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# taz.de -- Datenschützer über E-Patientenakte: „Alles andere als vertrauen…
> Digitalisierung ist notwendig, sagt Thilo Weichert. Aber wer seine
> elektronische Patientenakte jetzt schon nutzt, ist noch Teil eines
> Experiments.
Bild: Für diese Art der Patientenakten benötigt man kein Smartphone mit mobil…
taz: Herr Weichert, seit Januar müssen gesetzliche Krankenversicherungen
Ihren Versicherten eine [1][elektronische Patientenakte] anbieten, in der
zum Beispiel Befunde und Medikationspläne gespeichert werden sollen. Die
Krankenkassen verschicken nun Infobriefe. Wenn ein:e Patient:in einen
bekommt und nicht weiß, wie sie oder er damit umgehen soll – was empfehlen
Sie?
Thilo Weichert: Ich würde derzeit nicht raten, eine elektronische
Patientenakte zu nutzen. Es gibt da einfach noch zu viele Probleme. Eines
der größten: Patientinnen und Patienten können noch keinen differenzierten
Zugriff auf die Daten erlauben.
Das heißt, da kann beispielsweise der Urologe sehen, was die
Psychotherapeutin in die Akte gestellt hat?
Genau. Die Zugriffe differenziert einzuschränken und dem Urologen zum
Beispiel nur die Dokumente von der Hausärztin zur Verfügung zu stellen, das
soll erst ab dem kommenden Jahr möglich sein. Wenn man Lust hat, sich als
Versuchskaninchen für dieses Projekt zur Verfügung zu stellen, dann kann
man das aber natürlich gern tun. Denn in der jetzigen ersten Phase soll die
elektronische Patientenakte ja erst einmal erprobt werden. Ich kann mir
also vorstellen, dass es Leute gibt, die sagen: Ja, ich möchte dabei
helfen, dass diese Anwendung besser wird. Immerhin: Wer eine elektronische
Patientenakte anlegt, muss die Nutzung für jeden Arzt einzeln freischalten.
Es ist also auch möglich, einzelne Mediziner vom Zugriff auszuschließen.
Sehe ich denn als Versicherte, was die sich angeschaut haben?
Das ist ein weiteres Problem. Dafür braucht man die App der jeweiligen
Krankenkasse.
Die stellen die Kassen ja auch schon bereit.
Ja, aber man braucht für die Nutzung natürlich ein ausreichend aktuelles
Smartphone und einen mobilen Internetzugang. Das hat längst noch nicht jede
und jeder. Für alle Menschen ohne Smartphone bräuchte es daher dringend
Terminals, zum Beispiel bei den Krankenkassen oder in Apotheken, über die
Menschen in Ruhe in ihre elektronische Patientenakte reinschauen können.
Ist denn das Smartphone grundsätzlich überhaupt ein gutes Zugangsgerät für
die elektronische Patientenakte?
Optimal ist es sicher nicht. Ob die Kommunikation zwischen dem Smartphone
und den Servern, auf denen die Akten liegen, in jedem Fall sicher ist, das
wird sich erst zeigen. Ich kann mir vorstellen, dass da noch die ein oder
andere Lücke bekannt werden wird.
[2][Sicherheitslücken gibt es auch in den Betriebssystemen von vielen
Android-Smartphones], die von den Herstellern etwa aus Altersgründen keine
Sicherheitsupdates mehr bekommen. Was wäre da das Worst-Case-Szenario für
Nutzer:innen?
Das Schlimmste, was einer Patientin oder einem Patienten da passieren
könnte, wäre, dass die Daten, die er oder sie sich über das Smartphone in
der Akte anschaut, an jemanden Unbefugtes gelangen, der das Smartphone
gehackt hat. Das wäre nicht nur ziemlich unschön für einen selbst, da es
bei Informationen über die eigene Gesundheit um hochsensible Daten geht. Es
wäre auch eine Beeinträchtigung der Arzt-Patienten-Beziehung, die
eigentlich vertraulich sein soll.
Was schätzen Sie, wann diese Phase beendet sein wird, in der die
Versicherten noch das sind, was Sie als Versuchskaninchen bezeichnen?
Ich gehe davon aus, dass bis zum Ende dieses Jahres ausreichend Erfahrungen
gesammelt sein werden und wo nötig nachgebessert wird, um dann eine
unbeschwerte Nutzung der elektronischen Patientenakte zu ermöglichen.
Bei den Kongressen des Chaos Computer Clubs, des CCC, werden seit vielen
Jahren immer wieder neue Lücken in der Telematik-Infrastruktur aufgedeckt,
auf der auch die elektronische Patientenakte aufbaut. Auch beim gerade
vergangenen Kongress passierte das wieder. Was läuft da in dem System?
Es gibt bei der Telematik-Infrastruktur eine Vielzahl von Problemen. Das
fängt schon dabei an, dass die Infrastruktur nach heutigen Maßstäben uralt
ist – sie wurde Mitte der 2000er Jahre geplant. Und das
Gesundheitsministerium will jetzt immer mehr und mehr Funktionen und
Komponenten hinzufügen, ohne dass eine gewisse Grundstabilität des Systems
gewährleistet ist. So tauchen Probleme an allen Ecken und Enden auf. Zum
Beispiel hatte der CCC gezeigt, dass sich die Geräte, die in den Arztpraxen
die Versichertenkarten einlesen, ganz einfach beschaffen lassen. Auch ohne
dass man selbst Arzt ist. Das hätte es Unbefugten ermöglicht, auf
Gesundheitsdaten zuzugreifen. Zwar wurde hier mittlerweile nachgebessert.
Aber solche Fälle stärken nicht gerade die Vertrauenswürdigkeit des
Systems. Dann ist die IT in den Praxen häufig nicht so gut abgesichert, wie
sie sein müsste. Und es werden immer wieder Sicherheitslücken in der
Software bekannt. Und an all diesen Problemen wird dann herumgeflickt und
gleichzeitig soll das Gesamtsystem laufen.
Sind das grundsätzliche Argumente gegen die Digitalisierung im
Gesundheitssystem?
Nein, das nicht. Die Digitialisierung ist auch im Gesundheitssystem
unbedingt notwendig. Nicht nur aus Gründen von Effektivität, etwa des
Verhinderns von unnötigen Mehrfachuntersuchungen. Sie ist auch deshalb
notwendig, weil sie ein riesiges Potenzial bietet, um die Qualität der
Behandlung zu verbessern. Etwa weil die Ärztinnen und Ärzte schneller über
die Behandlungsgeschichte eines Patienten im Bild sind. Oder weil
Apothekerinnen und Apotheker besser darauf schauen können, ob von
unterschiedlichen Ärzten verschriebene Medikamente nicht kombiniert werden
sollten. Und grundsätzlich ist auch die Idee richtig, dass damit Daten für
die Forschung generiert werden können.
Und das sagen Sie als Datenschützer?
Ich sage, dass die Idee richtig ist. Aber die Umsetzung ist derzeit von
Gesundheitsminister Jens Spahn in einer Weise geregelt, die alles anderes
als vertrauenswürdig ist.
Inwiefern?
Geplant ist, dass die Daten in einem zentralen Forschungsdatenzentrum
gespeichert werden sollen. Von da sollen sie aber nicht nur der Forschung,
sondern auch anderen zur Verfügung gestellt werden.
Das könnten etwa Pharmakonzerne sein?
Gemäß dem Gesetz nicht direkt, aber eventuell in Kooperation mit einem
Universitätsinstitut. Auch Krankenkassen, Verbände und – was ich hoch
problematisch finde – das Gesundheitsministerium selbst können im
Forschungsdatenzentrum recherchieren. Und das halte ich für
verfassungswidrig. Auch die Analyse dieser Daten, die unter anderem mittels
künstlicher Intelligenz passieren soll, ist für die Betroffenen absolut
intransparent geregelt. Was mit den Daten geschieht, ist total unklar und
offen und damit auch missbrauchsanfällig. Hier muss dringend nachgebessert
werden, und ich gehe davon aus, dass das Bundesverfassungsgericht dazu noch
etwas sagen wird.
10 Feb 2021
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## AUTOREN
Svenja Bergt
## TAGS
Gesundheit
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