): „Dass Patienten die eigenen Daten anschauen können, | |
ist ein wichtiger Schritt.“ | |
Aber nichts da. Noch in den letzten parlamentarischen Lesungen des | |
Patientendatenschutzgesetzes flogen die Terminals raus. Mauersberg findet | |
das „sehr, sehr unglücklich“. | |
Das Patientendatenschutzgesetz ist eines der maßgeblichen Gesetzesvorhaben, | |
mit denen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) die Digitalisierung im | |
Gesundheitswesen vorantreibt. | |
Am Freitag hat nun der Bundesrat das Gesetz beschlossen, obwohl Patienten- | |
und Verbraucherschützer:innen etliche Probleme sehen. Denn das Gesetz wird | |
den Umgang mit Gesundheitsdaten, das Arzt-Patienten-Verhältnis, ja selbst | |
das Rezepteinlösen in der Apotheke grundlegend verändern. | |
Im Kern sind zwei große Änderungen geplant. Erstens: die [1][elektronische | |
Patientenakte (ePA)]. Man kann sich das vorstellen als digitalen Ordner, in | |
dem von Befunden wie Röntgenbildern und Arztberichten über verordnete | |
Medikamente bis zu Impfausweis und Mutterpass alles liegt, was behandelnde | |
Ärzt:innen interessieren könnte. Auf freiwilliger Basis zwar, noch wird | |
niemand gezwungen, die eigenen Gesundheitsdaten dort digital zu | |
hinterlegen. Doch eine andere Freiwilligkeit gilt, zumindest für die | |
Anfangszeit, nicht: Wer mitmacht, kann in der ersten Phase der ePA nicht | |
entscheiden, welche:r Ärzt:in auf welches Dokument zugreifen darf – oder | |
eben nicht. | |
Diese Differenzierung soll erst später möglich sein. Der | |
Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber geht deshalb davon aus, dass das | |
Gesetz in diesem Punkt nicht konform ist mit der | |
Datenschutz-Grundverordnung. Schließlich muss die Physiotherapeutin nicht | |
wissen, was der Urologe gefunden hat, und der wiederum braucht die | |
Röntgenbilder der Zahnärztin nicht. | |
Die zweite große Änderung: das Rezept per App. Im kommenden Jahr soll die | |
App für das elektronische Rezept fertig sein, ab 2022 müssen | |
verschreibungspflichtige Medikamente elektronisch verordnet werden. Wenn es | |
nach Spahn und seinem Gesetz geht, ist der Standardweg dann: App auf dem | |
Smartphone installieren, beim Arzt das Rezept in die App gesendet bekommen | |
und damit das Medikament in der Apotheke abholen. Eine App also, in der | |
eine Menge Gesundheitsdaten verarbeitet werden und die viele Menschen | |
benutzen sollen – ein potenziell interessantes Ziel für Angreifer:innen. | |
## Die App für das elektronische Rezept ist Open Source | |
Immerhin: Die App für das elektronische Rezept wird Open Source sein. Der | |
Quellcode ist also offen einseh- und auf Sicherheitslücken überprüfbar. | |
Bereits in der vergangenen Woche hat die Gematik – das ist die | |
Gesellschaft, die unter anderem hinter der elektronischen Gesundheitskarte | |
steht und die nun auch die Rezept-App erstellt, eine erste Version auf der | |
Entwicklerplattform Github veröffentlicht. | |
Es stellen sich also drei zentrale Fragen. Erstens: Wie ist es mit der | |
Teilhabe für alle Menschen ohne oder ohne aktuelles Smartphone? Oder für | |
solche, die einfach nicht mit dem Telefon auf Gesundheitsdaten zugreifen | |
wollen? Zweitens: Wie sicher ist das Ganze? Und drittens: Was passiert, | |
wenn die Telematik-Infrastruktur, über die sowohl die ePA als auch das | |
elektronische Rezept laufen, ausfällt? | |
„Man hat zum Beispiel bei der Corona-Warn-App gesehen, dass viele Leute | |
keine aktuellen Smartphones haben“, sagt vzbv-Referentin Susanne | |
Mauersberg. Das könnte überproportional die Menschen betreffen, die | |
häufiger multiple gesundheitliche Probleme haben und daher eher von der | |
elektronischen Patientenakte profitieren würden, etwa Ältere. | |
Beim digitalen Rezept ist die Lösung noch einfach: Für Menschen ohne | |
Smartphone soll es laut Gesundheitsministerium einen Barcode auf Papier | |
geben, mit dem man in die Apotheke gehen kann. Das verordnete Medikament | |
stehe dabei und in der Apotheke wird, wie bei der App, der Barcode | |
eingelesen und das Medikament ausgegeben. | |
Komplizierter wird es bei der elektronischen Patientenakte. Die Terminals, | |
die vorgesehen waren, hätten auch Menschen ohne Smartphone die Teilhabe | |
ermöglicht. Jetzt läuft es laut Mauersberg darauf hinaus: Wer die ePA | |
nutzt, kann mal beim Arzt oder der Ärztin fragen, ob man in die digitalen | |
Dokumente reinschauen kann. Ein unbefangenes Kontrollieren der eigenen | |
Daten sieht anders aus. Als Alternative hat der Gesetzgeber eine | |
Vertreterregelung vorgesehen, mit der beispielsweise Enkel die Akten der | |
Großeltern verwalten könnten. „Problematisch“, sagt Mauersberg dazu. | |
Schließlich könnten Gesundheitsdaten auch bei Familienstreitigkeiten | |
brisant sein – etwa, wenn es um ein Erbe gehe. | |
## Datensicherheit ist nicht gewährleistet | |
Dann der Punkt Datensicherheit. „Ich würde von einer Nutzung der | |
elektronischen Patientenakte insgesamt abraten, insbesondere aber per | |
Smartphone“, sagt Bernhard Scheffold, Vorsitzender des Vereins | |
Patientenrechte und Datenschutz. Sind Sicherheitslücken im | |
Smartphone-Betriebssystem, was sogar bei gerade gekauften Geräten | |
vorkommt, könnten sich Dritte unbefugt Zugriff verschaffen. Für | |
Nutzer:innen wäre das kaum zu erkennen und noch schwieriger nachzuweisen. | |
Und auch bei anders verursachten Datenpannen, etwa wenn sich ein Fehler in | |
der Telematik-Infrastruktur befindet, sieht es schlecht aus für | |
Nutzer:innen. Denn das Gesetz nimmt das Unternehmen hinter der | |
Infrastruktur, die Gematik, aus der Verantwortung. Stattdessen sollen die | |
Ärzt:innen haften – gegebenenfalls für Fehler in einer IT, auf die sie | |
keinen Einfluss haben. | |
Was das für Folgen haben könnte, lässt sich an einem aktuellen Beispiel | |
sehen, und da kommen wir zum Punkt: Was passiert bei einem vollständigen | |
oder teilweisen Ausfall der Infrastruktur? So einen gab es im Frühsommer | |
etwa anderthalb Monate lang. Patient:innen dürfte das noch nicht großartig | |
aufgefallen sein, weil momentan nur die Stammdaten, etwa Adressen, über das | |
System abgeglichen werden. Anders sähe es aus, wenn etwa eine Ärztin | |
dringende Befunde nicht einsehen könnte oder ein Patient ein Rezept nicht | |
einlösen kann. „Je mehr über das System abgewickelt wird, desto schlimmer | |
wird ein Ausfall“, sagt Scheffold. Und desto wahrscheinlicher. Denn mit der | |
Komplexität steige immer auch die Anfälligkeit für Fehler. | |
Das Bundesgesundheitsministerium weist auf Anfrage die Kritikpunkte zurück. | |
Bei einem Ausfall des Systems könne man immer noch auf die alten Strukturen | |
zurückgreifen – ein Rezept gebe es dann halt wieder auf rosafarbenem | |
Papier. Auch die Ansicht des Bundesdatenschutzbeauftragten, dass ein Teil | |
des Gesetzes der Datenschutz-Grundverordnung widerspreche, teile man nicht. | |
Schließlich sei die elektronische Patientenakte freiwillig. Und was das | |
Problem sensibler Gesundheitsdaten auf sicherheitslöchrigen Smartphones | |
angeht, teilt das Ministerium mit: Die Sicherheit der Geräte liege „in der | |
Verantwortung der jeweiligen Versicherten“. | |
18 Sep 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffe-von-a-z/e/elek… | |
## AUTOREN | |
Svenja Bergt | |
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