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# taz.de -- Der gnadenlose GDL-Chef: Die Wut auf Weselsky ist nur Neid
> Sogar Linke fluchen über GDL-Chef Claus Weselsky. Aber eigentlich
> bräuchten wir alle einen wie ihn.
Bild: Role model für andere Arbeitskämpfer? GDL-Vorsitzender Claus Weselsky l…
Achtung, Triggerwarnung! In dieser Kolumne geht es nicht um das N-Wort in
Kinderbuchklassikern oder die Darstellung von Gewalt, aber trotzdem scheint
ein Warnhinweis für Leser mit hohem Blutdruck angebracht: Es geht um Claus
Weselsky. In der Whatsapp-Gruppe der Familie wird über den Vorsitzenden der
Lokführer-Gewerkschaft geflucht, im angeblich linken Freundeskreis hieß es
in den vergangenen Wochen mehrfach „FCK WSLSKY!“, und die Kommentare in
vielen Zeitungen klingen nur unwesentlich höflicher.
Leidenschaftlich wird diskutiert, ob die Forderung der GDL nach einer
Arbeitszeitverkürzung auf 35 Stunden in der Woche nun angemessen ist oder
nicht. [1][Wirtschaftsminister Robert Habeck schaltete sich in dieser Woche
ein] und sagte, es müssten eigentlich alle mehr arbeiten, nicht weniger. Es
werde „ein bisschen im Moment zu viel für immer weniger Arbeit gestreikt
beziehungsweise geworben“. Man merkt der Formulierung an, dass Habeck
selbst etwas überarbeitet ist.
Habecks Aussage erinnert an einen seiner Vorgänger, Ludwig Erhard. Als die
Gewerkschaften für die Einführung der 40-Stunden-Woche kämpften, erklärte
er einige Tage vor dem 1. Mai 1955 auf der Industriemesse in Hannover: „Die
westdeutsche Wirtschaft kann sich den Luxus der 40-Stunden-Woche vorläufig
nicht leisten. Es ist noch zu früh.“
Die Forderung nach kürzeren Arbeitszeiten hat eine lange Tradition. Auch
die 5-Tage-Woche ist nicht vom Himmel gefallen. Samstag gehört Vati uns,
das war damals die Forderung. Und die 35-Stunden-Woche, die Habeck mit
seinem Statement nun indirekt verteufelt, wurde in den 80er-Jahren durch
wochenlange Streiks in der Metallindustrie durchgesetzt.
Habeck argumentiert mit dem Fachkräftemangel gegen die
Arbeitszeitverkürzung: 700.000 Stellen sind in Deutschland unbesetzt. Damit
hat er einen Punkt. Trotzdem sollten sich politisch Verantwortliche darauf
konzentrieren, die Bedingungen für klimaschutzrelevante Branchen wie die
Bahn zu verbessern und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu
erleichtern, statt einfach nach längeren Arbeitszeiten zu rufen. Dann gäbe
es auch mehr Menschen, die Lokführer werden wollen.
## Streik ist keine Einladung zum Debattierclub
[2][Aber Habeck ist nicht allein mit seiner Kritik an Weselsky und dem
Bahnstreik.] Irgendwie scheinen alle besser zu wissen, was für die
Lokführer gut ist, als sie selbst.
In Deutschland herrscht eine merkwürdige Vorstellung von Streik vor. Ganz
so, als ob ein Streik eine Art Einladung zum Debattierclub wäre, zwischen
Gewerkschaft und Arbeitgeber. Und am Ende gewinnt im zwanglosen Zwang das
bessere Argument.
Dabei geht es gar nicht darum, ob die GDL und Claus Weselsky mit ihrer
Forderung Recht haben. Sondern nur darum, ob sie die Macht haben, sie
durchzusetzen. Eine Gewerkschaft vertritt die Interessen ihrer Mitglieder.
Es ist nicht ihr Problem, wenn ihre Forderungen zu teuer sind. Das ist das
Problem des Arbeitgebers. Der kann dann immer noch auf Gewinn verzichten,
die Preise erhöhen, Mitarbeiter entlassen, an anderer Stelle sparen.
Ich glaube, jede Branche könnte einen Weselsky brauchen. Eine schöne
Vorstellung wäre das, wenn eine Journalistengewerkschaft so einen kernigen
Vorsitzenden mit Schnurrbart hätte.
Weselsky verkörpert das, wonach sich alle Deutschen heimlich sehnen: Die
alte Bundesrepublik, in der der Sachse Weselsky selbst nie lebte: Mit
starken Gewerkschaften, guten Löhnen, einer weniger gespreizten Schere
zwischen Arm und Reich. Mit insgesamt weniger Lohnarbeit, weil damals noch
ein Vollzeitjob für eine Familie ausreichte.
Hinter der Wut auf Weselsky steckt bei vielen vor allem: Neid.
16 Mar 2024
## LINKS
[1] /Streiks-und-Arbeitszeiten/!5995045
[2] /Streiks-und-Stimmungsmache/!5994923
## AUTOREN
Kersten Augustin
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Claus Weselsky
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Schwerpunkt Bahnstreik
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