# taz.de -- Der Typus Elon Musk: Alles im Alleingang | |
> Musk kauft Twitter, stellt der Ukraine Satelliteninternet zur Verfügung. | |
> Ein politischer Akteur, auf dessen Macht Gesellschaften nicht vorbereitet | |
> sind. | |
Bild: Gefährlich: Multimilliardär Elon Musk macht, was er will | |
Es war ein gutes halbes Jahr für alle, die sich in der harten Realität | |
etwas Seifenopern-Würze wünschen: Erst will Multimilliardär (Geld! | |
Reichtum!) Elon Musk Twitter übernehmen. Twitter lehnt ab. Dann will | |
Twitter, aber Musk nicht mehr (erste Beziehungskrise). Zwischendurch gibt | |
es noch ein paar Volten (Verdächtigungen, Betrugsvorwürfe, die Beziehung | |
scheint vor dem Aus zu stehen), bei denen man getrost den Faden verlieren | |
durfte. Und am Ende ging es dann ganz schnell (Blitzhochzeit in Vegas!): | |
[1][Twitter gehört jetzt Musk.] | |
Ginge es bei dieser Tech-Übernahme doch nur um den Unterhaltungswert. Aber | |
leider ist es ernst. Und damit notwendig, sich mit der Machtkonzentration | |
von Musk zu beschäftigen – und damit, wie Gesellschaften eigentlich darauf | |
vorbereitet sind. | |
Nun sind mächtige Menschen, meistens Männer, erst einmal nichts Neues. Auch | |
nicht, wenn sie nicht als Politiker, sondern als Unternehmer auf die | |
politische Bühne treten. Microsoft-Gründer Bill Gates etwa setzte mit | |
seiner heutigen Ex-Frau Melinda mit der Bill & Melinda Gates Foundation | |
schon in den 90er Jahren den Ton: Wir Unternehmer können globale politische | |
Probleme, wie prekäre Gesundheitsversorgung, extreme Armut, mangelnden | |
Zugang zu Bildung, besser angehen als die Politik. Nicht nur, dass sich die | |
Unternehmer unabhängig von legitimierenden demokratischen Strukturen sehen, | |
was die Handlungsgeschwindigkeit in der Regel erhöht. Sondern es schwingt | |
noch etwas anderes mit: die Gewissheit der Disruption. | |
## Die vermeintliche Rettung der Welt | |
Das Bewusstsein dafür, selbst schon mal etwas derart | |
Gesellschaftsveränderndes erfunden oder entwickelt zu haben, Microsoft, | |
Paypal, Amazon, dass in der Konsequenz irgendwie auch die (vermeintliche) | |
Rettung der Welt durch eigenes Handeln erreichbar scheint. Oder zumindest | |
die Beseitigung von Hungersnöten. | |
Laut [2][Wall Street Journal] traute WeWork-Mitgründer Adam Neumann das | |
seinem Unternehmen tatsächlich zu. Eine Einschätzung allerdings, die aus | |
der Zeit vor seinem zwischenzeitlichen wirtschaftlichen Absturz stammte. | |
Etwas weniger schillernd, aber ebenfalls einflussreich: Peter Thiel. | |
Paypal-Mitgründer, der heute mit sehr rechten politischen Thesen unterwegs | |
ist, auch schon als Unterstützer von Donald Trump. | |
Dennoch ist Musk eine eigene Kategorie: Nicht nur, weil mit ihm ein | |
Privatmensch eine derart große und finanzschwere Tech-Übernahme stemmt. | |
Sondern auch, weil sich in seinem Handeln die Ebenen Digitalisierung, | |
Reichtum und Privatisierung vermischen, mitunter verstärken und so zu einer | |
Art Muskisierung führen: einer absurden Anhäufung von Reichtum und daraus | |
resultierender (Meinungs)Macht. Diese wird potenziert durch Elemente der | |
Digitalisierung wie Twitter, die die Reichweite einzelner Akteur:innen | |
überdimensional vergrößern. | |
## Ohne Moderation geht nichts – eigentlich | |
Dass Gesellschaften nicht auf eine derartige Machtkonzentration vorbereitet | |
sind, zeigt das Beispiel Twitter. So kann Musk quasi im Alleingang die | |
Regeln der für die Meinungsbildung und mithin auch die Demokratie wichtigen | |
Plattform verändern. Zwar gibt es auch im US-amerikanischen Recht ein paar | |
Grundelemente, an die sich Online-Netzwerke halten müssen, etwa Regeln zum | |
Urheberrecht. Doch sehr viel gäbe es zumindest in den USA Musks | |
Freie-Rede-Paradigma nicht entgegenzusetzen. In dieser Denklogik sind | |
Hassrede oder Mordaufrufe nur einige legitime Meinungsäußerungen von | |
vielen. | |
Vor etwa zehn Jahren wäre eine solche Haltung nicht besonders | |
außergewöhnlich gewesen. Doch mittlerweile hat sich sogar bei den | |
Onlineplattformen die, wenn auch bislang keineswegs vollständige, | |
Erkenntnis durchgesetzt, dass es ohne Moderation nicht geht. Und das ist | |
nur logisch: Ihrer kapitalistischen Logik verhaftet, belohnen die | |
Algorithmen drastische Inhalte. Was große Gefühle, wie Empörung, Wut, Hass, | |
Abwehr, auslöst, findet viel schneller Reichweite als der ausgewogene, | |
hintergründige Gedanke. Wie eine Regulierung dieses Dilemma lösen soll, | |
ohne die Kapitalismus-Logik abzuschaffen – diese Frage bleibt bislang | |
unbeantwortet. | |
Die EU hat es mit dem Digital Services Act, den sie in diesem Jahr | |
beschlossen hat, versucht. Der sieht unter anderem Regeln für die | |
Moderation vor, für das Melden von mutmaßlich illegalen Inhalten und für | |
Beschwerdeverfahren. Offen ist, wie viel das bringt. | |
## Eine App, die alles kann | |
Perspektivisch möchte Musk aus Twitter übrigens eine App machen, die alles | |
kann. Das Vorbild: die chinesische App WeChat. Die ist längst nicht nur | |
eine Messenger-App. Von Bezahlen über Social Media bis hin zu einer Art | |
Meta-Funktion, die Apps innerhalb der App erlaubt, bietet sie so ziemlich | |
alles. Umfassende Überwachung inklusive. | |
Doch schon jetzt gilt: Twitter ist einer der für die Meinungsbildung | |
wichtigsten Inhalteanbieter. Gleichzeitig befindet sich in Musks Hand ein | |
Infrastruktur-Anbieter, der sein Satelliten-Internet eines Tages auf der | |
ganzen Welt genutzt sehen will: Starlink. Diese Art von vertikaler | |
Verflechtung wird noch für Debatten sorgen. Etwa wenn es um die | |
Netzneutralität geht – also darum, dass Netzbetreiber sämtliche | |
durchgeleiteten Datenpakete gleich behandeln sollen. Und nicht der | |
Starlink-Betreiber beispielsweise Twitter-Posts gegenüber | |
Facebook-Nachrichten oder Mastodon-Inhalten bevorzugt. | |
Dazu kommt die geopolitische Komponente: Musk betätigt sich [3][in | |
Äußerungen], aber auch mit Starlink als mächtiger Akteur. Ulrich Walter, | |
Professor für Raumfahrttechnik an der Technischen Universität München und | |
früherer Astronaut, bezifferte [4][gegenüber der Welt] die | |
Effizienzsteigerung der ukrainischen Infanterie durch die Kommunikation via | |
Starlink auf rund 300 Prozent. Die Echtzeitkommunikation erlaube, dass | |
Drohnen, die Standorte der russischen Armee melden, diese Information ohne | |
Verzögerung über eine zentrale Stelle an die ukrainischen Einheiten | |
weitersenden – die wiederum mit Angriffen reagieren können, ehe die | |
russische Einheit ihren Standort verändert habe. „Wir haben da jetzt einen | |
Echtzeitkrieg, der so nur mithilfe von Kommunikationssatelliten möglich | |
ist“, so Walter. | |
## Heute A, morgen B, übermorgen Y | |
Aber: Musk kann für den Einsatz von Starlink-Satelliten in einer Region | |
eben nicht nur den Daumen heben, sondern ihn auch senken. Jenseits von | |
demokratischen Entscheidungsstrukturen, parlamentarischer Kontrolle, Checks | |
and Balances: alles Komponenten, die in demokratischen Kontexten eine | |
gewisse Planbarkeit oder Vorhersagbarkeit gewährleisten. Verlangte Musk | |
zwischenzeitlich von der US-Regierung finanzielle Unterstützung, um den | |
Starlink-Einsatz in der Ukraine aufrechtzuerhalten, [5][schreibt er kurz | |
darauf]: „Was soll’s … auch wenn Starlink immer noch Geld verliert und | |
andere Unternehmen Milliarden an Steuergeldern erhalten, werden wir die | |
ukrainische Regierung weiterhin kostenlos finanzieren.“ Heute A, morgen B, | |
übermorgen Y: ein typischer Musk sozusagen. | |
Die bislang beste Erklärung für das von außen erratisch wirkende Handeln | |
von Musk [6][hat übrigens Spiegel-Kolumnist Sascha Lobo geliefert]. Lobo | |
führte im Frühjahr, kurz nachdem Musk sich bereits teilweise bei Twitter | |
eingekauft hatte, eine Äußerung von Musk aus dem Jahr 2018 an: Demnach | |
versteht Musk die Welt, in der wir leben, als eine Simulation – ein | |
Prinzip, das mit dem Film „Matrix“ Bekanntheit erlangt hat. | |
„Ich denke, dass es höchstwahrscheinlich – hier geht es nur um die | |
Wahrscheinlichkeit – viele, viele Simulationen gibt“, erklärte Musk damals. | |
Es wäre eine Art Spiel von jemandem oder etwas, das sich anschaut und | |
vielleicht auch steuert, wie die unterschiedlichen Simulationen laufen. Die | |
Idee ist keine Erfindung von Musk, sondern eine, die in der Schnittmenge | |
von Technik und Philosophie durchaus [7][ernsthaft diskutiert und inklusive | |
Wahrscheinlichkeiten durchgerechnet] wird. Lobos Schlussfolgerung: Musk | |
versuche, die Simulation zu hacken, die Instanz dahinter quasi aus der | |
Reserve zu locken. Nach diesen Maßstäben müsste man Musks Verhalten neu | |
bewerten: Es wäre einfach logisch. | |
30 Oct 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Elon-Musk-hat-Twitter-gekauft/!5891261 | |
[2] https://www.wsj.com/articles/this-is-not-the-way-everybody-behaves-how-adam… | |
[3] https://twitter.com/elonmusk/status/1576969255031296000 | |
[4] https://www.welt.de/wissenschaft/article241304403/Elon-Musk-Was-Starlink-Sa… | |
[5] https://twitter.com/elonmusk/status/1581345747777179651 | |
[6] https://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/elon-musk-der-grosse-irritainer… | |
[7] https://royalsocietypublishing.org/doi/10.1098/rspa.2020.0658 | |
## AUTOREN | |
Svenja Bergt | |
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