# taz.de -- Deutsche Waffen in Kriegsgebieten: Fünf Jahre, neun Kontrollen | |
> Wo landen Waffen, die aus Deutschland exportiert wurden? Das prüft die | |
> Bundesregierung nur selten, die Union ist gegen mehr Kontrollen. | |
Bild: Stoppt den Waffenhandel: Aktion vor dem Reichstag | |
BERLIN taz | Der jüngste Fall wurde im Mai publik: Mit Verweis auf Fotos | |
aus Tripolis [1][berichtete damals der Stern,] dass libysche Rebellen | |
Militärlastwagen des deutschen Herstellers MAN nutzen. Offenbar hatten die | |
Vereinigten Arabischen Emirate die Trucks in das Bürgerkriegsland geliefert | |
– trotz eines UN-Waffenembargos. | |
Kurz zuvor hatte [2][die taz über Militär-Lkws von Daimler berichtet], die | |
wohl über Israel nach Aserbaidschan gelangten. Und schon Anfang April | |
[3][deuteten Recherchen von SWR und taz darauf hin], dass Pistolenteile des | |
Herstellers Sig Sauer aus Schleswig-Holstein über die USA in Mexiko | |
gelandet waren. | |
Es sind Fälle, die es eigentlich gar nicht geben dürfte: Auf dem Papier | |
verhindert das deutsche Rüstungsexportrecht, dass deutsche Waffen über | |
Umwege in Krisengebiete gelangen. Wer Rüstungsgüter aus Deutschland kaufen | |
möchte, muss per Unterschrift versichern, dass er die Ware selbst nutzt und | |
ohne Genehmigung der Bundesregierung nicht weitergibt. Dass Problem dabei: | |
In der Regel kontrollieren die Behörden nicht, ob sich die Kunden | |
tatsächlich an die Erklärung halten. | |
Erst 2015 hat die Bundesregierung auf Bestreben des damaligen | |
SPD-Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel überhaupt die Möglichkeit für | |
sogenannte Endverbleibskontrollen eingeführt. Bei solchen Inspektionen | |
schauen deutsche Beamte mit Vorankündigung nach, ob sich die Waffen noch | |
beim Käufer befinden. Seitdem hat das zuständige Bundesamt für | |
Ausfuhrkontrolle (Bafa) in einer Pilotphase aber nur neun solcher | |
Kontrollen durchgeführt. Lediglich zwei Stellen wurden dem Bafa für die | |
Aufgabe zugewiesen. | |
## Die Coronakrise als Vorwand? | |
Die Kontrollen sind beschränkt auf Kleinwaffen wie Pistolen und Gewehre, | |
finden nur in Staaten außerhalb von EU und Nato statt und wurden zuletzt | |
aufgrund von Corona komplett ausgesetzt: Weitere Kontrollen „mussten | |
aktuell aufgrund der Reisebeschränkungen ausgesetzt werden“, antwortete das | |
Wirtschaftsministerium auf eine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Katja | |
Keul (Grüne). | |
„Die Coronapandemie darf nicht als Vorwand dienen, Kontrollen zu | |
vermeiden“, sagt Keul. „Wo Waffen trotz der Pandemie exportiert werden | |
können, muss ihr Verbleib mehr denn je kontrolliert werden.“ Und mehr noch: | |
Unabhängig von Corona fordert die Abgeordnete, die Kontrollen auf alle | |
Waffengattungen auszudehnen – also nicht mehr nur nach Kleinwaffen zu | |
schauen, sondern auch nach Panzern, Militär-Trucks und anderen Großgeräten. | |
Auch innerhalb der Bundesregierung liegt dieser Vorschlag auf dem Tisch. | |
Seit über einem Jahr werten Vertreter*innen verschiedener Ministerien die | |
Erfahrungen der bisherigen Kontrollen aus. Rüstungsunternehmen, | |
Friedensorganisationen und Wissenschaftler*innen wurden zu Anhörungen | |
geladen. Die Arbeitsgruppe will ihre Ergebnisse irgendwann in einem | |
Abschlussbericht vorlegen. | |
Wann es so weit sein wird, will das Wirtschaftsministerium auf Anfrage aber | |
nicht sagen. Im am Mittwoch veröffentlichen Rüstungsexportbericht der | |
Bundesregierung steht sogar nur, dass die Evaluierung eingeleitet wurde. | |
## SPD: Mehr Personal und Geld für die Kontrollen | |
Bislang hat die Regierung noch nicht mal die Abgeordneten der | |
Koalitionsfraktionen im Bundestag über den Stand der Beratungen informiert. | |
Im Parlament nimmt die Ungeduld inzwischen zu, vor allem in der | |
SPD-Fraktion, die die Kontrollen gerne ausweiten würde. | |
In einem Positionspapier forderten die Sozialdemokrat*innen schon Ende | |
2019, in Zukunft nicht mehr nur Kleinwaffen, sondern „jegliche | |
Rüstungsexporte“ zu kontrollieren. Die Bundesregierung solle dem Parlament | |
über die Inspektionen regelmäßig Bericht erstatten und bei den EU-Partnern | |
dafür werben, ebenfalls Kontrollen einzuführen. | |
„Der Evaluationsbericht der Regierung wird mit Sicherheit zeigen, dass das | |
Instrument wirkt, aber noch besser wirken könnte, wenn wir es stärken“, | |
sagt der SPD-Abgeordnete Frank Junge. „Wenn man das machen will, reicht es | |
aber nicht aus, das Gesetz zu ändern. Für regelmäßige Kontrollen müssten | |
wir auch mehr Personal und mehr Mittel bewilligen.“ Eine Einigung darüber | |
mit den Koalitionspartner werde jedoch „sicher kein Selbstläufer“. | |
Der CDU-Abgeordnete Klaus-Peter Willsch, in der Unionsfraktion für das | |
Thema zuständig, gibt sich zwar optimistischer. Einen Beschluss über die | |
Zukunft der Kontrollen noch in dieser Legislaturperiode hält er für | |
realistisch, das Instrument an sich hat sich in seinen Augen bewährt. | |
## Die USA als Vorbild? | |
Bei der Frage nach einer Ausweitung auf Großwaffen bremst er aber: Man | |
müsse vor der Entscheidung sowohl „die Wirksamkeit und die Folgen in den | |
Beziehungen zu anderen Staaten“ als auch die „internationale | |
Wettbewerbssituation“ deutscher Unternehmen berücksichtigen. „Für den | |
Verbleib großer Waffensysteme stehen uns – anders als bei Kleinwaffen – | |
vielfältige Erkenntnisquellen zu Verfügung. Wir wollen keine dogmatische | |
Symbolpolitik betreiben, sondern sicherheitspolitisch verantwortlicher | |
Akteur bleiben“, sagt der CDU-Politiker. Nach einer einfachen Einigung | |
klingt das dann doch wieder nicht. | |
Noch weniger Aussicht auf Umsetzung hat eine weitere Verschärfung, die | |
unter anderem die „Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung“ (GKKE) in | |
ihrem alternativen Rüstungsexportbericht vorschlägt. Demnach sollten die | |
deutschen Behörden den Endverbleib in Zukunft auch bei Exporten in EU- und | |
Nato-Staaten kontrollieren. Ein Argument dafür ist das Beispiel der | |
Sig-Sauer-Waffen, die mutmaßlich über die USA nach Mexiko gelangten. | |
Solch eine Ausweitung fordert jedoch noch nicht mal die SPD-Fraktion in | |
ihrem Positionspapier. „Das Argument dagegen ist oft, dass dadurch das | |
Misstrauen zwischen Partnern wachse“, sagt Arnold Wallraff, der einst als | |
Bafa-Präsident für Ausfuhrkontrollen zuständig war und sich heute in der | |
GKKE engagiert. „Aber wenn die Kontrollen flächendeckend wären, kann keiner | |
sagen, dass die Bundesregierung ihm gegenüber ein besonders Misstrauen | |
habe. Sie beträfen dann ja jeden potenziellen Empfänger.“ | |
Ein Novum wäre das auf internationaler Bühne zumindest nicht: Die USA | |
führen ebenfalls Endverbleibskontrollen durch. Sie treffen laut Wallraff | |
alle Kunden US-amerikanischer Rüstungskonzerne – und damit sogar den | |
Nato-Partner Deutschland. | |
Hinweis: In einer früheren Version des Textes stand, dass der Bundestag | |
über eine Reform entscheiden müsste. Tatsächlich kann aber die | |
Bundesregierung selbst über die Endverbleibskontrollen entscheiden. Die | |
Regeln wären lediglich verbindlicher, wenn der Bundestag auch ein | |
entsprechendes Gesetz verabschieden würde. | |
17 Jun 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.stern.de/politik/deutschland/warum-rheinmetall-militaertrucks-i… | |
[2] /Ruestungsgueter-in-Konfliktregion/!5676676 | |
[3] /Waffenexporte-nach-Mexiko/!5672849 | |
## AUTOREN | |
Tobias Schulze | |
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